Herbert Zeman: Zur Lyrik des Anton Wildgans Zur Lyrik des Anton Wildgans
Von Prof. Herbert Zeman
Der Vorformer im Gedicht war für mich nicht Rilke, sondern Baudelaire. Er war der Meister, der die Entscheidung in meinem frühen literarischen Leben herbeiführte. Dieser allermenschlichste der großen neueren Dichter hat mich in einer Periode der Selbstunsicherheit zu mir selbst, zu meiner eigenen Menschlichkeit, zu meiner spezifischen Modernität und zu meinem eigenen Pathos erweckt. (Anton Wildgans)
Die Schönheit eines Gedichtes hängt für mich vor allem mit der Gültigkeit seines Inhaltes zusammen. (Anton Wildgans)
Die Lyrik von Anton Wildgans zeigt einen besonderen Hang zur Betrachtung, zur Reflexion, gleichgültig, ob es sich um tatsächliche sogenannte Gedankenlyrik, um Naturbilder oder um Liebesgedichte handelt. Selten ruhen Gedichte in der Naturstimmung wie etwa das frühe „Adagio für Cello". Der Tonfall ist ruhig und variiert wenig. Es gibt keine Entwicklungsstadien im Sinne einer sich von der Jugend zum reiferen Alter hin entwickelnden Persönlichkeit. Schon an den frühesten Gedichten frappiert das Dekorum des reifen, wohl etwas altklugen Menschen- und Weltbeobachters.
Wildgans liebt den gereimten, zu Strophen gebundenen Vers. Er bevorzugt längere Verszeilen, die einen Gedanken rhetorisch-ausgewogen entwickeln lassen - der regelmäßige Wechsel von Hebung und Senkung des Versalakzents ist üblich -und die eine sorgsame Entfaltung des Redeschmucks erlauben. Dies gilt gleichermaßen für die Liebesgedichte wie für die seinerzeit sehr geschätzten sozial engagierten bzw. den Alltag bedenkenden Verse (vgl. etwa Gedichte wie „Dirnen", „Los der Armen", „Dienstboten", „Gerichtsverhandlung", „Vom kleinen Alltag", „Einem jungen Richter zur Beeidigung"). Das Ringen um eine neue Art der Weltsicht und um eine aktuelle lyrische Formung, das der gleichzeitigen Lyrik Rilkes oder Trakls eignet, ist Wildgans fremd. Die ideellen Vorstellungen seiner Gedichte sind einerseits bescheidener, anderseits in ihren engeren Grenzen fester umrissen.
Roman Rocek weist darauf hin:„Wildgans ging es nicht um einen Leerlauf artifiziellen Spieles. Was keinen Bezug zur Wirklichkeit hatte, war für ihn ebensowenig existent wie ein Leben ohne ethische Normen. Über allem aber stand das Gebot strengster künstlerischer Selbstzucht. "3
Die Transposition der Aussageinhalte in kühne, die Tradition übersteigende oder sprengende metrische und stilistische Gestaltungsformen ist für Wildgans nicht notwendig, am allerwenigsten bei Gelegenheitsgedichten (vgl. die Kriegsgedichte); bis hin zum Sonett bleibt die literarische Überlieferung im traditionellen Sinn bewahrt. Einen anderen Tonfall schlagen die „Sonette aus dem Italienischen", die Gedichte von sieben Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts vereinigen - unter ihnen ist Lorenzo Stecchetti mit 16 Sonetten am häufigsten vertreten -, an: Hier ist fast alles gegenständlich und bunt, mit metaphorischer Direktheit ins poetische Bild gehoben. Diese - im alten Sinne der Nachdichtung - vollgültige literarische Leistung wurde bis heute noch nicht die angemessene Wertschätzung zuteil.
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