HEINRICH WILDGANS Heinrich Wildgans
10. Mai 1665 Dietersdorf, Bayern - 4. August 1719 Wien
Geschäftsinhaber für Geschirr, Sauerkraut und eingelegtes Gemüse in Wien
4-facher Urgroßvater des österreichischen Lyrikers und Dramatikers Anton Otto Georg Ritter von Wildgans
Eltern: Heinrich Wilkens / Wildgans (7.9.1608 - 23.2.1706) - und Elisabeth von Röckel zu Falkenberg (1636 - 5.4.1692)
Verheiratet: am 31.5.1699 mit Anna Maria Magdalena Theresia Schmidmayer (20.7.1678 - 30. 11.1736) in Wien
Kinder: 13 Kinder; nur Maria Anna, Franz Anton, Joseph Peter Paul Lorenz, Anna Maria Theresia und Anna Margaretha erreichen das Erwachsenenalter.
- Maria Anna Wildgans (20.3.1700 - ?): Verheiratet in 1. Ehe mit Hr.Wanneck in Trmesvar; in 2. Ehe mit Hr.Augustin in Ebersdorf.
- Karl Gottfried Wildgans (4.11.1701 - 28.10.1712)
- August Wildgans (1703 - 29.10.1712)
- Anna Catharina Wildgans (20.8.1704 - 13.11.1704)
- Franz Anton Wildgans (27.8.1705 - 19.5.1754 oder 1753)
- Johann Franz Wildgans (Zwilling, 23.6.1707 - 16.4.1709)
- Maria Theresia Wildgans (Zwilling, 23.6.1707 - 19.5.1708)
- Notgetauftes Kind (23.2.1710 - ?)
- Anna Maria Theresia Wildgans (19.12.1711 - ?)
- Joseph Peter Paul Lorenz Wildgans (7.2.1714 - 19.5.1754): Setzt die Wildgans-Linie fort
- Anna Margaretha Catharina Wildgans (23.4.1716 - 30.4.1716)
- Anna Catharina Wildgans (30.6.1717 - 27.7.1718)
- Anna Margaretha Wildgans (12.7.1719 - ?): Verheiratet mit Hr. Pruekhberger
Curriculum Vitae & Dokumente
Mit seinen Geschwistern wächst Heinrich auf dem elterlichen Gut Ödenhof in Dietersdorf bei Windischeschenbach in der Oberen Pfalz (Bayern) auf. Die Familie ist wohlhabend, in der ansässigen adeligen Gesellschaft etabliert und so erlebt Heinrich eine unbeschwerte Kindheit und Jugend in einer weitgehend kriegslosen Zeit.
Er ist der zweitälteste Sohn, daher übernimmt Georg, sein älterer Bruder, das väterliche Gut und führt die bis heute bestehende oberpfälzische Linie der Familie Wildgans in Bayern weiter.
Heinrich verlässt seine Heimat und zieht, wie es schon sein Vater getan hat, dorthin, wo großzügige und neue Möglichkeiten geboten werden. Nach Wien.
Die Bevölkerung von Wien und seiner weiten Umgebung ist in den letzten zwanzig Jahren heftig dezimiert worden. Der Staat bietet Einwanderern und neuen Siedlern sehr günstige Konditionen. Allein der großen Pestepidemie 1678 bis 1679 fallen vermutlich rund 12.000 Menschen zum Opfer.
Am 12. Juli 1883 steht das osmanische Heer erneut vor Wien, diesmal unter Großwesir Kara Mustafa. Den Oberbefehl der habsburgischen Truppen hat Herzog Karl V. von Lothringen, den in Wien Graf Rüdiger von Starhemberg.
Nach dem Sieg über die Türken setzt in der Folge in Wien eine rege Bautätigkeit ein. Es beginnt die prachtvolle Epoche des Barocks.
In dieses aufbrechende, aufschäumende, sich barockisierende Wien zieht Heinrich 1696 im Alter von 31 Jahren. Von seinen Eltern hat er reichlich Geldmittel für einen Neubeginn in der Ferne mitbekommen.
So erwirbt er ein eigenes Geschäftslokal im Schottenviertel, in dem er hochwertiges Geschirr (Brüderisches Geschirr) verkauft.
Unter brüderischem Geschirr versteht man in der Frühzeit der mitteleuropäischen Fayence-Herstellung die ausgezeichnete Töpferware der brüderischen, daher der wiedertäuferischen Hutterer in Mähren und in der heutigen Slowakei.
Am 21. Januar 1699 legt der Dreiunddreißigjährige in Wien den Bürgereid ab.
Nur wenige Monate später, am 31. Mai 1699, heiratet er Anna Maria Schmidmayer (20.7.1678 - 30.11.1736) in der Kirche St.Ulrich in Wien.
Heinrich wohnt mit seiner Familie im Haus seiner verstorbenen Schwiegereltern, im „schusterischen Haus“ am Spittelberg. 1706 ziehen sie in das Haus „Zum Weißen Hahn“ am Tiefen Graben (heute Nr.19).
Sein Geschäft hat er am Kohlmarkt (heute Nr. 5).
Welch anerkannte Persönlichkeit Heinrich bereits ist und welche gesellschaftliche Position er bekleidet, ist daran ersichtlich, dass er ab 1702 die leitende Funktion eines Zechmeisters ausübt. Der Zechmeister wird von der Pfarrgemeinde gewählt und ist für die Verwaltung und Erhaltung der Kirche, des Pfarrhofes und der Schule zuständig.
1709 gehört Heinrich ein Geschirrgeschäft im Haus des Zeltschneiders Valentin Freywillig in der Paternostergasse am Graben, die es heute nicht mehr gibt.
Zu dieser Zeit steht nämlich mitten auf dem Graben, als architektonischer Abschluss gegen den Kohlmarkt hin, ein Komplex aus drei Häusern, an dem zu beiden Seiten schmale Gässchen entlangführen. Die linke Gasse in Blickrichtung vom Kohlmarkt zum Graben, sozusagen als Verlängerung der Naglergasse, ist das Paternostergässchen, benannt nach den dort befindlichen Verkaufsläden der Paternosterer, den Verfertigern von Rosenkränzen (Paternosterschnüren). Die drei Häuser des Komplexes sind das Ellerbachsche Haus (Ecke Kohlmarkt - Paternostergasse), das Zuckschwerthaus (Ecke Kohlmarkt - Graben, benannt nach der gleichnamigen Patrizierfamilie) und das Hirschenhaus (Goldener Hirsch, Front Richtung Graben). 1712 werden die beiden ersten Häuser niedergerissen und von Christoph Leopold Graf Schallenberg das Schallenbergsche Haus erbaut. 1840 wird dann zwecks Vergrößerung des Grabens der ganze Komplex abgerissen und das Paternostergässchen verschwindet.
1710 kauft Heinrich ein Geschäftslokal gleich um die Ecke im Haus Nr.572 in der damaligen Spenglergasse (Unter den Spenglern - heute Tuchlauben) neben dem Peilertor und betreibt dort ebenerdig eine Greisslerei, also ein Lebensmittelgeschäft. Das Haus Nr. 572 ist das zweite Haus von der Ecke zum Graben. 1824 werden die Häuser abgerissen und das große Sparkassa-Gebäude mit der Front zum Graben errichtet.
Das direkt neben dem Geschäft befindliche Peilertor ist ein aus der Zeit der Babenberger stammendes Wiener Stadttor als Verbindung zwischen Kohlmarkt und Tuchlauben und spannt sich vom heutigen großen Eckgebäude Graben-Tuchlauben bis zur Naglergasse. Das Stadttor in der Mitte der südwestlich ausgerichteten Seite des alten Römerlagers Vindobona dürfte auf die alte porta decumana zurückgehen. Zwischen 1278 und 1326 hieß es Peurer (Burg-)Tor, 1390 Peyerertor oder Peyererturm, ab ungefähr 1600 Peilertor oder auch Bayertor. Es galt als Ausgangspunkt der Reichsstraße nach Bayern, daher der Name. Es wurde schon zum Zeitpunkt des Ausbaus der Wiener Stadtmauern durch Leopold V. obsolet, erhielt sich aber noch über Jahrhunderte, vor allem ab 1565 als Gefängnis. 1511 wurde es umgebaut. 1732 befiehlt Kaiser Karl VI. zur Erweiterung der Passage und um einen besseren Blick auf die Hofburg zu ermöglichen, das Stadttor abzureißen.
1711 zieht Heinrich mit seiner Familie in den außerhalb der Stadtmauern gelegenen Teil „Der Untere Werd“, der damals dem Stubenviertel zugehört.
Der Untere Werd, auch Leopoldstadt genannt, ist ein Gebiet aus mehren Inseln (werd: mittelhochdeutsch für Insel) im Auengebiet der noch unregulierten Donau vor dem Rotenturmtor. Im 15. Jahrhundert erwarb die Stadt Wien hier Grundbesitz und das Gebiet wurde dichter besiedelt. 1614 gründeten die Barmherzigen Brüder ihr Kloster mit angeschlossenem Ordensspital, das bis heute in Funktion ist. 1624 verbannte Kaiser Ferdinand II. die jüdischen Wiener aus der Stadt und wies ihnen den Unteren Werd als Wohngebiet zu. 1669 wurden die Juden von Kaiser Leopold I. auf Drängen seiner spanischen Gattin und des Wiener Magistrats auch hier vertrieben, die ein paar Jahre vorher errichtete Synagoge von den Wienern niedergebrannt. Ein Jahr später legte der Kaiser an dieser Stelle den Grundstein für eine dem Heiligen Leopold geweihte Kirche. Seit dieser Zeit wird der Untere Werd nach dem Kaiser Leopoldstadt genannt, ein Name, der 1850 von diesem relativ kleinen Gebiet auf den ganzen Bezirk übergehen wird.
Zunächst übernimmt Heinrich die Sauerkräutlerei des Herrn Peter Paul in dessen Haus, genannt „Peter und Paul-Haus“ (heute Große Sperlgasse 40).
Als Sauerkräutler bezeichnet man in Wien jene Händler, welche eingelegtes Gemüse aller Art und auch Ware frisch aus dem Fass verkaufen. Das durch die Konservierung mittels Milchsäuregärung lange haltbare Sauerkraut ist ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Besonders im Winter, wenn frisches Obst und Gemüse kaum verfügbar sind, steht Sauerkraut bei der armen Bevölkerung nahezu täglich auf dem Speiseplan und beugt mit seinem hohen Vitamingehalt drohenden Mangelerscheinungen vor.
Schon am 6. Oktober 1711 erwirbt Heinrich Wildgans in der Nähe ein eigenes Haus (heute Große Sperlgasse 19) von Herrn Daniel Lederer. Dieses Haus mit der Nr. 181 ist langgestreckt und reicht bis zur Leopoldgasse auf der anderen Seite des Häuserblocks, an den zwei Grundstücke angeschlossen sind.
Dort gegenüber befindet sich das Zuchthaus (heute Karmelitermarkt), das von Kaiser Leopold I. 1673 „zur Verbesserung der Sitten und zur Minderung des Bettels“ errichtet wurde. Hier können auch Eltern ihre ungeratenen Kinder zwecks Verabreichung eines kräftigen Denkzettels fallweise vorführen. Als 1713 in Wien die große Pestepidemie ausbricht, wird es in ein Lazarett umgewandelt, dann aber wieder reaktiviert.
Die Eindrücke dieser Pestepidemie mit dem Lazarett vor der Haustüre sind für die Familie Wildgans sicher grauenhaft, auch wenn kein Familienmitglied der Krankheit zum Opfer fällt. Täglich fahren die schwarzen Sänften vor, in denen die Kranken transportiert werden. Die Schulen sind gesperrt, Zusammenkünfte in Wirtshäusern verboten und Messen dürfen nur noch unter freiem Himmel abgehalten werden. Mitbewohner von Pestkranken werden in Kontumazhäusern (Quarantänehäusern) untergebracht, die Wohnungen gesperrt und ausgeräuchert. Ingesamt sterben ungefähr 8000 Menschen.
Wenn nicht gerade die Pest wütet, ist das Leben in der Leopoldstadt sehr angenehm. Es ist ein aufstrebender Bezirk. Überall wird gebaut, viele Handwerker und Gewerbebetriebe siedeln an und bald entstehen hier die ersten Manufakturen Wiens. Nicht so eng und gedrängt wie innerhalb der Stadtmauern sind die sanitären Bedingungen besser und es gibt mehr Grünflächen.
Ein guter Ort für die Familie Wildgans, um sesshaft zu werden. Das Haus wird später von Sohn Franz Anton übernommen und verbleibt 46 Jahre lang im Besitz der Familie. Verkauft wird es am 17. November 1757 an Hieronymus und Barbara Höfeter.
Heinrich führt ein angenehmes Leben ohne finanzielle Sorgen. Aus kleinen Anfängen hat sich Heinrich Wildgans zu beträchtlichem Wohlstand emporgearbeitet. Das eigene Haus und die gut gehende Sauerkräutlerei zeugen davon hinlänglich.
Am 1. August 1719, kurz nach der Geburt seines letzten Kindes, lässt Heinrich seinen letzten Willen von dem Agenten Alexander Anton von Strachwitz in Anwesenheit seiner Freunde Peter Paul und Thomas Rössel als Zeugen schriftlich niederlegen und siegelt das Dokument eigenhändig.
Nur drei Tage später stirbt Heinrich Wildgans am 4. August 1719 in seinem Haus in der Leopoldstadt an hitzigem Gallenfieber im Alter von 54 Jahren.
Der älteste Sohn Franz Anton wird Nachfolger im Geschäft und übernimmt auch später, als er den Anteil seiner Geschwister ablösen kann, das Haus in der Sperlgasse allein. Er ist zweimal verheiratet und hat einige Kinder, die jedoch bereits im Kindesalter sterben oder keine Nachkommen haben.
Der zweite Sohn Joseph Peter Paul Lorenz setzt daher als Einziger die Wildgans-Linie fort.
Siegel des Heinrich Wildgans
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