Anton Wildgans
Österreichischer Lyriker und Dramatiker 1881 - 1932
Über "In Ewigkeit Amen"
In Ewigkeit Amen
Über "Armut"
Armut
Über "Dies Irae"
Dies Irae
Über "Liebe"
Über "Kain"

In Ewigkeit Amen

 

Ein gerichtliches Vorspiel in einem Akt von Anton Wildgans

Meinem Freunde Karl Gatter gewidmet

 

Personen:

Untersuchungsrichter.

Staatsanwalt.

Schriftführer.

Kanzlist.

Zeugin Marie Dworschak.

Zeuge Leopold Kritzenberger.

Beschuldigter Anton Gschmeidler.

Justizsoldat.

 

 

Das Amtszimmer des Untersuchungsrichters.

Im Hintergrund die Tür auf den Gang. Links von ihr ein braungestrichener Kleiderkasten. Rechts von ihr ein schmaler ebensolcher Waschtisch. In der Mitte der Rechtswand einflügelige braune Tür in die Abteilungskanzlei. Rechts vorne an der Wand ein Stehpult, darauf das Kruzifix und die beiden Schwurkerzen. An der Linkswand ein grün überzogenes Sofa. Davor ein Tisch, auf dem Aktenstöße und Gesetzbücher liegen, und zwei Fauteuils. Über dieser Gruppe an der Wand das Bildnis des Landesherrn. In der Mitte des Bühnenraums sind zwei ebenfalls braungestrichene Schreibtische aneinandergeschoben. Der rechte ist der des Untersuchungsrichters. Bei ihm steht ein großer, bequemer, aber schon sehr abgenutzter Lederfauteuil. Der linke Schreibtisch ist der des Schriftführers. Bei ihm steht ein einfacher Holzsessel. Ein ebensolcher Sessel befindet sich an der dem Publikum zugekehrten Schmalseite des Untersuchungsrichtertisches. Auf ihm nehmen später die Zeugen und der Angeklagte Platz. An der dem Publikum abgekehrten Schmalseite des Untersuchungsrichtertisches steht ein kleiner Lederfauteuil, den später der Staatsanwalt benutzt. Auf dem Schreibtisch des Richters ein

Telephonapparat, verschiedene Drucksorten, Aktenumschläge usw.

Wenn der Vorhang aufgegangen ist, bleibt die Bühne einige Augenblicke leer. Dann tritt durch die Tür der Rechtswand aus der Abteilungskanzlei der.

 

KANZLIST mit einem großen zusammengebundenen Aktenstoß ein, den er auf den Tisch des Untersuchungsrichters legt und sorgfältig aufbindet.

 

Der Kanzlist ist ein langer, hagerer Mensch mit zimmerfarbenem Gesicht und blondem Schnurrbart. Er ist ärmlich gekleidet. Sein ganzes  Gehaben und Aussehen subaltern. Während der Kanzlist mit dem Ordnen der Akten beschäftigt ist, tritt durch die Mitteltür im Hintergrunde der.

 

UNTERSUCHUNGSRICHTER im folgenden kurz Rat genannt ein.

 

Er ist ein Mann gegen Fünfzig, von mittelgroßer, schlanker, sehniger Statur. Sein angegrautes Haar ist kurzgeschoren, der noch blonde Schnurrbart englisch gestutzt. Sein Gesicht macht den Eindruck des Glattrasierten und hat etwas von der Strenge eines Römerkopfes. Seine Augen sind groß und grau. Wenn er erregt ist, ähneln sie denen eines Geiers. Dieses Phänomen wird im Text durch die Bemerkung »Geieraugen« angedeutet. Alle seine

Bewegungen sind von beherrschter Energie. Wenn er über etwas mißvergnügt ist, leg er den Kopf mit gehässigem Gesichtsausdruck ein wenig zur Seite, und seine Lippen machen stumme Bewegungen, als schimpfe er in sich hinein. Dies wird im Text durch »Kopfhaltung« angedeutet. Er trägt einfachen, aber adretten dunkelblauen Sakkoanzug, vorne geschlossenen niederen Stehkragen und dunkle Krawatte, an den Füßen Zugstiefeletten in der Art eines alten Militärs, für den man ihn auch halten möchte. Nachdem er eingetreten ist, bleibt er mit dem Hut auf dem Kopf und mit ungehaltenem Gesichtsausdruck einen Augenblick stehen.

 

KANZLIST devot. Ergebenster Diener, guten Morgen, Herr Rat.

RAT mürrisch. Guten Tag. Er legt Hut und Überzieher ab und versorgt beides im Kasten.

KANZLIST beflissen. Den Akt habe ich dem Herrn Rat bereits auf den Tisch gelegt.

RAT abweisend. Wünschen Sie sonst noch etwas von mir?

KANZLIST. Nicht im mindesten, Herr Rat.

RAT mit erstaunter Betonung. Na also!

KANZLIST devot und zudringlich. Ich wollte nur gehorsamst melden, daß die Zeugen auch schon erschienen sind.

RAT ungehalten. Sind doch erst für zehn Uhr vorge laden!

KANZLIST zuckt fatalistisch die Achseln.

RAT gehässig. Ist der Schriftführer auch schon erschienen?

KANZLIST. Habe ihn leider noch nicht gesehen.

RAT bösartig. Also: nein! Für sich durch die Zähne. Verdammte jüdische Unpünktlichkeit. Kopfhaltung.

KANZLIST lacht kurz und albern auf, macht aber sofort so, als sich räusperte.

RAT scharf, mit Geieraugen. Wie bitte?

KANZLIST verlegen. Ich habe mir nur erlaubt –

RAT endgültig abschneidend. Danke.

KANZLIST mit stummer Verbeugung rechts ab.

RAT ihm mit Kopfhaltung nachsehend, dann halblaut losbrechend. Kretin! Er setzt sich zum Schreibtisch, blättert in den Akten, lehnt sich nachdenkend zurück, sieht dann plötzlich auf die Uhr und läutet hierauf am Tischtelephon. Ins Sprechrohr. Verbinden Sie mich mit dem Präsidium! – Ja, hier Landesgerichtsrat Doktor Groll – Freundlich. Habe die Ehre, Herr Collega – Bitte, teilen Sie mir doch endlich einen anderen Schriftführer zu! – Wie mein jetziger heißt? Ironisch. Doktor Samuel Zwirn! Der Name sagt, glaube ich, alles – Gereizt. Warum denn nicht? Seit wann ist so ein Mangel an Schriftführern? Die Diaspora ist doch bei uns sehr ausgiebig! Lacht maliziös. – So? – So? Plötzlich sehr unangenehm. Dann ersuche ich Sie, dienstlich zur Kenntnis zu nehmen, daß der Rechtspraktikant Doktor Zwirn, trotz wiederholter Mahnung wegen Zuspätkommens, heute um einhalbzehn Uhr noch nicht im Amte ist. Ergebener Diener. Während er das Hörrohr auf das Gestell legt, klopft es an der Tür im Hintergrund. Mit Kopfhaltung. Herein!

DER STAATSANWALT tritt ein.

 

Er ist gegen Vierzig, schlank, blond, soweit noch Haare vorhanden. Blasses, nervöses Gesicht, englischer Schnurrbart. Er sieht geistig überarbeitet aus, trägt schwarzes Jackett, wohlgebügelte Modehose, dunkle, teure Krawatte. Die Dienstkappe, die er in der Hand hält, gleicht einer altösterreichischen Offizierskappe. Seine Redeweise ist gelassen, überlegt, bestimmt, aber dabei doch ungemein höflich und gesellschaftlich.

 

STAATSANWALT noch an der Tür, mit eleganter Verbeugung. Ich habe die Ehre, Herr Rat.

RAT ihm mit etwas übertriebener Zuvorkommenheit entgegengehend. Oh, der Herr Staatsanwalt! Was verschafft mir das besondere Vergnügen?

STAATSANWALT besonders liebenswürdig. Eine kleine Morgenvisite. Ich störe doch hoffentlich nicht.

RAT. Nicht im geringsten! Bitte doch einen Augenblick Platz zu nehmen! Mit Betonung. Die Vertreter der Anklagebehörde sehe ich, ganz abgesehen von allen privaten Sympathien, immer gerne bei mir.

STAATSANWALT scherzhaft. Hoffentlich sind in meinem Falle Ihre Sympathien für meine private Persönlichkeit lebhafter als die für meine amtliche!

RAT ebenso. Das würde nicht allzuviel heißen! Denn – seien Sie mir nicht böse! – Sarkastisch. mit Ihnen als Staatsanwalt bin ich nicht immer so ganz einverstanden.

STAATSANWALT lachend. Das ist mir bekannt! Ich bin Ihnen nicht scharf genug.

RAT trocken. Mitunter. Ganz richtig. Aber das kommt schon noch. Falschfreundlich. Wie geht es übrigens der Frau Gemahlin und den Kindleins?

STAATSANWALT ebenso. Danke, recht gut.

RAT sich zurücklehnend, lauernd. Sehen Sie, das gehört auch zu den Dingen, die ich in meinem arbeitsreichen Leben glattwegs versäumt habe: Frau und Kinder –

STAATSANWALT lächelnd. Dazu ist es doch noch nicht zu spät! Bei Ihrer Rüstigkeit!

RAT boshaft. Ich weiß, daß meine Rüstigkeit vielen meiner Hintermänner ein Dorn im Auge ist. Aber gerade deswegen trachte ich, mich möglichst frisch und tüchtig zu erhalten, und heirate eben nicht. Ganz abgesehen davon, daß ich immer das Gefühl hatte: Nicht ohne Größe. ein Richter soll sein wie ein Priester, an nichts Irdisches mit seinem Herzen gebunden, unvermählt. Geieraugen, dann mißvergnügt abbrechend. Na ja.

STAATSANWALT ablenkend. Herr Rat haben heute, wenn ich nicht irre, die Zeugen in der Sache Gschmeidler vorgeladen –

RAT mit galligem Humor. Ja, ja, ja! Für zehn Uhr. Ich höre aber, daß sich einige verdächtige Gestalten bereits seit neun Uhr auf dem Gange herumtreiben. Herr Collega haben übrigens die Einvernahme eines gewissen Kritzenberger zu beantragen geruht. Wurde natürlich vorgeladen, obwohl ich nicht einzusehen vermag, was der Mann aussagen soll. Er war gar nicht Tatzeuge.

STAATSANWALT. Ich weiß. Es will mir aber scheinen, als ob hinter dieser Sache etwas steckte, worüber noch nicht volle Klarheit herrscht. Zwischen dem Anlaß zur Tat und ihrer ganz unvermittelten, förmlich übertriebenen Ausführung ist kein rechtes Verhältnis. Ich bin nicht abgeneigt, an irgendeine Psychose zu glauben.

RAT höhnisch-überlegen. Psychose?! Diesen Ausdruck habe ich bisher nur von Verteidigern gehört, und was ich von dieser Menschenklasse halte, dürfte Ihnen ja bekannt sein. Wir Richter, die es wirklich sind, wissen, Stark. daß es ein An-sich-Böses gibt!

STAATSANWALT mit feiner Ironie. Ja, daran hat man früher einmal geglaubt.

RAT temperamentvoll. Ich glaube mit Ihrer Genehmhaltung auch jetzt noch daran! Der Fall Gschmeidler ist ja das Schulbeispiel dafür. Dieses Individuum hat vor siebenundzwanzig Jahren seinen Dienstherrn wegen eines Frauenzimmers umgebracht und wurde zum Tode verurteilt. Statt ihm aber den Garaus zu machen, hat man ihn zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt, und nach siebenundzwanzig Jahren gibt man ihm auf einmal die Freiheit zurück, in der falschen Voraussetzung, das Böse in ihm sei durch die lange Haft ausgetilgt. Aber das Böse erweist sich stärker als der Verstand der Leute, die an die Besserungsmöglichkeit eines Verbrechers glauben. Einen Monat nach Entlassung aus der Strafanstalt begeht der Mann ein ganz ähnliches Delikt wie das erste Mal, nur daß der Anschlag diesmal gegen ein Weibsbild gerichtet war und der Mord nicht gelungen ist. Wahrscheinlich stecken ähnliche Ursachen dahinter.

STAATSANWALT nachdenklich. Eine Diskussion über Ihre Annahme, Herr Rat, würde uns zu weit führen, zumal ich persönlich keineswegs davon überzeugt bin, daß wirklich ein Mordversuch vorliegt.

RAT aufgebracht. Wieso denn nicht?! Es nimmt einer einen Fleischschlägel, also ein absolut taugliches Werkzeug, und drischt damit einer Frauensperson auf den Kopf! Noch dazu in tückischer Weise von rückwärts! Ein Gesellschaftsspiel ist das doch nicht! Sie werden hoffentlich nicht glauben, daß man so planmäßig in der beliebten Sinnesverwirrung vorgehen kann!

STAATSANWALT sachlich. Immerhin gibt es gewisse Fälle, in denen ein bloß psychisch mißhandeltes Individuum als letzten Ausweg aus lange und wehrlos erduldeter Qual einen Exzeß verübt, der scheinbar in keinem Verhältnis zu dem steht, was ihm zugefügt wurde.

RAT kalt. Das zu beurteilen, wird Sache der Geschworenen sein.

STAATSANWALT undurchdringlich. Ich habe allerdings die persönliche Empfindung, daß wir diesen Fall nicht vor die Geschworenen bringen können werden.

RAT bösartig. Ach so! Mit steigender Heftigkeit. Ich verstehe bereits. Die Staatsanwaltschaft interessiert sich nicht für den Fall. Die Staatsanwaltschaft möchte die causa gerne an das Bezirksgericht ab treten, und da kommt die hohe Staatsanwaltschaft in Ihrer geschätzten Person zu mir, um mir quasi nahezulegen, in der Voruntersuchung durch die Finger zu sehen. Natürlich! Man kann ja einen Dieb auch so verhören, daß es schließlich den Anschein hat, als habe ihm jemand das gestohlene Gut heimlich in die Tasche gesteckt. Gewiß kann man auch so verhören, aber Mit mühsam gebändigtem Grimm. diese Zumutung –!

STAATSANWALT nicht ohne Schärfe. Herr Rat irren sich! Ich habe nur von persönlichen Empfindungen gesprochen.

RAT stark. Hoffentlich irre ich mich! Denn andernfalls läge der Versuch vor, an meine richterliche Unabhängigkeit zu tasten, und darin bin ich sehr empfindlich, Herr Collega, sehr empfindlich! Geieraugen.

STAATSANWALT sich erhebend. Davon kann gewiß nicht die Rede sein.

RAT sich gleichfalls erhebend, unbeugsam. Ich werde also die Untersuchung, meiner Überzeugung gemäß, so lange in der Richtung des Verbrechens führen, als die Abtretung an das Bezirksgericht nicht rechtskräftig verfügt ist.

STAATSANWALT knapp. Selbstverständlich.

RAT mit kühler Verbeugung. Ich habe die Ehre, Herr Collega.

STAATSANWALT mit vollendeter Höflichkeit. Ergebenster Diener, Herr Rat.

 

Der Rat bleibt bei seinem Schreibtisch aufgerichtet stehen, dem Staatsanwalt nachsehend. Dieser verneigt sich noch einmal formell an der Tür. Indessen tritt.

 

DOKTOR ZWIRN mit allen Erregungszeichen eines Zuspätkommenden hinter dem Staatsanwalt durch die Mitteltür des Hintergrundes ein. Er behält die Schnalle der noch offenen Tür in der Hand und läßt den Staatsanwalt, vor dem er sich verbeugt, abgehen, schließt dann die Tür und bleibt, den Blick auf den Rat gerichtet, einige Augenblicke nächst der Tür stehen.

 

Doktor Zwirn ist klein, ungefähr sechsundzwanzigjährig und sieht, ohne es zu sein, etwas verwachsen und ungewaschen aus. Er hat schwarzes, gescheiteltes, wolliges Haupthaar und ebensolchen kleinen Schnurrbart. Sein Teint ist gelblich und unrein, seine Hände sind rot und hager. Er trägt Zwicker. Er spricht polnisch-akzentuiertes Deutsch mit starken Anklängen an den jüdischen Jargon. Sein schwarzer Salonrock und die dunkle Hose sind abgetragen. Er hält einen grauen Filzhut in der Hand.

 

DOKTOR ZWIRN mit kleinlautem Unterton. Guten Tag, Herr Rat.

RAT dienstlich. Herr Doktor Zwirn, ich teile Ihnen mit, daß ich mich über Sie soeben in aller Form beim Präsidium beschwert habe.

 

Blättert im Akt.

 

ZWIRN treuherzig. Herr Rat, heute tun Sie mir aber wirklich unrecht.

RAT ohne aufzusehen. Schon erledigt. Bitte mir übrigens den mir gebührenden Titel unverkürzt zu geben!

ZWIRN verlegen sich verbessernd. Pardon: Herr Landesgerichtsrat.

RAT. Bitte, rufen Sie mir jetzt die Zeugin Marie Dworschak auf! Da er bemerkt, daß Zwirn unschlüssig steht, unangenehm. Kann ich Ihnen mit etwas dienen?

ZWIRN mit der Erregung des Gekränkten. Herr Rat – Pardon: Herr Landesgerichtsrat! – jeden Beschuldigten läßt man sich verantworten.

RAT sich zurücklehnend, mit ironischer Resignation. Ach so, Sie wollen mir eine Geschichte erzählen Bitte! Aber möglichst kurz.

ZWIRN. Herr Rat, Sie wissen doch, daß ich schon auf dem Land wohn' –

RAT diabolisch. Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht.

ZWIRN. Ich erwähn' das nur, weil ich täglich mit der Bahn hereinfahr' in die Stadt und weil mein Zug heute gehabt hat fünfunddreißig Minuten Verspätung. Ein großes Unglück ist passiert! Mein Wort, ich bin noch ganz erschüttert davon.

RAT mißtrauisch, aber mit erwachendem Interesse. Soo? Was war denn?

ZWIRN dramatisch. In einer Station will aufspringen ein Mann auf den fahrenden Zug, kommt unter die Räder, und beide Füße werden ihm abgeführt. Ich hör' schreien, was sag' ich, brüllen, beug' mich hinaus zum Fenster, und ausgerechnet vor mir liegt der Mann im Blut! Ganz schlecht ist mir geworden.

RAT mit unterdrückter Erregung, heiser. Na und? So etwas sieht man doch nicht alle Tage!

ZWIRN mit nicht unkomischem Grauen. Gott behüte!

RAT kurz und rauh auflachend, dann sofort beherrscht. Abgesehen davon, daß dem Manne nur recht geschehen ist, da man ja bekanntlich auf fahrende Züge nicht aufspringen darf, so ist Menschenblut doch – schön! Wieder erregter werdend, sich vergessend und mit immer steigender Benommenheit im folgenden. Ich bin einmal zweiundsiebenzig Stunden hin und zurück nach Paris gefahren, für einen Tag, um einer Guillotinierung bei zuwohnen. Jawohl, um entfesseltes Menschenblut zu sehen! Das war gewiß der stärkste Eindruck meines Lebens. – Ich habe ja auch bei uns schon Hinrichtungen mitgemacht. Aber das Hängen reicht an das Köpfen bei weitem nicht hinan. Eine Justifikation, der das Pathos des Blutes mangelt, ist nur Surrogat. Erst das vergossene Menschenblut gibt eine Idee von der Größe der Gerechtigkeit. Nur wer Blut sehen kann, hat das Recht, ein Todesurteil zu fällen. Jawohl! – Dazu kommt in Frankreich, daß die Hinrichtungen öffentlich stattfinden. Und das ist recht so. Denn der von unabhängigen, gerechten Richtern verhängte Tod soll keine lichtscheue Beseitigung, sondern ein öffentliches Fest sein, das die beleidigte Rechtsordnung allen, die daran teilzunehmen geeignet sind, veranstaltet. Jawohl! Geieraugen, die sich höhnisch an dem ratlos betroffenen Gesichte Doktor Zwirns weiden. Dann plötzlich wegwerfend. Rufen Sie mir jetzt die Zeugin Marie Dworschak herein! Blickt wieder in die Akten, seine Erregung sichtlich niederkämpfend.

ZWIRN noch unter dem Eindruck des Gehörten, mit raschen, unsicheren Seitenblicken auf den Rat zur Tür. Er öffnet diese und ruft auf den Gang hinaus. Zeugin Marie Dworschak!

RAT blickt ihm mit Kopfhaltung nach und sieht ebenso dem Eintritt der Zeugin entgegen.

ZEUGIN MARIE DWORSCHAK tritt auf und nickt kurz mit dem Kopf.

 

Sie ist über Dreißig, hat blasses, etwas verquollenes Gesicht mit stechenden schwarzen Augen. Ihre Haare sind dunkelblond, die Frisur aufgedonnert. Sie trägt schwarzes Spitzenkopftuch, schwarze Satinbluse, dunkelroten Rock und dunkelblaue kurze Jacke. Im ganzen erweckt sie den Eindruck einer ausrangierten Prostituierten minderster Sorte, ist aber immerhin noch ziemlich hübsch. Sie spricht heiser und mit tschechischem Akzent.

Der Rat deutet ihr durch eine herrische Handbewegung an, sich auf den Sessel neben seinem Schreibtische zu setzen. Dieser Aufforderung kommt sie mit sichtlichem Widerwillen nach.

 

RAT dienstlich-mechanisch. Sie heißen Marie Dworschak. Ihre Generalien sind bereits im Akt. Sie werden als Zeugin vernommen. Das heißt, daß Sie in allem und jedem, worum ich Sie befragen werde, die volle und reine Wahrheit zu sagen haben. Andernfalls würden Sie das Verbrechen des Betruges begehen. Verstehen Sie mich?

DWORSCHAK nickt.

RAT. Sind Sie mit dem Beschuldigten Anton Gschmeidler verwandt oder verschwägert?

DWORSCHAK beleidigt. Das wär' noch schöner!

RAT energisch. Sagen Sie einfach: nein! – Sie sind bereits bei der Polizei einvernommen worden. Geben Sie acht, ich werde Ihnen den Sachverhalt, wie er aus Ihrer polizeilichen Aussage hervorgeht, kurz rekapitulieren. Das Folgende, das er aus den Akten entnimmt, spricht er nicht ohne Genugtuung über die eigene Darstellung. Sie leben mit dem Zahlkellner Leopold Kritzenberger in gemeinsamem Haushalt und haben mit diesem eine aus Zimmer und Küche bestehende Wohnung im vierten Stocke des Hauses V. Phorusgasse 11 inne. – Anfangs September vorigen Jahres machte Ihr Geliebter in dem Kaffeehaus, besser gesagt, in der Kaffeeschänke, in der er angestellt ist, die Bekanntschaft des Beschuldigten. Er nahm denselben in die Wohnungsgemeinschaft auf, wogegen sich der Beschuldigte verpflichten mußte, Ihnen und Ihrem Geliebten seinen gesamten Verdienst aus der Arbeit während der Strafzeit und seine Pfründe im Betrage von zwanzig Kronen monatlich abzuliefern. Ist das wahr?

DWORSCHAK gereizt. Für nichts kann man solchen Menschen doch nicht füttern!

RAT. Antworten Sie anständig! – Außerdem verwendeten Sie den Gschmeidler zu kleinen Verrichtungen in der Wirtschaft wie: zu Botengängen, zum Aufräumen, Schuheputzen usw.

DWORSCHAK. Das ist nicht wahr. Nur eigenes Bett hat er aufräumen müssen, nur eigene Schuh' putzen. Bin ich vielleicht Dienstbot' von ihm?

RAT bös. Lassen Sie alle Nebenbemerkungen! – Für die genannten materiellen und persönlichen Leistungen erhielt er von Ihnen Wohnung und Verpflegung in Ihrem Haushalte, außerdem von Zeit zu Zeit kleine Geldbeträge.

DWORSCHAK. Alle Wochen hat ihm mein Geliebter ganze Krone gegeben. Das wird doch genug sein!

RAT ungeduldig. Schön! – Am Vormittag des 22. Jänner dieses Jahres geschah es nun, daß der Beschuldigte zu Ihnen in die Küche kam, wo Sie mit der Zubereitung des Mittagessens befaßt waren. Er trat auf Sie zu und verlangte, angeblich in barschem Tone, etwas zu essen.

DWORSCHAK. Das glaub' ich, daß Ton barsch war!

RAT. Unterbrechen Sie mich nicht! – Sie sagten ihm, daß Sie momentan nichts für ihn zu Hause hätten, und wiesen ihn an, er solle zum Greisler gehen und sich etwas zum Essen kaufen. Hat er denn Geld gehabt?

DWORSCHAK. Der hat mehr Geld gehabt als wir!

RAT. Woher?

DWORSCHAK. Weiß ich?

RAT nach erbostem Blick. Gleichzeitig ersuchten Sie ihn, Ihnen etwas, dessen Sie zum Kochen benötigten, vom Greisler mitzubringen. Gschmeidler lehnte dies ab und begann, Sie zu beschimpfen.

DWORSCHAK mit Rachsucht. Und wie er g'schimpft hat!

RAT. Da Sie mit dem Gschmeidler allein in der Wohnung waren und sich angeblich vor ihm fürchteten, ließen Sie sich in keinen Streit mit ihm ein. Wieso hatten Sie übrigens Furcht vor ihm?

DWORSCHAK. Und ob ich Furcht gehabt hab'! Hat dieser Gschmeidler schon drei Tage vorher zur Partei vis-à-vis gesagt, daß er mich umbringen wird!

RAT. So? Das ist neu. Wie heißt die Partei?

DWORSCHAK eifrig. Frau Amalia Hansel, Witwe nach Gendarmeriewachtmeister.

RAT. Notieren Sie das, Herr Schriftführer. Die Frau werden wir vorladen.

DWORSCHAK wie oben. Ja, ja, ja! Laden S' nur vor!

RAT nach einem längeren Blick in die Akten. Sie kehrten sich also an die Schimpfreden des Gschmeidler nicht, sondern setzten zunächst Ihre Arbeit fort. Dann verabreichten Sie der Katze das Futter. Worin bestand dieses Futter?

DWORSCHAK mit scheinheiliger Freundlichkeit. Na, was halt Katzerl frißt: bissel Milch, bissel kalte Mehlspeis', was unsereins stehen laßt.

RAT. Sie fütterten also die Katze und knieten zu diesem Behufe auf dem Fußboden der Küche nieder. Dabei wendeten Sie dem Gschmeidler den Rücken. Dieser hatte sich inzwischen scheinbar beruhigt. Da hörten Sie plötzlich, wie sein Atem in ein heftiges Schnaufen überging. Sie waren im Begriffe, sich nach ihm umzuwenden, Sie vernahmen noch, daß er mit heiserer Stimme die Worte: »Jetzt bring' ich dich um, du Luder!« keuchte, Sie wollten aufspringen – erhielten jedoch im nächsten Momente mehrere wuchtige Schläge mit einem harten Gegenstande auf den Kopf.

DWORSCHAK die die Darstellung mit lebhaften Gesten begleitet hat, aufgeregt. Mit Fleischschlägel, Herr Gerichtshof, mit Fleischschlägel!

RAT abwinkend. Sie verloren im ersten Augenblicke das Bewußtsein, kamen jedoch alsbald wieder zu sich, sahen den Gschmeidler über Sie hingebeugt, nahmen Ihre Kräfte zusammen und liefen mit Hilferufen auf den Gang. – Soweit Ihre Aussage bei der Polizei. Halten Sie dieselbe aufrecht?

DWORSCHAK eifrig. Wahr! Alles wahr!

RAT. Herr Schriftführer, schreiben Sie: Die Zeugin hält ihre polizeiliche Aussage vollinhaltlich aufrecht und gibt über Befragen an – Nach einem Moment des Nachdenkens. Sie Dworschak, haben Sie das Gefühl gehabt, daß Sie der Beschuldigte um bringen wollte?

DWORSCHAK gereizt. Na, was denn? Wenn er schon drei Tage vorher zu Partei –

RAT ungeduldig. Ja, schön! – Sagen Sie mir, wie sind Sie, respektive Ihr Geliebter in den ersten drei Wochen Ihres Beisammenwohnens mit dem Gschmeidler ausgekommen?

DWORSCHAK falsch. Wie Kind im Haus war er bei uns in erster Zeit!

RAT. Wann hat sich sein Benehmen geändert?

DWORSCHAK. Viel später.

RAT. Das heißt: in den letzten vier Tagen vor der Tar. Nicht?

DWORSCHAK ausweichend. Seitdem halt Streit war mit meinem Geliebten.

RAT. Wann und warum hat der Beschuldigte mit Ihrem Geliebten Streit gehabt?

DWORSCHAK lauernd, verschlossen. Weiß ich?

RAT mit ironischem Erstaunen. So? Das wissen Sie nicht? – Na, dann werde ich es Ihnen später sagen. Sie Dworschak, in Ihrer Aussage befindet sich nämlich irgend ein Haken. Unterbrechen Sie mich nicht! – Irgend etwas stimmt da nicht. Wenn es tatsächlich wahr wäre, daß Sie der Gschmeidler nur deswegen, weil Sie ihn zum Greisler schickten und weil Sie momentan nichts für ihn zu essen hatten, zu ermorden versuchte – wenn dies, wie ge sagt, wahr wäre, dann hätten wir es mit der Tat eines Irrsinnigen zu tun Mit lauernder Beobachtung. und müßten den Gschmeidler, anstatt ihn zu bestrafen, in ein Narrenhaus stecken. Haben Sie Anzeichen von Irrsinn an ihm bemerkt?

DWORSCHAK aufgebracht. Ja freilich irrsinnig! Böser, rabiater Mensch ist er!

RAT. Hat er getrunken? War er an dem Tage der Tat betrunken?

DWORSCHAK. Woher soll er denn getrunken haben? War doch nicht außer Haus. Hat ganz gut gewußt, was er tut.

RAT. Protokollieren Sie, Herr Schriftführer: Der Beschuldigte war am kritischen Tage nüchtern. – Sie sagen, der Beschuldigte sei in den ersten drei Wochen verträglich gewesen und erst infolge eines Streites mit Ihrem Geliebten »rabiat« geworden. Fiel dieser Streit vielleicht nach einer Nacht vor, die Ihr Geliebter nicht zu Hause verbracht hatte?

DWORSCHAK verschlossen. Das weiß ich nicht. Mein Geliebter hat jeden zweiten Tag Nachtdienst und kommt erst um sieben Uhr früh nach Hause.

RAT. Aber es ist möglich, daß der bewußte Streit nach einer solchen Nacht, die Ihr Geliebter nicht zu Hause verbrachte, vorfiel! Ich erinnere Sie nochmals an Ihre Pflicht, die Wahrheit zu sagen.

DWORSCHAK unwirsch. Möglich ist schon.

RAT befriedigt. Aha! Geieraugen. Und was geschah in dieser Nacht?

DWORSCHAK unwillig. Was soll denn g'schehn sein? Geschlafen haben wir.

RAT. Wer »wir«?

DWORSCHAK nachäffend. Wer »wir«? Losbrechend. Ich und Gschmeidler!

RAT. Wo haben Sie und wo hat der Gschmeidler geschlafen?

DWORSCHAK. Ich im Bett und Gschmeidler auf Strohsack.

RAT. Im selben Zimmer?

DWORSCHAK. Natürlich im selben Zimmer. Wir haben doch nur ein Zimmer.

RAT scharf. Sie Dworschak, antworten Sie anständig!

DWORSCHAK macht unwillige Bewegungen der unterdrückten Wut.

RAT Geieraugen. Da konnte also der Gschmeidler genau beobachten, was im Zimmer vorging.

DWORSCHAK kurz. War nichts zum Beobachten.

RAT eindringlich, unwidersprechbar. Sie sollen in jener Nacht einen fremden Menschen bei sich im – Zimmer gehabt haben.

DWORSCHAK aufgebracht. Das ist nicht wahr!

RAT ruhig. Der Gschmeidler hat alles deutlich gehört und gesehen.

DWORSCHAK. Was so ein alter Verbrecher lügt, muß nicht wahr sein!

RAT beinahe demütig. Es ist durch die Hausmeisterin, die ich als Zeugin vernommen habe, erwiesen, daß Sie einige Tage vor der Tat um zwölf Uhr nachts mit einem fremden Menschen in Ihre Wohnung gingen, und weiter erwiesen, daß derselbe fremde Mensch um vier Uhr früh das Haus, respektive Ihre Wohnung verlassen hat.

DWORSCHAK schon schwankend, aber noch frech. Ah, Leute reden gar viel im Haus.

RAT ruhig. Die Hausmeisterin hat als Zeugin vor Gericht ausgesagt. Wenn Sie also nicht behaupten wollen, daß sie falsch ausgesagt und dadurch das Verbrechen des Meineides begangen habe, dann geben Sie diesen Umstand ruhig zu.

DWORSCHAK gehässig. Ich weiß nicht, bin ich Zeugin oder Angeklagte?

RAT sachlich. Sie sind Zeugin. Und deshalb haben Sie auch die Pflicht die volle und reine Wahrheit auszusagen. Sie dürfen aber auch nichts verschweigen, was Ihnen bekannt ist. Nur in dem Falle, daß Ihnen die Aussage strafgerichtliche Verfolgung oder Schande zuziehen könnte, haben Sie das Recht, dieselbe zu verweigern –

DWORSCHAK triumphierend. Ich verweigere die Aussage!

RAT mit höhnischer Überlegenheit fortfahrend, stark. Das ist aber hier nicht der Fall. Denn: da Sie mit dem Kritzenberger nicht verheiratet sind, so begründet eine Untreue gegen ihn nicht die Übertretung des Ehebruches, kann Ihnen daher auch nicht strafgerichtliche Verfolgung zuziehen. Da Sie ferner, wie erhoben ist, vor Ihrem Verhältnisse mit dem Kritzenberger Prostituierte und daher an den gleichzeitigen Umgang mit mehreren Männern gewöhnt waren, so kann Ihnen nicht zugemutet werden, daß Sie einen gelegentlichen Rückfall in Ihre früheren Gewohnheiten als Schande empfinden. Plötzlich mit Gewalt. Antworten Sie mir daher, hatten Sie in der bewußten Nacht einen fremden Menschen bei sich oder nicht?!

DWORSCHAK unwirsch. Es war kein fremder Mensch.

RAT. Also ein Bekannter aus Ihrer früheren Praxis! Zynisch lächelnd. Das kommt auf's selbe heraus. Jedenfalls war es ein anderer Mann als Ihr Geliebter. Protokollieren Sie das, Herr Schriftführer! – Sie Dworschak, ich habe Sie um diese Umstände nicht deshalb befragt, weil Ihnen das Gericht aus Ihrer Handlungsweise etwa einen Vorwurf machen wollte. Im Gegenteil, das Gericht hat nicht die Absicht, Ihr Vergnügen zu stören. Wohl aber konnte der Beschuldigte, der Sie vielleicht bis zu jener Nacht für eine anständige Person gehalten haben mag, durch jenen Vorfall, dessen Zeuge er sein mußte, auf den Gedanken gekommen sein, etwas von Ihnen zu wollen, was Sie außer Ihrem Geliebten auch einem anderen Manne gewährten. Das wäre nur menschlich. Ich frage Sie daher: war der Beschuldigte nach jener Nacht eifersüchtig? Oder hat er Ihnen vielleicht sogar Anträge gemacht, die darauf ausgingen, Sie so zu besitzen, wie Sie in seiner Gegenwart vermutlich besessen worden sind?

DWORSCHAK schweigt mit allen Anzeichen starker Erregung.

RAT aufbrausend. Darüber müssen Sie mir Auskunft geben! Jetzt ist meine Geduld zu Ende!!

DWORSCHAK heiser. So alten Kerl möcht' ich gar nicht anrühren!

RAT Geieraugen. Das ist eine andere Sache. Ich frage Sie nochmals –

DWORSCHAK losbrechend. Wenn dieser alte Vagabund, dieser Zuchthäusler, dieser abgestrafte Falott vielleicht gesagt hat –! Hält keuchend inne.

RAT sich im Sessel hoch aufrichtend, Geieraugen zwingend. Nun?!!

DWORSCHAK außer sich, schreiend. Ich bin anständige Person! Ich hab' niemand Anträge gemacht! – Was gewesen ist, ist vorbei! Jetzt bin ich anständige Person. Seit drei Jahren bin ich treu meinem Geliebten. Nur einmal, ausnahmsweise, ist was passiert! Kann mir kein Mensch was nachsagen. Geht niemand was an! Mit Klassenhaß. Wenn armes Mädel Kind kriegt, muß Geld nehmen, wo's liegt! Kann's nicht verhungern lassen! Und wenn auf Straßen gehn muß! Mit weinerlicher Wut. Kann's nicht verhungern lassen! Kann's nicht verhungern lassen! Schluchzt ein paarmal kurz auf, dann wieder rauh. Und niemand mach' ich Anträge!

RAT dessen Gesicht während des Ausbruches der Zeugin allmählich einen höhnischen Ausdruck angenommen hat, mit diabolischer Freundlichkeit. Regen Sie sich nur nicht auf, Dworschak. Ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie dem Gschmeidler, sondern ob der Gschmeidler Ihnen Anträge gemacht hat. Nur das letztere interessiert das Gericht. Für das indirekte Geständnis, daß Sie der aggressive Teil waren, haben wir keine Verwendung.

DWORSCHAK erbost schreiend. Wer war agrestiver Teil? Ich? Ich bin anständige Person!! Er war agrestiver Teil! Nicht ich! Er war!

RAT wieder aufgerichtet. Also doch er?! Erzählen Sie davon!

DWORSCHAK innerlich arbeitend. Jetzt werd' ich alles erzähl'n. Wie's war, werd' ich sagen. Nichts als die Wahrheit werd' ich sagen –

RAT ungeduldig ermutigend. Na also!

DWORSCHAK unsicher aber immer sicherer werdend. Wie fremder Gast weg war – um vier Uhr früh – ist Gschmeidler zu meinem Bett kommen und hat g'sagt – Sie stockt und sieht zu Boden.

RAT. Nun?!

DWORSCHAK wieder unsicher. Alles wird er meinem Geliebten sagen, hat er g'sagt, wenn – Einen Moment zögernd, dann mit Entschluß. wenn ich ihm nicht auch –

RAT scheinfreundlich. Was? – Na, genieren Sie sich nicht!

DWORSCHAK sich selbst betäubend. Ah, ich genier' mich nicht. Was brauch ich mich genieren? Ich hab' ihm nicht Antrag gemacht! Mit Selbstaufmunterung. Er hat mir Antrag gemacht!

RAT. Nun, das wäre schon kein Antrag mehr, das wäre Erpressung gewesen –

DWORSCHAK sich daran klammernd. Natürlich, Erpressung! Erpressung, natürlich, natürlich!

RAT lauernd. Wenn es – nur wahr ist, Sie Dworschak! Er faßt sie durchdringend ins Auge.

DWORSCHAK unter seinem Blick hilflos. Warum soll denn nicht wahr sein?

RAT mit tiefer Stimme. Sie Dworschak, kann ich das, was Sie jetzt über den Gschmeidler gesagt haben, protokollieren lassen? Überlegen Sie sich's gut! Denn wenn es Ihnen vielleicht auch die irdische Gerechtigkeit nicht nachweisen können sollte, falls Sie gelogen haben, Mit wohlberechnetem Pathos. es ist ein Gott im Himmel! An den glauben Sie doch, Dworschak! Nicht?

DWORSCHAK kleinmütig. O ja! Wenn eins so viel mitgemacht hat –

RAT väterlich. Bleiben Sie also dabei, daß Ihnen der Beschuldigte nach den Vorgängen der bewußten Nacht die angegebenen Anträge gemacht hat? Ja oder nein?

DWORSCHAK nach einigem Kampf, beteuernd. Aber ja, aber ja!

RAT rasch. Waren Sie diesen Anträgen gefügig?

DWORSCHAK wegwerfend. Ah, wo werd' ich!

RAT. Hat Sie der Beschuldigte daraufhin bei Ihrem Geliebten verklagt?

DWORSCHAK bösartig, auflachend. Hat verklagen wollen! Hat ihm mein Geliebter aber gleich Ohrfeigen geben!

RAT mit diabolischem Lächeln. So? – Ihre Aussage resümiert sich also dahin: Sie haben vor der Tat an dem Beschuldigten keinerlei Anzeichen eines abnormalen Geisteszustandes bemerkt. Hingegen hat sich derselbe zu einer Frau im Hause verlauten lassen, daß er Sie noch einmal umbringen werde. Am Tage der Tat war der Beschuldigte vollkommen nüchtern. Der Anlaß war der mehrfach erwähnte Streit, den Sie konform mit Ihrer Aussage bei der Polizei schildern. Sie geben zu, daß Sie in der bewußten Nacht einen fremden Mann bei sich gehabt haben, und behaupten, daß nach Entfernung dieses Mannes der Beschuldigte Ihnen erpresserische Anträge in einer gewissen Richtung gestellt hat. Haben Sie sonst noch etwas anzugeben?

DWORSCHAK zuckt die Achseln.

RAT. Also nein. Haben Sie alles protokolliert, Herr Schriftführer?

ZWIRN schreibend. Gleich, Herr Rat.

RAT nachdem Doktor Zwirn fertig geschrieben hat. Lesen Sie sich das Protokoll durch, Dworschak, und unterschreiben Sie es! Dann können Sie gehen. Er lehnt sich in seinen Sessel zurück und versinkt in Nachdenken.

DWORSCHAK geht zum Schriftführer hinüber, liest das Protokoll und unterschreibt es. Dann steht sie zögernd da und sieht den Rat an.

RAT barsch. Wollen Sie noch etwas?

DWORSCHAK schweigt, dann gibt sie sich einen Ruck und sagt sehr freundlich. Küss' die Hand, Herr kaiserlicher Rat.

RAT mit höhnischem Lächeln. Adieu.

DWORSCHAK ab.

RAT erhebt sich und geht in mißvergnügtem Nachdenken auf und ab.

DOKTOR ZWIRN der sich gleichfalls erhoben hat, bescheiden, aber bestimmt. Herr Rat –

RAT in Gedanken, ungern gestört. Bitte?

ZWIRN. Glauben Sie, daß das wahr ist, was die Zeugin gesagt hat?

RAT unangenehm berührt. Was?

ZWIRN. Na, das.

RAT geärgert. Drücken Sie sich gefälligst etwas präziser aus!

ZWIRN. So ein alter Mann wie der Beschuldigte wird doch der jungen Person keine Anträge machen.

RAT überlegen, abweisend. Sie kennen das Leben nicht, junger Mann! – Übrigens wird es Sache der öffentlichen Verhandlung sein, darüber Klarheit zu schaffen. In ihr wird die Zeugin Gelegenheit haben, ihre Aussage zu wiederholen oder zu widerrufen.

ZWIRN hartnäckig. Bis dahin hat sie sich aber möglicherweise an die Lüge gewöhnt und bringt sie ganz anders vor als bei uns. Wir haben sehen können, wie sie hat mit sich gekämpft, wie der Verdacht, daß sie dem Beschuldigten Anträge gemacht haben könnte, ihr weibliches Ehrgefühl verletzt und den Gedanken erzeugt hat, das Umgekehrte zu behaupten. Wir haben das gesehen, aber der Gerichtshof und die Geschworenen werden das wahrscheinlich nicht sehen! Hab' ich recht?

RAT mißgünstig. Herr Doktor Zwirn – Ihre Bemerkungen mögen an sich sehr lichtvoll sein, heben Sie sich aber Ihre Beredsamkeit für die Zeit auf, wo Sie Verteidiger sein werden. Höhnisch. Das werden Sie doch, nicht?

ZWIRN familiär. Kann auch sein, daß ich eintret' in das Geschäft von meinem Vater.

RAT mit ironischer Gemütlichkeit. Na, wie Sie wollen. Rufen Sie mir jetzt den Zeugen Leopold Kritzenberger! Blickt ihm, der nach stummer Verbeugung zur Tür im Hintergrund geht, mit gehässiger Kopfhaltung nach.

ZWIRN auf den Gang rufend. Zeuge Leopold Kritzenberger!

ZEUGE LEOPOLD KRITZENBERGER tritt auf.

 

Er ist gegen Vierzig. Fahles, übernächtiges Gesicht mit großem rotblondem Schnurrbart. Dunkles, gescheiteltes Haar. Niedere Stirn, rotgeränderte ausdruckslose Augen. Er trägt unsauberen Smokinganzug mit schmutzigem weichem Vorhemd. Darüber schäbigen, kurzen, gelben Überzieher und dazu grünen Steirerhut mit Gamsbart.

 

KRITZENBERGER kellnermäßig. Guten Morgen, habe die Ehre, die Herrn!

RAT barsch. Setzen Sie sich!

KRITZENBERGER. Bin so frei. Setzt sich.

RAT. Sie werden als Zeuge vernommen, haben daher die volle und reine Wahrheit zu sagen. Verstehen Sie?

KRITZENBERGER hochdeutsch. Ich sage immer die Wahrheit. Das ist mein Prinzip.

RAT sarkastisch. Um so besser. Bei der Tat selbst waren Sie nicht anwesend, können über dieselbe daher nichts aussagen. Sie werden lediglich darüber befragt werden, ob Ihnen vor der Tat an dem Beschuldigten Anzeichen einer geistigen Störung aufgefallen sind.

KRITZENBERGER wichtig. Aus dessen Grunde glaube ich, Herr kaiserlicher Rat, daß der Mensch verrückt gewesen sein muß, weil ein vernünftiger Charakter so etwas nicht tut.

RAT geärgert. Ich frage Sie nicht, was Sie glauben, sondern, ob Sie etwas beobachtet haben.

KRITZENBERGER verständnislos. Alsdann, Herr kaiserlicher Rat, ich muß vorausschicken, daß der Gschmeidler überhaupt ein rabiater Mensch ist. Er hat sich in meiner Anwesenheit erfrecht, meine Frau –

RAT außer sich. Es ist zum Verzweifeln! – Wieder gefaßt. Sie, schwätzen Sie nicht herum! Ich frage Sie nochmals: haben Sie vor der Tat irgendwelche Zeichen einer Geistesstörung, Verrücktheit oder überhaupt ein außergewöhnliches Betragen des Beschuldigten bemerkt? Ja oder nein?

KRITZENBERGER eingeschüchtert. Vor der Tat? – Nein.

RAT. Ist der Gschmeidler ein Trinker?

KRITZENBERGER. Hier und da wird er sich schon a Vierterl g'kauft haben.

RAT nach verzweifeltem Seufzer. Haben Sie ihn jemals betrunken gesehen?

KRITZENBERGER. Ist mir nicht aufgefallen.

RAT. Hat er sich vielleicht am Tage vor der Tat betrunken?

KRITZENBERGER gemütlich. Aber da san mir ja bis zirka elfe Nacht beieinander g'sessen und haben tarokiert in der Kuchel!

RAT. Sie sollen aber einige Tage vor der Tat mit dem Gschmeidler einen Streit gehabt haben. Warum und wie ist es dazu gekommen?

KRITZENBERGER ausholend. Das hat sich folgendermaßen abgespielt, Herr kaiserlicher Rat: ich komm' in der Früh um zirka achte aus meinem Nachtdienst nach Hause. Da hör ich auf dem Gang vor meiner Wohnung in der Küche drinnen meine Frau schreien. »Ich lass' mir das nicht gefallen!« hör' ich s' schreien. Ich sperr' die Wohnungstür auf, und wie mich die beiden ansichtig werden, sind s' auf'm Fleck still. Ich frag' meine Frau, sie gibt mir keine Antwort, ich frag' den Beschuldigten, er gibt mir keine Antwort. Mir ist das zu dumm, und ich schrei' den Gschmeidler an, was er mit meiner Frau herumzustreiten hat. Herr kaiserlicher Rat, da is Ihna dieser Mensch rot word'n wie a Piperhahn, und wissen S', was er g'sagt hat? – »Sie möchten auch eine bessere Frau verdienen, als dös Luder!«

RAT boshaft belustigt. Na also, das ist ja sehr schmeichelhaft für Sie.

KRITZENBERGER. Aber nicht für meine Frau! Na, ich hab' ihm aber auch gleich eine g'schmiert, entschuldigen schon.

RAT. Und haben Sie sich darüber keine Gedanken gemacht, wieso der Gschmeidler dazu kommen konnte, Ihre Geliebte so zu beschimpfen?

KRITZENBERGER ritterlich. Da gibt's doch nix zum Gedanken machen! Jeder Mann in meiner Lage hätte so gehandelt.

RAT vieldeutig. Immerhin waren Sie doch die Nacht vor diesem Auftritte nicht zu Hause gewesen! KRITZENBERGER. Das versteh' ich nicht.

RAT boshaft. Um so besser für Sie. Ablenkend. Sagen Sie mir –

KRITZENBERGER stutzig. Meine Frau ist eine anständige Frau!

RAT. Wie man's nimmt. – Sagen Sie mir, haben Sie bemerkt, daß sich der Gschmeidler um Frauenzim mer gekümmert hat?

KRITZENBERGER nicht bei der Sache. Das weiß ich nicht.

RAT. Haben Sie vielleicht bemerkt, daß er die Dworschak irgendwie angesehen hat, als ob er etwas von ihr gewollt hätte? Sie verstehen mich.

KRITZENBERGER plötzlich angstvoll. Herr kaiserlicher Rat, wenn Sie vielleicht was wissen –

RAT auflachend. Sehr gut! Sie wollen das Gericht als Auskunftsbureau benützen!

KRITZENBERGER losbrechend. Wenn leicht der Gschmeidler, dieser Hund –!

RAT sich aufrichtend. Ruhig!! Sie sind bei Gericht!

KRITZENBERGER unbeirrt. Wenn der leicht behauptet, daß er mit meiner Frau was g'habt hat –!

RAT. Niemand hat das behauptet! Oder hat Ihnen die Dworschak dergleichen erzählt?! Geieraugen.

KRITZENBERGER niedergeschmettert. Mir hat s' nix erzählt! – Da steckt was dahinter!

RAT sich weidend. Gewiß steckt etwas dahinter. Aber das geht Sie nichts an.

KRITZENBERGER flehentlich. Herr kaiserlicher Rat, wenn Sie vielleicht was wissen –

RAT. Sie sind nicht vorgeladen worden, um das Gericht zu befragen, sondern um vom Gericht befragt zu werden. Aber Sie wissen nichts oder wollen nichts wissen. Habe ich auch nicht anders erwartet.

KRITZENBERGER wild. Gut. So wer i mi selber derkundigern! Und wenn i was derfahr', dann kann sich der alte Zuchthäusler anschaun – und das Mensch a!

RAT. Werden Sie sich anständig benehmen!

KRITZENBERGER unbeirrt. Mir is alles wurscht! Aber i derfahr's! Schmerzlich gesenkt. I derfahr's! Plötzlich wieder demütig, außer sich. Herr kaiserlicher Rat – ich bitt' Ihnen um Gottes willen – i kenn' mi nimmer aus – i waß net, was i tua!

RAT angeekelt. Spielen Sie keine Komödie!

KRITZENBERGER schluchzend. Wann mir die Marie net treu is – was hab' i denn dann auf der Welt? – Für wem plag' i mi dann –?

RAT. Pfui Teufel! Wie ein Weib sind Sie! Sich abwendend. Herr Schriftführer, schreiben Sie: Der Zeuge gibt an, daß er vor der Tat keinerlei Anzeichen einer Geistesstörung an dem Beschuldigten bemerkt habe. Derselbe sei auch kein Trinker gewesen und habe sich insbesondere am Abend vor der Tat nicht betrunken. Der Zeuge hat nicht bemerkt, daß der Beschuldigte es auf die Dworschak abgesehen gehabt habe, auch habe ihm dieselbe keine diesbezüglichen Mitteilungen gemacht. Zum Zeugen barsch. Sie haben gehört, was ich diktiert habe. Wenn Sie damit einverstanden sind, unterschreiben Sie das Protokoll!

KRITZENBERGER rührt sich nicht.

RAT gereizt. Herr Doktor, lesen Sie ihm das Protokoll vor!

KRITZENBERGER trotzig. I will nix vorg'lesen und i unterschreib' a nix.

RAT gleichmütig. Schön. Herr Doktor, schreiben Sie: Der Zeuge verweigert die Anhörung des Protokolls und die Unterschrift. – Sie können schon gehen, Kritzenberger.

KRITZENBERGER aufgestanden. Aber jetzt möcht' i mei Zeugengebühr!

RAT scheinbar darauf eingehend. Wie groß ist Ihr Anspruch?

KRITZENBERGER versöhnter. Drei Kronen verlier' ich am Vormittag.

RAT. Also drei Kronen. Als wenn es ihm erst jetzt einfiele. Übrigens, stehen Sie denn als Zahlkellner im Tag- oder Wochenlohn?

KRITZENBERGER. Nein, aber meinen Schaden hab' ich doch!

RAT schadenfroh, brutal. Das Gesetz gewährt aber nur jenen einen Anspruch auf Zeugengebühr, die im Tag- oder Wochenlohn stehn. Empfehle mich!

KRITZENBERGER grimmig in sich hineinmurmelnd, mit gehässigem Blick ohne Gruß ab.

RAT ihm erst mit Kopfhaltung nachblickend, dann sich vergessend. Mit solchen Subjekten muß man sich an einen Tisch setzen!

DOKTOR ZWIRN begütigend. Ein armer Teufel, Herr Rat –

RAT abschneidend. Herr Doktor, ich danke für Privatgespräche. Telephoniert. Vorführzimmer!! – Vorführen auf Abteilung siebenundsechzig den Anton Gschmeidler von Zelle einundachtzig! Aber rasch!!

 

Pause. Der Rat lehnt sich in seinem Sessel zurück. Doktor Zwirn schreibt. Nach Verlauf von zirka einer Minute hört man vom Gange her schwere Schritte und das Klirren eine Schlüsselbundes. Dann wird die Tür energisch aufgemacht, und der Beschuldigte.

 

ANTON GSCHMEIDLER tritt in Begleitung eines Justizsoldaten ein. Er steht an der Tür unschlüssig und niedergeschlagen. Der Justizsoldat entfernt sich nach militärischem Strammstehn und Gruß.

 

Anton Gschmeidler ist mittelgroß, schmächtig, etwas gebeugt in seiner Haltung. Gutes, altes österreichisches Gesicht. Kurzgeschorene grauweiße Haare, Kinn und Wangen voll langer weißer Bartstoppel, Schnurrbart nach abwärts, wirr und weiß. Sieht aus wie ein alter Einspännerkutscher. Trägt abgetragenen Anzug von

undefinierbarer Farbe und weder Krawatte noch Hemdkragen.

 

RAT mit Handbewegung. Dahersetzen! Rasch aus dem Akt. Sie heißen Anton Gschmeidler, sind 51 Jahre alt, katholisch, ledig, in Wien geboren und zuständig.

GSCHMEIDLER nickend. Jawohl.

RAT. Sie sind vorbestraft und zwar wegen Mordes, begangen an dem Schlossermeister Gustav Wuck. – Nachdem Ihnen anläßlich der Amnestie der Rest Ihrer lebenslänglichen Kerkerstrafe nachgesehen wurde, haben Sie zuletzt bei dem Zahlkellner Leopold Kritzenberger und dessen Konkubine als Bettgeher gewohnt. Wie haben Sie diese Leute kennengelernt?

GSCHMEIDLER freundlich. Ganz durch Zufall. – Ich hab' den Kritzenberger in seinem Kaffeehaus kennengelernt, wo er Marqueur ist. Er ist mir gleich gut zu G'sicht gestanden. Da hab' ich ihm halt alles erzählt, wer ich bin und woher ich komm' und daß ich halt gar keinen Unterstand hab'. Da hat er mich gleich eing'laden, daß ich bei ihm und seiner Frau wohn'. Na, ich war damals froh, daß ich so einen guten Menschen gefunden hab'.

RAT boshaft. Die Einladung bestand darin, daß Sie dem Kritzenberger alles, was Sie an barem Gelde besaßen, abliefern und sich verpflichten mußten, auch Ihre monatliche Pfründe von zwanzig Kronen an ihn abzuführen. Also gar so weit her war es mit der Güte dieses Menschen nicht.

GSCHMEIDLER mild. Na ja, das stimmt schon. Aber dafür hab' ich doch auch mein Wohnen gehabt und mein Essen. Wer nimmt denn gleich einen entlassenen Sträfling ins Haus? Umsonst kann man das nicht verlangen.

RAT. Warum haben Sie sich nicht nach Arbeit umgesehen?

GSCHMEIDLER mit gütiger Überlegenheit. Umschauen ist leicht, aber Kriegen ist schwer, Herr Richter.

RAT. Was haben Sie vor Ihrer Abstrafung für einen Beruf gehabt?

GSCHMEIDLER schlicht. G'lernter Schlosser bin ich.

RAT. Na also, Schlosser werden ja auch heute noch benötigt.

GSCHMEIDLER. Aber, Herr Richter! Wer nimmt denn einen alten Mann, wo so viele junge gelernte Leute herumrennen und verhungern!

RAT. Reden Sie sich nicht aus! Fleiß und Anständigkeit haben noch immer ihr Auskommen gefunden.

GSCHMEIDLER weise. Ja, sagt man – aber wahr is's net.

RAT mißvergnügt. Sie waren also im Hause Kritzen berger so gut aufgenommen, daß Sie zum Dank dafür die Dworschak erschlagen wollten.

GSCHMEIDLER sich verwahrend. Wer sagt denn, daß ich s' hab' derschlagen wollen?

RAT. Na, Ihnen ist alles zuzutrauen.

GSCHMEIDLER. Nein, nein! Vom Erschlagen kann keine Red' nicht sein. Züchtigen hab' ich s' wollen. Das geb' ich schon zu. Denn das hat s' verdient.

RAT. Wieso?

GSCHMEIDLER beinahe schmerzlich. Das ist ein gar schlechtes Frauenzimmer, Herr Richter –

RAT. Und wenn schon! Was geht das Sie an?

GSCHMEIDLER wie früher. Da plagt sich so ein braver, fleißiger Mensch Tag und Nacht für das Weibsbild, nur daß er ihr alles schafft, was so eine in ihrem Übermut verlangt, und dann geht sie her und nimmt sich den ersten besten von der Straßen! – Ah, reden wir lieber net, Herr Richter –

RAT sarkastisch. Ein sonderbarer Heiliger sind Sie, Gschmeidler.

GSCHMEIDLER ergeben. Wohl, wohl, heilig kunnt' man schon werden, wenn man sechsundzwanzig Jahr' lang Pappschachteln g'leimt hat.

RAT ironisch. Sie wollen also offenbar sagen, daß Sie die moralische Entrüstung über das liederliche Verhalten der Dworschak zur Tat veranlaßt habe. Sie werden jedoch zugeben, daß man Ihnen ein so empfindliches sittliches Gefühl nicht gut zutrauen kann. Auch ist die Untreue einer Frauensperson gegenüber einem Manne, mit dem sie nicht verheiratet ist, kein solches Verbrechen, daß ein gänzlich Unbeteiligter wie Sie an ihr deshalb die Todesstrafe vollziehen dürfte. Oder Sie waren kein Unbeteiligter! Geieraugen.

GSCHMEIDLER unbefangen. Das muß doch einen jeden empören, Herr Richter.

RAT wegwerfend. Ah, reden Sie nicht! Sie haben schon einmal einen Menschen wegen eines Frauenzimmers umgebracht – aus Eifersucht!

GSCHMEIDLER verletzt, aufbrausend. Das war kein so ein Frauenzimmer! Das war meine Braut! Die hat mir Treue geschworen gehabt fürs ganze Leben! Und dann ist dieser Mensch – Gott hab' ihm selig – hinter meinem Rücken hergangen und hat ihr Verleumdungen über mich g'sagt und hat ihr selber das Heiraten versprochen und hat s' verführt, und dann hat er s' sitzen lassen. Weggeworfen wie was Schlechtes meine Hermine, meine Braut! Dafür hab' ich ihm umbracht! Net wegen Eifersucht.

RAT höhnisch. Wie kommt es dann, daß die Dworschak hier vor Gericht als Zeugin ausgesagt hat, Sie hätten ihr in der bewußten Nacht, nachdem sich der fremde Mann entfernt hatte, ganz bestimmte unsittliche Anträge gestellt?

GSCHMEIDLER verzeihend. Das is ja g'logen, Herr Richter.

RAT gefährlich. Geben Sie acht, was Sie sagen! Die Dworschak hat sogar weiter behauptet, daß Sie ihr gedroht haben, Sie würden alles dem Kritzenberger mitteilen, wenn sie, die Dworschak, sich Ihnen gegenüber nicht auch gefügig erweisen sollte. – Lassen Sie mich ausreden! – Und in der Tat haben Sie auch den Versuch gemacht, dem Kritzenberger zu tratschen, sind aber von diesem »guten« Menschen mit Ohrfeigen abgespeist worden! Geieraugen.

GSCHMEIDLER empört. So is dös net wahr, Herr Richter! – Wie der fremde Herr in der Nacht weg war, da hab' ich der Fräuln Marie g'sagt, daß ich alles g'hört und g'sehen hab' und daß sie sich schamen soll und daß ich's dem Kritzenberger erzählen werd', wenn sowas noch einmal vorkommt. Aber wie der Kritzenberger in der Früh nach Haus kommen is, da hat s' ihm glei mit die Wort' empfangen: »Du, Poldi, der alte Zuchthäusler behaupt', daß ich heut nacht an fremden Menschen bei mir g'habt hab'. Das laß ich mir net g'fall'n!« Mit gesenkter Stimme. Na, und da hat er ihr halt mehr geglaubt als mir und hat mich geschlagen. Wieder lebhaft. Aber von dem Tag an war's aus und g'schehn, Herr Richter! Von dem Moment an hat mir die Dwor schak nix mehr zum Essen geben. Aber dafür hat s' mi den ganzen Tag umerdum g'hetzt: einmal zum Greisler, einmal zum Mehlmesser, zum Drogisten, in die Trafik, zum Branntweiner. Zehnmal im Tag fünf Stöck' auf und ab! I bin ja ein alter Mann, Herr Richter! Und wenn i net glei hab' gehn woll'n, so hat s' g'sagt: »So kriegst nix zum Fressen, du Hund!« Da bin i halt gangen. Und wenn i dann zurückkommen bin und hab' s' bitt: »Fräuln Marie, geben S' mir jetzt a Schluckerl Kaffee!« – da hat s' g'lacht und g'sagt: »Am Gang is d' Wasserleitung. Das ist der beste Kaffee für an alten Zuchthäusler!« Gesenkt. So is das fortgangen durch vier Täg'!

RAT boshaft. Sie spielen sich jetzt auf den Märtyrer hinaus. Warum haben Sie sich nicht beim Kritzenberger beklagt?

GSCHMEIDLER schwer. Ich hab' mit einmal Schläg' genug gehabt.

RAT. Und wie war das am Tage der Tat? Da hat Sie die Dworschak wieder zum Greisler geschickt. Warum sind Sie nicht gegangen?

GSCHMEIDLER aufgeregt. Vier Tag' nix im Magen, Herr Richter! Ich war schon ganz schwach vom Hungerleiden!

RAT. Es hat sich aber gezeigt, daß Sie gleich darauf sehr stark waren – mit dem Fleischschlägel! GSCHMEIDLER mit dramatischer Steigerung. In der Verzweiflung, Herr Richter, in der Verzweiflung! – Denn wie ich der Fräuln Marie g'sagt hab', daß i net geh', da is sie zum Küchenkastel gangen, hat's aufg'sperrt und hat mir a Häferl zeigt, wo s' kalte Nudeln von gestern drin g'habt hat. Die hat s' mir unter's G'sicht g'halten und hat g'spott': »Siehgst, die Mehlspeis' hätt'st zum Fressen kriegt, wanns d' mir zum Greisler gangen warst! So kriegt's die Katz!« – I hab' ihr gar nix mehr antworten können und hab' s' nur ang'schaut. – Dann is sie hergangen und hat die Nudeln in a Reindl geben und Milch draufgossen aus an Flaschl. – I hab' immer nur g'schaut. – Und dann hat s' die Katz g'rufen. »Miez, Miez, Miez!« hat s' g'rufen. Aber die Katz is net kumma! Die is hinterm Herd g'hockt und hat kan Hunger g'habt. – Da hat s' a Wut kriegt und hat die Katz hinterm Herd fürizog'n. Dabei hat s' mi von der Seiten ang'schaut, was i für a G'sicht mach'. Und dann hat s' der Katz die Nasen in die Milch einig'stößen und hat g'sagt: »Friß, Miezerl, friß! Gut – gut! Sonst frißt's der alte Zuchthäusler!« Dabei hat sie sich auf d' Erd niederkniet und hat das Viech um jeden Preis nötigern wolln! – Da is mir plötzlich ganz schlecht wor'n, Herr Richter! I hab' nimmer g'wußt, was i tua! So wahr ein Gott im Himmel ist, i hab' nimmer g'wußt, was i tua!

RAT aufgeregt. Sie Gschmeidler, Ihre Verantwortung ist sehr schön, aber sie hat ein Loch. Sie stellen die Sache so dar, als hätten Sie die Tat in einem momentanen unwiderstehlichen Zwange oder in Sinnesverwirrung verübt –

GSCHMEIDLER überzeugend. Im unwiderstehlichen Zwang!

RAT unbeirrt. Dem ist aber nicht so. Sie sollen nämlich bereits geraume Zeit vor der Tat einer gewissen Frau Hansel gegenüber geäußert haben, daß Sie die Dworschak noch einmal umbringen würden. Also hatten Sie den Mord bereits erwogen. Oder leugnen Sie, jene Äußerung getan zu haben?!

GSCHMEIDLER. I leugn' nix! Möglich ist's schon. Wie man halt so redt, wenn man in der Verzweiflung ist.

RAT funkelnd. Sie geben also die Äußerung zu?

GSCHMEIDLER. Aber ja, Herr Richter.

RAT aufgeregt. Sie stenographieren doch hoffentlich, Herr Doktor?

DOKTOR ZWIRN. Jawohl, Herr Rat.

RAT scheinbar teilnahmsvoll. Sie Gschmeidler, wenn das wahr ist, was Sie früher erzählt haben – und ich glaube es Ihnen beinahe – dann ist es Ihnen bei den Kritzenbergers ja sehr schlecht gegangen.

GSCHMEIDLER. In der letzten Zeit wohl.

RAT immer erregter. Haben Sie denn keine Ver wandten, an die Sie sich wenden konnten?

GSCHMEIDLER mit leiser Bitterkeit. An Bruder hab' ich, der hat's Schlosserg'schäft von meinem Vater verkauft und is jetzt Gemeinderat.

RAT. Sind Sie zu dem nicht gegangen?

GSCHMEIDLER. Wohl, wohl. Er hat mir fünf Gulden geben und hat mir viel Glück auf den Lebensweg gewünscht. Da bin i wieder fort.

RAT väterlich. Und sonst haben Sie keine Verwandten?

GSCHMEIDLER. Ah schon, aber die haben mich gar nimmermehr kennt. Und etliche, die haben mich net kennen wolln und haben mich ang'schaut wie einen verstorbenen Geist. – Na, i hätt' s' ja a nimmer kennt, wenn i sie auf der Straßen begegnet hätt'. Überhaupts, keinen Menschen hab' i mehr kennt in der ganzen Stadt. In die Vorstadt bin i gangen, wo meinem Vatern sein G'schäft war. Glauben S', i hab's g'funden? Net einmal das Haus steht mehr, wo's drin war! – Und wie ich dann endlich vor dem neuen Laden g'standen bin und les' gar an wildfremden Namen und nur ganz klein in der Klammer: Johann Gschmeidlers Nachfolger – da hab' i g'spürt, daß i g'storben bin für das Schild und für die Leut a. Immer mehr in sich versinkend. Ja, ja. – Und dann hab' i den Garten gesucht von meinem Vatern. Ja freilich! Dort steht jetzt a Fabrik. Und das Wirtshaus zur Roten Brezen is a net mehr. Und wo i früher jedes Gesicht gekannt hab' auf der Straßen, da sind lauter fremde Leut gangen. I hab' niemand mehr kennt. Und dann bin i in die innere Stadt hinein, Herr Richter. Du lieber Gott! Grad daß no der Stefansturm auf seinem alten Platz steht! – Es is a andere Stadt, Herr Richter, und i kenn' niemandn mehr, und mich kennt auch niemand mehr. Das is so viel wie g'storbn – aus und amen.

RAT in höchster aber bemeisterter Erregung, mit Geieraugen, aber gütig verstellter, innerlich zitternder Stimme. Haben Sie sich da nicht in die Strafanstalt zurückgesehnt, Gschmeidler? – Dort waren Sie ja gut angeschrieben, und schlecht geht es einem ja nicht in der Strafanstalt, wenn man sich nur brav verhält, und Sie haben sich brav verhalten! Das weiß ich. Sie war ja Ihre zweite Heimat, die Strafanstalt, Ihr zweites Vaterhaus. Das andere haben Sie ja verloren.

GSCHMEIDLER dumpf vor sich hin. Verloren –

RAT immer erregter. Und dann: dort hat man Sie schon lange gekannt, und auch Sie haben Menschen gekannt, wenn es auch nur Ihresgleichen waren. Auch hat Ihnen dort sicher niemand vorgeworfen, daß Sie vor langer, langer Zeit einmal einen Menschen umgebracht haben! Denn dazu waren Sie ja dort, um es zu büßen und zu sühnen! – Haben Sie sich da nicht in die Strafanstalt zurückgesehnt, Gschmeidler?

GSCHMEIDLER ohne aufzusehen. Einesteils schon, Herr Richter.

RAT kaum mehr an sich haltend. Und andernteils haben Sie doch gewußt, daß es nur einen einzigen Weg gibt, wieder dahin zurückzugelangen! Seine Stimme ist bei den letzten Worten aus der Rolle gefallen.

GSCHMEIDLER dadurch stutzig geworden, blickt auf und sieht den glühenden Geierblick auf sich gerichtet; er schrickt zusammen. Jesus Maria!!

RAT aufgerichtet, unentrinnbar, mächtig. Und dieser eine Weg war ein neues Verbrechen!!

GSCHMEIDLER in höchster Bestürzung. Herr Richter! Herr Richter!

RAT in höchster Anspannung. Denn das wissen Sie, daß leichte Verletzungen nur mit Arrest bestraft werden!

GSCHMEIDLER mechanisch. Nur mit Arrest!

RAT funkelnd. Daraus folgt, daß Ihre Absicht auf eine schwere Verletzung der Marie Dworschak gerichtet war, wenn nicht gar auf deren Tod!

GSCHMEIDLER aufstehend, hilflos. Ich hab' s' net umbringen wollen!

RAT ist gleichfalls aufgestanden.

GSCHMEIDLER die Hände faltend, ganz still, wie ein Kind. Ich hab' s' nicht umbringen wollen! Züchtigern ja! Züchtigern –!

RAT eisern. Aber so »züchtigern«, daß Sie wieder in die Strafanstalt kommen! Ja oder nein?!

GSCHMEIDLER sich auf den Sessel fallen lassend. In Gottes Namen – Gemartert. Ja!!

RAT triumphierend, aufatmend. Na also!

DOKTOR ZWIRN ist schon früher aufgestanden und steht nun beinahe über Gschmeidler gebeugt da. Sein sonst so häßliches Gesicht ist von schöner Milde.

RAT saturiert, lächelnd. Nun, Herr Doktor Zwirn? – Nicht wahr, Sie werden die Güte haben, das Protokoll aus dem Stenogramm ins reine zu übertragen! Aber nur das Wesentliche, Herr Doktor! Morgen werden wir es dann dem Beschuldigten vorlesen. Sind Sie damit einverstanden, Gschmeidler?

GSCHMEIDLER der ganz in sich versunken dagesessen war, nickt jetzt beinahe zufrieden.

DOKTOR ZWIRN hat sich niedergesetzt und richtet, seine Aufregung verbergend, den Blick auf Gschmeidler.

RAT mit ironischem Lächeln zu Zwirn. Das hat Sie, wie mir scheint, sehr hergenommen, Herr Doktor! Er zündet sich eine Zigarre an. Da werde ich schon selber telephonieren müssen, daß der Be schuldigte abgeführt werde. Oh, bitte sich nicht zu bemühen, Herr Doktor! Telephonierend. Vorführzimmer! – Bitte abführen von Abteilung siebenundsechzig! – Ja, danke. – So, und ich gehe jetzt zu einer Obduktion. Es ist gerade Zeit. Sowas lasse ich mir nicht gerne entgehen. Er steht aufgeräumt und Wolken passend auf.

 

Vom Augenblick an, da der Rat, am Tische sitzend, die ersten Rauchwolken ausgeblasen hat, ist mit Gschmeidler eine Veränderung vor sich gegangen. Der stumpfe, teilnahmlose Gesichtsausdruk ist einer tierischen Verklärtheit gewichen. Er beginnt zu schnuppern und den Rauch einzuziehen. Er gerät dabei in eine Art Aufregung und fängt auch an, sich die Rauchwolken verstohlen zuzufächeln. Doktor Zwirn hat es bereits bemerkt, nun im Aufstehen bemerkt es auch der Rat.

 

RAT erstaunt, aber nicht unfreundlich. Was machen Sie denn da?

GSCHMEIDLER leise, animalisch. Guat, Herr Richter, guat! Zieht den Rauch ein.

RAT kurz auflachend. Sonderbarer Mensch!

GSCHMEIDLER beinahe flehentlich. Wann ich wenigstens was zum Rauchen hätt', Herr Richter! Nach einem begehrlichen Blick in die Aschenschale auf dem Tische des Rates. Derfert ich mir das Stummerl da nehmen?

RAT wieder hart. Nein.

GSCHMEIDLER. Nur a paar Züag, Herr Richter –!

RAT. Hören Sie auf! Selbst wenn ich wollte, ich darf Ihnen nichts zu rauchen geben. Er geht in den Hintergrund, wo er sich ankleidet. Dann halbwegs freundlich. Adieu, Herr Collega. Ab durch die Mitteltür des Hintergrunds.

DOKTOR ZWIRN macht eine stumme Verbeugung dem Rat nach, aber seine Blicke sind auf Gschmeidler gerichtet, der nun ganz stumpf dasitzt, förmlich kleiner geworden. Zwirn steht ein paar Augenblicke in innerer Erregung, dann nimmt er vorsichtig, als fürchtete er überrascht zu werden, eine Zigarre aus seinem Etui. Ein paar Sekunden hält er sie unschlüssig in der Hand, dann streckt er diese mit der Zigarre langsam und zaghaft dem Gschmeidler über den Schreibtisch hin.

GSCHMEIDLER wird aufmerksam, blickt auf, sieht die Zigarre und das ergriffene Gebaren Doctoris Zwirn. Eine plötzliche Freude tritt von innen in seine Augen. Ohne die Zigarre anzusehen, den Blick in Zwirns Antlitz gerichtet, nähert er seine Hand der Zigarre. Fast hat er sie ergriffen, da tritt der.

JUSTIZSOLDAT ein und pflanzt sich an der Tür auf. Im Moment seines Eintrittes ist Doktor Zwirn mit der Hand zurückgeschreckt, wobei ihm die Zigarre entfallen ist.

GSCHMEIDLER hat die Hand sinken lassen, aber er sieht Zwirn unverwandt an.

JUSTIZSOLDAT barsch. Kommen Sie mit!

GSCHMEIDLER mit letztem, gerührtem Blick leise, verständnisinnig. Gelobt sei Jesus Christus! Sieht Zwirn an, als wolle er ihm die Antwort suggerieren.

ZWIRN errötend, wie nach der richtigen Antwort im Gedächtnis suchend, dann sie gefunden habend, sich befreiend, leise. In Ewigkeit, Amen. Dann stärker, ein wenig vorgebeugt. In Ewigkeit, Amen!

GSCHMEIDLER nickt ihm im Abgehen freundlich zu, dann mit dem Soldaten ab.

DOKTOR ZWIRN wendet sich dem Zuschauerraum zu. Sein Gesicht ist von edler Hilflosigkeit.

 

Der Vorhang fällt langsam.