Anton Wildgans
Österreichischer Lyriker und Dramatiker 1881 - 1932
Gedichte von A - D
Gedichte von E - I
Gedichte von J - S
Gedichte von T - Z
Sonette an Ead
Sonette aus dem Italienischen
Liste der Gedichte zeitlich geordnet

Gedichte von E - I

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Ein Aas

(Geschrieben 9.3.1912; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung: nach Charles Baudelaire)

 

Denkst du, Geliebte, noch an jenen Tag?

Ein Sommermorgen war’s voll süßem Scheinen;

Da, an der Biegung unsres Pfades, lag

Ein ekles Aas auf hingestreuten Steinen.

 

Die Beine aufgespreizt wie ein unzüchtig Weib,

Vor Hitze schwelend lag es, giftige Blasen

Ausschwitzend, schamlos seinen Unterleib

Herzeigend, schwanger von verruchten Gasen.

 

Der Sonne Glut half dieser Fäulnis nach,

Um sie der Mutter Erde garzukochen

Und so zurückzugeben hundertfach,

Was jene einst gefügt zu Fleisch und Knochen.

 

Der Himmel sah aufbrechen dieses Aas

Wie eine Blume, und so niederträchtig

War der Gestank, daß du beinah ins Gras

Zu sinken drohtest, deiner nicht mehr mächtig.

 

Fliegen umsummten den verwesten Bauch,

Aus dem es kam in schwarzen Würmerschwaden,

Die, wie ein Brei aus aufgeplatztem Schlauch,

Rannen aus diesem wüsten Klumpen Maden.

 

Dies alles war ein wogend Auf und Ab,

Ein surrend Hin und Her, ein wimmelnd Eilen.

Der Rumpf, dem irgendwas Bewegung gab,

Schien sich in tausend Leben aufzuteilen.

 

Und diese Welt gab fremde Melodie

Wie rinnend Wasser oder Windeswehen,

Jener der Weizenkörner ähnelnd, die

Die Bauern in den Schwingen rhythmisch drehen.

 

Was Form war, schwand, ward, wie auf Leinwand, nur

Ein Abriß, einer Wirklichkeit Vermächtnis,

Langsam vergegenwärtigte Kontur,

Die man zu Ende zieht aus dem Gedächtnis.

 

 

 

Hinter den Felsen eine Hündin maß

Uns ungeduldig mit erbostem Leuchten,

Begierig, fortzusetzen ihren Fraß

An dem Skelett, von dem wir sie verscheuchten.

 

Und dennoch, Liebste, einmal gleichst auch du

Dem Unrat da und diesem Pestgestanke,

Stern meiner Augen, meine Sonne du,

Engel und leidenschaftlicher Gedanke.

 

Ja, Herrin aller Reize, einst wird man

Auch dir die letzten Sakramente reichen,

Und, unter Gras und Blütenwirrnis dann,

Wirst du vermodern so wie andre Leichen.

 

Dann, meine Holde, melde jener Brut,

Die dich verspeist mit brünstigem Genage,

Daß ich dein göttlich Teil, wenn Fleisch und Blut

Auch längst zersetzt sind, heil im Herzen trage!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ein altes Lied

(Geschrieben 23.10.1901, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht stammt aus einer frühen Jugendzeit und ist, sowohl formal als auch dem Gefühls­kreis nach, nur als Stufe zu werten auf dem Wege zu eigenem Ton und zum Ausdruck des eigenen Ich)

 

 

Mein Mädel hat einen Pavillion,

Drin verkauft es Zigaretten.

Es winkt mir in der Ferne schon

Das Köpfchen der kleinen Koketten.

 

Tagtäglich bringt mich ein kleiner Kauf

Dem süßen Kobold näher,

Ein schelmisch Lächeln krieg´ ich drauf,

Drum komm´ ich umso eher.

 

Mein Mädel sitzt den ganzen Tag

In seinem Schneckenhäuschen,

Doch mit dem zehnten Glockenschlag,

Da schlüpft heraus mein Mäuschen.

 

Husch – husch – vorbei im flinken Lauf,

Als fürchtete es Diebe –

Der Kater huscht – schnappt – frisst es auf –

Vor lauter, lauter Liebe.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Ein Becher

(Geschrieben im Juli 1905; Erstveröffentlichung in „Die Zeit“ , Wien Nr. 1077, Beilage Die Sonntags-Zeit am 24.9.1905;  Erstveröffentlichung in Buchform im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht gewährt ebenso wie „Harlekinade" und „Der arme Narr betet" tiefe Einblicke in die ungewöhnlich subtile Seelenverfassung einer hochorganisierten, aber durch das Schicksal und die eigene Veranlagung nach vielen Richtungen hin gehemmten Jünglings-Persönlichkeit. Begegnete man diesem jungen Menschen mit dem ernsten, leidgezeichneten Antlitz, der hohen Stirne und dem gütig-forschenden Blick, so erlag man unfehlbar der star­ken Wirkung, die von ihm ausging)

 

 

Ein Becher voller Trunkenheit und Schäumen,

Glutstärk’re Sonnen reiften dir die Reben,

Du spendest Sehnsucht – Sehnsucht ist das Leben,

Der Wünsche Spiegelbild in lieben Träumen.

 

An deinem Rande zögert meine Lippe –

Andringt der Lärm verworrner Lebensmahle,

Dort draußen feiern Larven und Gerippe:

Trug und Ernücht’rung ihre Bacchanale

 

Dort draußen dreht die Welt in irrem Kreisel,

Das Heiligste wird Ware dem Gemäkel,

Liebäugelnd schwingt der Tugendbold die Geißel,

Nackt geht die Sünde, schlecht verkappt der Ekel.

 

Dort sind die Wünsche dünne Seifenblasen,

Am Strohhalm zitternd spielerischer Launen –

Und jene Menschen kennen nicht das Staunen,

Das Weisheit quellt und Trunkenheit und Rasen.

 

Drum will ich dir die rote Rebe geben

Von meinem Haupt, du wundersame Schale –

Einsam mit dir bei heiligem Bacchanale,

Trinke ich Sehnsucht – Sehnsucht ist das Leben. 

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Ein fallender Stern

(Geschrieben auf der Weltreise im Hafen von Gibraltar auf dem Dampfer „Meteor" am 8.November 1904; Erstveröffentlichung in „Anton Wildgans – Ein Leben in Briefen“ Band 1, herausgegeben von Lilly Wildgans 1947)

 

Ein fallender Stern

Im Himmelsraum —

Woher und wohin? —

Der Feuertraum

Einer Welt,

Die fällt

Und zerschellt —

Entflammen — Verglühn —

Der Mensch,

Auf einsamer Wacht,

Sieht ein Fünkchen fliehn

Durch die lautlose Sommernacht. —

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ein Feldherr

(Geschrieben 1912, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für Conrad von Hötzendorf im Jahre 1912.— Das Gedicht entstand in einer Zeit, da es gewal­tig im Gebälk der Welt knisterte, wo der Krieg unvermeid­lich schien und im letzten Augenblick doch noch immer ab­gewendet wurde und wo eine Menschheit, die „Krieg" aus eigener Anschauung ja nicht kannte, der bewaffneten Aus­einandersetzung als einer Katharsis und der Möglichkeit zu neuem Aufschwung das Wort redete)

 

 

Viele hat Gott zu Dichtern gemacht

Und gibt ihnen kein Lied.

Da wandern sie durch die klingende Nacht

Und schauen die Ströme mit silberner Fracht

Und atmen der Gärten verdunkelte Pracht,

Und Ströme und Gärten und klingende Nacht

Wird ihnen brustzersprengendes Leid —!

Und dies freut Gottes Neid.

 

Viele hat Gott zu Baumeistern gemacht

Und gibt ihnen keinen Stein.

Da wandern sie durch die hämmernde Nacht

Und tragen dunkelnder Dome Pracht,

Gerüste und Dome und hämmernde Nacht

Im Herzen unter dem Bettlerkleid —!

Und dies freut Gottes Neid.

 

Und jenen hat Gott zum Feldherrn gemacht

Und gibt ihm keinen Krieg.

Da wandert er durch die donnernde Nacht

Und trägt in feiner Stirne die Schlacht

Und hört schon die Seinen aufrauschen: Sieg!

 

Da rasen Schwadronen

Aus seinem Traum,

Und die Kanonen

Mähen den Raum,

Bis von blutigen Garben

Dunkelt das Feld —!

Und er ist der Sieger, der Retter, der Held!

 

 

 

 

 

Doch wenn er erwacht

Aus Gebrüll und Gehämmer

Geträumter Schlacht,

Steht Gott auf der Wacht

Und weidet die Lämmer

Und weidet sie gut —

Noch ist nicht Zeit

Für ihr springendes Blut.

 

Nur manchmal zieht Gottes Wille

Jenen aus seiner Nächte

Brustzersprengender Stille

 Hervor wie ein Schwert

Und hält

Ihn gegen den Himmel —!

Dann riecht´s nach Gewittern

In der Welt,

Und die Völker zittern.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Ein Frühlingstag

(Geschrieben 3.4.1913, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916)

 

 

Und wieder rührte sich der Erde Schoß

In Frühlingswehen, und der Föhn war los.

Kam über blaue Berge hergefacht

Und weckte all Gedränge über Nacht.

Aus holperiger Höfe Pflasterritz

Schoß lieben Unkrauts grüner Aberwitz.

Selbst auf berußter Stadtbahnböschung war

Zart hingesprenkelt heller Primeln Schar.

Und als ich früh im Parke mich erging,

Trug jedes Zweiglein ein grüngolden Ding.

Beim Schlehdornstrauch, der blühte, stand ein Greis:

Beim Weiß des Frühlings Alters Silberweiß.

Und Kinder schlenkerten an Mutterhand

Die kurzen, plumpen Beinchen übern Sand.

Und alles, was in lichten Farben kam,

Schien freigeräumt von Sorge, Zwist und Gram.

Fernabgedämpft der Straßen Wirrgedröhn

Half nur, des Parkes Stille zu erhöhn.

Einander haschend hoch im Frühlingswind

Trieb zarter Wölkchen blondes Ingesind.

 

Da plötzlich, wie ein roher Peitschenknall,

An Weges Biegung Pulverblitz und –schall!

Aus einer schwergefurchten Arbeitshand

Fiel eine Waffe rauchend in den Sand.

Ein grauer Klumpen wie ein Schatten sank

Von einer heiter-übersonnten Bank.

Gebrochne Augen, aufgesprengte Stirn,

Gewühlt in eine Pfütze Blut und Hirn! –

Auf einmal sind die Häuser nahgerückt

Und wie mit irren Augen hergebückt.

Vom Schlachthaus nebenan der Ziegelschlot

Droht wie ein Finger auf zu Gott blutrot.

Von Dunst verschüttet, ist das Sonnenlicht

Jetzt gelb wie Eiter, der aus Schwären bricht.

Und blaugedunsen nieder in den Rauch

Lastet der Himmel wie ein trächtiger Bauch,

Aus dem dereinst, wenn alle Maße voll,

Der Rächer jener niederkommen soll,

Die, so wie wir mit Herz und Wunsch begabt,

An solchem Frühlingstag kein Teil gehabt. 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ein Herz, allein ...

(Geschrieben 25.12.1912, Erstveröffentlichung in der „Neuen Freien Presse“ 1912; dann im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Der Inhalt dieses mit der Jahres­zahl 1912 versehenen Gedichtes wird bereits in einem Brief an meine Mutter vom 7. November 1908 ganz genau fest­gehalten, so daß angenommen werden kann, daß die erste Niederschrift des Gedichtes schon damals erfolgte: „Noch war ich ja fast niemals ich selbst. Wie ein Glockenturm kam ich mir des öfteren vor, der neben einer verfallenen Kirche irgendwo auf der Landstraße steht. Und alle, die des Weges kamen: Menschen, der Kummer, das Elend, die Sorge und Not traten durch die erbrochene Tür in den Turm und rissen mit unbarmherzigen, gedankenlosen Händen an den Strän­gen der Glocke, wie aus Übermacht oder voll Verachtung für das überflüssige Geläute, das keine Gläubigen mehr zum Gebet ruft. Verstehen Sie dieses Gleichnis, gnädige Frau? Und begreifen Sie die Sehnsucht des einsamen Turmes, wie­der von frommen, liebevollen Händen behütet zu sein, wie einstmals in fernen Kindertagen — aber das ist so lange her, daß alle Nachklänge längst stumm und wirkungslos wurden." Die nie überwundene Tragik des Verlustes der Mutter, deren früher Tod nicht nur für den Knaben, sondern auch für den Jüngling bis ins Mannesalter hinein viele Qual der Vereinsamung mit sich brachte. Aus dieser durchlittenen seelischen Not entstanden dann, als sich der junge Mensch das Ventil des dichterischen Bekenntnisses geschaffen hatte, Gedichte, wie „Stiller Gang", „Ein Herz allein", „Verlorene Stunden", „Das fremde Glück"; aber auch „Machtspruch", „Träume", „Ergebnis", „Entfremdung". Alle eben genannten Gedichte entstammen dem gleichen Erlebnisurgrund)

 

 

Ein Herz, allein in diesem Ungeheueren:

Die Welt —

Auf hellen Marktes Pranger

Schaugestellt,

Daß jeder, der sich dreist

Mit seinem Pfennigslicht an Geist

Aufspielt und brüstet,

Drauf speien mag,

Wie 's ihn gelüstet —

Und dieses Tag für Tag.

 

Ein Herz, allein in diesem Ungeheueren:

Die Welt —

Wie eine Glocke aufgehängt

In morschem Turm,

Dem Sturm

Des Tores heilige Flügel aufgespellt,

Daß jeder, der vorübertrottet,

Das Seil,

So aus dem dämmernden Gestühl

Herniederhängt,

Mit Händen, geldverrottet

Und gierversengt,

Antasten mag

Und läuten mag,

Was solch ein Wurm

Begeisterung benamset und Gefühl —

Und dieses Tag für Tag.

 

Dies Herz, allein in diesem Ungeheueren:

Die Welt —

Zum Hohne hingestellt

Gedunsenem Gelichter —

Dies Glockenspiel,

Geläutet fremder Lust —

O diese Menschenbrust,

Tönend von Leid —

Dies Herz, allein und ohne Rast,

Nur trüb geliebt, doch klar gehaßt,

Als Gast zu Last —

Von Ewigkeit zu Ewigkeit:

Der Dichter.

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ein Interview

(Geschrieben um 1915, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Die Entsendung von Berichterstat­tern auf die Kriegsschauplätze, wo sie mit den kommandie­renden Generälen und anderen wichtigen Persönlichkeiten Fühlung nahmen, war im ersten Weltkrieg sehr gebräuchlich. Als der Feldmarschalleutnant Aurel de Le Beau, der spätere Generalstabschef des Kommandanten der Italienarmee, Boroevic, am östlichen Kriegsschauplatz einem solchen Inter­view unterzogen wurde und darüber in den Zeitungen zu lesen stand, verfaßte Anton Wildgans dieses Gedicht. Er pflegte es mit ungarisch-deutschem Akzent vorzutragen)

 

 

„Eljen a haza!" Haben Sie gelesen,

Daß der Schmock ist beim Le Beau gewesen

Und den General hat ausgefragt?

Und der General — was soll er machen —

Hat ihm halt erzählt ein paar so Sachen,

Wag man halt in solchen Fällen sagt.

 

Alles andre macht der Roda Roda,

Der in seinem Fach ist, was der Skoda

Unter den Kanonenmenschen ist.

Sein Betrieb ist gleichfalls ungeheuer,

Was er liefert, das ist gut und teuer

Ein Vergnügen, wenn man so was liest!

 

Auch der Herr Erzherzog darf nicht ruhen,

Muß sich lassen interviewen,

Hat noch erst den Schmock zur Front geschickt,

Hoffend, daß auf irgend einem Mugel

Irgend eine abgeirrte Kugel

Ihm vom Kopf den frechen Schädel zwickt.

 

Gott jedoch vermocht es nicht zu walten,

Schmock hat sich in Deckung aufgehalten,

Kam den Kugeln lieber nicht zu nah-

Und des Abends zu der Dinnerstunde,

Als die Herren saßen in der Runde,

War der Schmock lebendig wieder da.

 

 

 

 

 

Hat sich an den Prinzen angeschwänzelt,

Ihn mit tausend Fragen angetrenzelt

Und nach jedem kleinsten Wort geschnappt,

Und daraus — na ja, was sag' ich Ihnen,

So ein Schmock versteht doch zu verdienen –

Ganzes Feuilleton zusammgepappt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ein Pfingstgedicht

(Geschrieben 1925/1931, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

 

Immer noch brüteten ihre Gemüter

Ober dem ungeheueren Tag,

Da der Felsen, des Grabes Hüter,

Morgens neben dem Eingang lag.

 

Und sie betraten in ahnendem Jammer

Dumpfes Gewölbe und suchten nach ihm,

Aber sie fanden ihn nicht in der Kammer,

Nur die Stimme der Cherubim

 

Tönte, er wäre auferstanden,

Eingegangen in Herrlichkeit,

Sie aber sollten in allen Landen

Künden das Wunder der Menschenheit.

 

Daran erkannten sie ihren Meister:

Was er verlangte, war immer zu groß.

Ihre verschüchterten Alltagsgeister

Fühlten sich hilflos, geschlagen und bloß.

 

Arme Fischer und Tagewerker,

Eines Gehenkten verhöhntes Gefolg,

Unter dem Drohen der römischen Kerker

Sollten sie treten vor alles Volk:

 

Sollten bekennen, was keiner von ihnen

Glaubte: daß er erstanden war'.

Oh, sie wollten ja gerne ihm dienen,

Aber dieses, es war zu schwer!

 

Da erbebten auf einmal die Lüfte

Über den Häuptern der Jüngerschar.

War es die Stunde schon, da sich die Grüfte

öffneten, wie es verheißen war?

 

Saß er schon oben, zur Rechten des Vaters,

Haltend das fürchterliche Gericht,

Spien die Tiefen des Höllenkraters

Schon die verdammten Seelen ans Licht?

 

 

 

Aber da hoben die ängstlich Gedrückten

Blinzelnde Blicke und fielen aufs Knie,

Denn aus goldenen Brünsten zückten

Flammende Zungen hernieder auf sie.

 

Und sie schmeckten in ihren Mündern

Süßen Vorgeschmack des Martertods.

Und sie waren auf einmal Verkünder

Eines gewaltigen Liebesgebots.

 

Und sie gingen über die Erde

Ohne den Meister und doch nicht verwaist,

Und sie wurden die Hirten der Herde,

Psalmodierend dem Heiligen Geist.

 

Und sie priesen ihn noch in Fesseln,

Häuptlings verröchelnd in Kreuzigungsqual,

Unter dem Schwert und in siedenden Kesseln

Und geschunden am Marterpfahl.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ein schlichtes Buch nur, ohne alle Zier

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Widmungsgedicht in eines seiner Bücher für seine Söhne)

 

 

Ein schlichtes Buch nur, ohne alle Zier,

Doch sei es, Kind, die Schönste Gabe dir.

 

Es haben drin die Besten ihrer Zeit

Ein freundlich Zeichen mir für dich geweiht.

 

Hab' ihrer jedem tief ins Aug geschaut,

Als Geist dem Geiste oder freundvertraut,

 

Hielt jeder in der seinen meine Hand,

Und edel war, was uns zusammenband.

 

Was immer ich dir sonst vererben kann,

An diesen Wert reicht nichts davon heran.

 

Nur wer die Menschen in den Besten ehrt,

Ist selbst ein Bester und der Ehren wert.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Einem Brautpaar

(Geschrieben 1925, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Geschrieben anläßlich der Hochzeit Marietta Windbichlers d. J. mit Dr. Walter Strauß.)

 

 

Ihr rüstet euch, ein Leben euch zu bauen!

Glück zum Beginne! Doch es ist nicht leicht.

Dag Höchste, was der Mensch zu zweit erreicht,

Ist Duldung für den andern und Vertrauen.

 

Die Liebe? — Ja!! Sie führte euch zusammen!

Und wehe jenen, die sie nicht verband!

Allein die Liebe ist ein jäher Brand.

Dem Herde aber ziemt auch andres Flammen.

 

Daß immer Wärme sei und Rast und Klarheit,

Daß Mann und Weib, was immer beide tun,

Fest auf einander wie auf Gott beruhn,

Dies wirken nur: die Güte und die Wahrheit.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Einem jungen Richter zur Beeidigung

(Geschrieben 25.5.1911 in Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: In diesem großen Appell faßte der Dichter alles das zusam­men, was ihm nach den vielen gewonnenen Erfahrungen unerläßliche Vorbedingung für die Berechtigung schien, über Angeklagte ein richterliches Urteil zu fällen)

 

 

Du bist so jung – War nicht in deiner Hand,

Die vor dem Kreuze du erhobst zum Eid,

Ein Zittern noch gerührter Eitelkeit,

Die zu dir raunte und dich überwand:

Oh, über Nacht ist Macht

In mich gekommen – viele Macht - !? -

 

Du Kind, den Büchern kaum

Entwachsen, wissend kaum, was Leben

Und Jammer ist, du, wie ein junger Baum

Noch biegsam, Kind du: über allem Traum

Von Macht und Ich ist die Gerechtigkeit

Und das Gesetz, an dessen Purpursaum

Du deine Finger legtest heut’ zum Eid.

 

Vergiß es nicht. Du bist ja auch nur Mensch

Und so wie wir, die deines Spruches warten.

Und dieses Leben ist ein wirrer Garten,

In dem das Unkraut wuchert und der Edeltrieb

Sich spärlich fristet – Hab ihn lieb

Und such ihn überall. Denn es kann sein,

Daß er in Dornen ist. Und wenn du strafst,

Weil das Gesetz es will, tu’s nicht erbost

Wie eine Rache, sondern so, daß Trost

Noch ist in der Notwendigkeit.

 

Und glaube jenen nicht, die Zahn um Zahn

Und Aug um Auge heischen, Dies ist Wahn

Und rührt aus einer blutig-finstern Zeit,

Du aber diene dieser. Denn sie schreit

Nach ihrem Recht. Ihr Recht ist deine Pflicht.

Drum sei auch nicht

Büttel und Sklave am geschriebnen Wort.

Denn alles, was geschrieben steht, verdorrt,

Wenn es gedankenlos ein stumpfer Knecht

Betreut. Den Gärtner braucht das Recht,

Den selbstlos-weisen, der mit seinem Blut

Den Weinberg düngt. Denn ohne dies wird das

Gesetz zum Hohn und die Gerechtigkeit

Ein eitel Haschen nach dem Wind.

So gib auch du dein warmes Blut, du Kind,

Und all dein Herz – denn dieses will dein Eid.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Einem Schauspieler

(Geschrieben vor 1911; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung: Max Devrient nach einem Vorleseabend aus Werken des Dichters gewidmet)

 

 

Eh’ wir das Leben kennen, kennen wir euch,

Des Lebens Former, Deuter und Spieler.

Und wähnen, es sei auch für uns so reich,

Und müssen erst bange suchen, und vieler

Weisheit bedarf es, eh’ wir durch Leiden begreifen

Im Schein der Kunst des Seins Vollendung und Reifen.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

Einem Tätigen

(Geschrieben vor 1911; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911)

 

 

Für Träumer ist nicht Platz in dieser Zeit,

Die rastlos ist und sparsam im Verschenken.

Ihr Eisenkitt aus rasselnden Gelenken,

Er überdröhnt, was ihn nicht überschreit,

Und schüttert die Gehirne, daß die denken.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Einem, dem ich nichts verschweige

(Geschrieben 3.März 1913, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916– Anmerkung von Lilly Wildgans: Widmung für Dr. Friedrich Haymerle, einem innigen Freund seit früher Jugend, in einen Sonderdruck von „Sonette an Ead“)

 

 

Ich habe manches bittre Lied gesagt,

Doch Bittersteg von allen Bitternissen

Ist, eines Tages, jäh erschreckt, zu wissen,

Daß Gift und Fäulnis an der Freundschaft nagt.

 

D e m hat die Kraft zum eignen Werk versagt,

D e n hat dag Leben aus der Form gerissen,

D e n hat die Schlange Eifersucht gebissen,

Und jenem hat sein Weib den Freund verklagt.

 

Nun hassen Sie, und ihre Augen weichen

Dem Freundesblick wie scheue Tiere aus.

Und gibst du ihnen ein vertrautes Zeichen

 

Von ehedem, sie stehen kalt und gleichen

Einst wirtlichem, nun ausgestorbnem Haus,

Wo böse Geister durch die Zimmer schleichen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Einem, der ein Dichter ist

(Geschrieben 1916, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916)

 

 

Ich bin ein Kind der Stadt. Von Häuserquadern

Ist mir der Blick in Straßen eingeengt.

Schwer, wie sich Volk des Abends heimwärtsdrängt,

Rinnt mir ein dunkler Blutstrom durch die Adern.

 

Mit Gott und mit der Welt und mir zu hadern,

Nach Not zu spüren, dies ist mir verhängt,

Doch nicht zu heilen, wo ein Leid bezwängt,

Nein, nur mit Worten dran herumzuhadern.

 

Du aber spendest mit berauschtem Tun

Aus dieser Erde königlicher Fülle.

Da sinkt von uns die graue Bettlerhülle,

 

Und Flügel wachsen unsern Alltagsschuhen.

Die tragen uns in eine stille Stille,

Wo Lächeln ist und träumerisches Ruhn.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Einem, mit dem ich froh bin

(Geschrieben März 1913, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916 – Anmerkung von Anton Wildgans: „Dir, lieber Willy, zu eigen“ - Anmerkung von Lilly Wildgans: Wilfried von Proskowetz zugeeignet, dem jüngsten aus jenem Freundes­kreis, der sich um die Persönlichkeit des Dichters herum zum „Bund der Gewaltigen" zusammengeschlossen hatte)

 

 

Mit dir zu sein, ist gut und ein Vergessen.

Dir bin ich gern der tolle Harlekin.

Denn heimlich weißt du dennoch, wie ich bin:

Manchmal von Gott und oft vom Tier besessen.

 

Du hast das Herz zutiefst mir ausgemessen

Und es geprüft auf seinen Wert und Sinn.

Nun dir dies Haus gefällt, so wohne drin,

So lang es hält, dies schwanke Unterdessen.

 

Doch einmal, wenn ich müd- und armgehezt

Vom Leben bin, vom Leide dieser Erde,

Komm' ich zu dir und ruh' an deinem Herde.

 

Den hat ein guter Meister dir gesetzt.

Wenn dort die Träne meine Wange netzt,

Vertrau ich wieder, daß mir Frieden werde.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Einer Braut

(Geschrieben 1906, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für Lina v. Höfken, verehelichte v. Junck. Mit ihr und ihren beiden Schwestern verbrachte Anton Wildgans in deren Elternhaus so manche heitere Jugendstunde)

 

 

Ein heimlich Wunder, über Nacht geschehn ...

Wo schlief es denn, eh´es so jung erwacht?

In dir? – In ihm? – O süßes Auferstehen!

 

Nun ist es da mit sanfter Flammenmacht

Und wandelt dich in einem Augenblicke -,

Dies Wunder, das geschehen über Nacht.

 

Und alles, was du bist, ist eitel Glück,

Und alles hat so plötzlich andern Sinn;

Dein Blut und deine Hände und dein Blick,

 

Und deine Sehnsucht, diese Träumerin,

Die jetzt die trunken weißen Segel hißt,

Zu Heim und Herd, zu anderm Sein und Sinn.

 

Und eitel Glück ist alles, was du bist . . .

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Einer Gesegneten im Advent

(Geschrieben Oktober 1907 in Sulz; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Wenige Tage nach unserer Begegnung in der Sulz widmete mir der Dichter dieses, sein jüngstentstandenes Gedicht)

 

 

Ihr jungen Frauen, habet acht,

Maria hat empfangen - !

Und mancher ist’s in dieser Nacht,

Die sie an liebster Brust durchwacht,

Vielleicht wie ihr ergangen.

 

So haltet eure Seele still

Und hütet die Gebärden!

Denn diese Zeit bedeutet viel,

Und jede, die das Wunder will,

Muß wieder Jungfrau werden.

 

Und bannen aus der Seele fern

Unheiliges Begehren –

Zu Bethlehem geht auf ein Stern:

Da kann ein jedes Weib den Herrn,

Den Heiland sich gebären. 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Einer Unbekannten

(Geschrieben 1910, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916)

 

In diesem großen Traurigsein,

Das Leben heißt,

Kann einer fernen Lampe Schein

Oft wie ein liebes Grüßen sein

 

Von Geist zu Geist.

Und eines Menschen Angesicht,

Das kaum man kennt,

Kann rührend sein wie ein Gedicht

Und trösten wie ein leises Licht,

Das tief im Dämmer brennt.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Einsamer Abend

(Geschrieben 26.2.1917; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Welcher Art die Gaben, aber auch die abverlangten Opfer jener „Stimme im Traume des Künstlers" sind, zeigt kaum ein anderes Gedicht mit solcher umweglosen Klarheit auf)

 

 

Hohes Glück: aus Geisterquelle schlürfen,

Dem gemeinen Tag entsinken dürfen

Und im Erdensinne Schöpfer sein!

Leides Sturm beruhigt sich zum Fächeln,

Zorn wird Duldung, Bitterkeit zu Lächeln,

Und die Dinge lösen sich vom Schein.

 

Und du siehst wie mit dem Okulare

Unerbittlich das sonst Unsichtbare,

Das die Menschen immer treibt im Kreis;

Deiner Seele wachsen tausend Fühler,

Aber rings im Nahen wird es kühler,

Immer kühler und zuletzt wie Eis.

 

Wäre manchmal gut, wenn Blumen stünden,

Unter Büchern Blumen, rot wie Sünden,

Da du auswarst, heimlich dir gebracht;

Und die Dornenkrone der Gedanken

Triebe wieder liebe grüne Ranken,

Und ein Mädchen käme in der Nacht... 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Einsamkeit

(Geschrieben 1904, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

Such du die Einsamkeit, wenn du sie liebst

Und glaubst, dass du für ihren Tempel rein bist.

Wer gibt dir denn, was du dir gibst,

wenn du allein bist ?

 

Hat deine Seele tausend Sinne nicht,

Mit denen du des Lebens Schönheit trinkst?

Und wird's nicht immer ein Gedicht,

Wenn du in dich versinkst?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Elegie vom Rosenberg

(Geschrieben 17.10.1924, Graz, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Auf dem Rosenberg bei Graz selbst, wo der Dichter im Herbst 1924 wohnte, entstan­den. Ein Brief an mich gibt die Stimmung von Landschaft und Jahreszeit wieder, die diesem Gedichte zugrunde liegt: „Heute bin ich vom Rosenberg über die Obere Platte nach Maria­trost gegangen. Es war ein herrlicher Herbsttag, kühl und infolge der Sonne doch warm dabei. Auf der Platte habe ich im Freien Mittag gegessen und bin dann im Grase ge­legen, um mich in der Sonne zu wärmen. Diese Gegend ist einzig in ihrer Schönheit. Ich kann sie nur mit der Umge­bung Neapels vergleichen. Überall wachsen in Gärten und Wäldern Edelkastanien, und eine zweite Sommerflora be­deckt die tief und saftig grünen Wiesen. Nur wenige Bäume sind schon herbstlich gefärbt, alles andere ist noch sommer­lich grün." )

 

Ist nicht der Sommer schon lange vergangen?

Ist noch die Jungfrau des Mondes Regent?

Schmiegender Grüne, flüsternd umfangen,

Schatten die Bäume, und Sonne brennt

Rot auf die Äpfel und braun auf die Wangen.

 

Freilich, als blaue und goldgelbe Rüschen

Hängen schon Trauben in Fenstern am Draht,

Und auf der Wiesen schimmernden Plüschen

Weiden die Herden, vorbei ist die Mahd,

Und die Beerenfrucht glänzt aus Gebüschen.

 

Edelkastanien prallen auf Bänke,

Und die fallende Eichel zerspringt,

Und die Esche trägt Scharlachgehenke,

Und das wilde Weinlaub durchschlingt

Feurig den Efeu am Eingang der Schenke.

 

Ja, es ist Herbst und der Sommer nur Wähnen

Törichten Wünschens, das gern sich belügt!

Aber schon morgen fällt es wie Tränen,

Ach, eine einzige Reifnacht genügt,

Daß sich die Blätter zur Erde sehnen.

 

Doch nur das Menschenherz spürt dann die Narben,

Schaudernd vor Winters eisiger Ruh',

Aber tobend in lodernden Farben

Jubelt die Erde dem Tode zu,

Und der Wald steht in Feuergarben ...

 

Wundergebiete hab' ich betreten,

Sah die erlauchtesten Orte der Welt:

Blumenwirrnis im Land der Asketen

Und das gewendete Sternengezelt

Über den Palmen des Propheten.

 

Und ich kenne die Ozeane,

Eilande, blühend aus schillernder Flut,

Und ich schaute die Karawane

In der verkühlenden Wüstenglut

Und das Märchen der Fata Morgane.

 

Aber nirgends bewältigte Rührung

Sinne und Seele dem staunenden Gast,

Nirgends verlockte Duftes Verführung

Seine Glieder zu erdnaher Rast,

Denn ihn schauderte die Berührung.

 

Aber hier, auf verschlungenen Pfaden,

Die zwischen Hecken und Wiesen ziehn,

Will er die Füße im Herbsttau baden

Und die Steine berühren mit Knien,

Denn hier ist die Erde ihm voll der Gnaden .

 

Purpurne Fluten des Abends verbranden

An Gewölken aus Obsidian,

In den Stuben und in den Veranden

Zünden die Menschen jetzt Lichter an,

Einsame Geige übt Sarabanden.

 

Junger Stimmen Koloraturen

Trällern verliebt einen Hohlweg hinab,

Unten in Straßen noch einzelne Fuhren,

Und ein Lastzug geht irgendwo ab,

Fernhinverrollend. Dann nur mehr: die Uhren.

 

Und die Lampen in den Gemächern

Enden die späte, flackernde Wacht,

Nur mehr der Mond auf den glimmernden Dächern

Und derselbe Frieden der Nacht

Über den rechten und linken Schachern.

 

Aber morgen! — Stille doch, stille!

Menschlein, was weißt du von morgen schon?

Ist es der Götter, der ewigen, Wille,

Löst dir vorn Ufer des Acheron

Heut' noch der Ferge die Schattenzille.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

Empfängnis

(Geschrieben vor 1909; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909)

 

Und wie er spähend gegen Mittag sah,

Erhob sich aus dem Korn, das goldgesponnen,

Ein junges Weib und blickte tief versonnen

Zum Himmel auf, der satt war, schwer und nah...

Dann schüttelt sie aus ährenblondem Haar

Geknickte Halme, die sich drin verfangen,

Und beut der Sonne ihre braunen Wangen,

Der steilen Brüste traubenschwellend Paar –

 

Da fühlt er, wie sein Blick sich rot umqualmt,

Und reckt sich auf und bleckt die blanke Kraft

Seines Gebisses, das den Schrei zermalmt,

Den brünstigen nach ihrer Jungfernschaft.

Und naht ihr jäh und hält die herbe Pracht

Mit hartem Griff an seine Brust gedrängt –

 

Und wie sein Knie sich zwischen ihre zwängt,

Da beißt sie ihn, so daß er gurgelnd lacht

Und keucht und lacht in kurzen rauhen Schlägen...

Ein dunkles Wölkchen, plötzlich riesengroß,

Wächst, schwillt blitzzuckend in der Erde Schoß

Und löst sich auf in stummen, heißen Segen... 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ende eines Tages

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giovanni Chiggiato 1876-1923, Italien)

 

Errechne, wem’s gefällt, zur Feierstunde

Aus Ziffernzeilen, was der Tag ihm trug!

Ich steig hinauf, wo Licht noch stark genug,

Daß es die Seele vom Verdruß gesunde.

 

O lesebrauner Reben Hügelrunde,

Beflammt von Leuchtens letztem Atemzug,

Und fabelhafter Formen Bilderflug,

Aus Wolkengold gemalt auf Silbergrunde!

 

Nur Kinderjubel dringt in meine Ruh

Von Dörfern auf, die abendlich geborgen,

Und Zwiesprach ferner Glocken ab und zu.

 

Und du, o Tag des Lärms, der Qual, der Sorgen?

Und, die du eben schiedest, Sonne du,

Ist Welt jetzt wirklich besser als am Morgen?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Entfremdung

(Geschrieben 11.4.1907, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

Und als ich kam, flog mir dein goldner Blick,

Ein blütenschwerer Pfeil des Frühlings, zu –

Dann waren wir allein – nur ich und du –

 

Ich aber ahnte schon in all dem Glück

Von einem fremden dunklen Flügelschlag,

Und daß es kommen müsse diesen Tag.

 

Und als ich schied, da hatte das Geschick

Die Blüten längst zerpflückt, und kalt und steil

In heißer Wunde zuckt nur noch der Pfeil.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Ergebnis (Mir gewidmet)

(Geschrieben 7.11.1910; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Die nie überwundene Tragik des Verlustes der Mutter, deren früher Tod nicht nur für den Knaben, sondern auch für den Jüngling bis ins Mannesalter hinein viele Qual der Vereinsamung mit sich brachte. Aus dieser durchlittenen seelischen Not entstanden dann, als sich der junge Mensch das Ventil des dichterischen Bekenntnisses geschaffen hatte, Gedichte, wie „Stiller Gang", „Ein Herz allein", „Verlorene Stunden", „Das fremde Glück"; aber auch „Machtspruch", „Träume", „Ergebnis", „Entfremdung". Alle eben genannten Gedichte entstammen dem gleichen Erlebnisurgrund)

 

Viele Masken habe ich getragen,

Und es waren doch nicht immer Feste.

Vieles schien ich, ohne ganz zu wagen,

Es zu sein, und immer gab es Reste

Und ein Letztes, des ich mich entschlagen.

 

Und von allen meinen lieben Plänen

Blieb mir nichts, als dieses herbe Sehnen,

Eins zu sein mit meinen dunklen Taten.

Aber immer haben die ihr Leben

Abgetrennt von mir und neben

Mir geführt wie kühle Saaten,

Die die Hände, jene mühevollen,

Die sie säten, nicht erkennen wollen.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Erlauschtes Gespräch

(Geschrieben 3.7.1917 für Joseph Marx; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917)

 

Sprach das Weib: O, wie wir selig waren

In den wonneübervollen Jahren

Unsrer Liebe – jeder Tag ein Lied!

Ja, die Lieder sprangen wie die Quellen,

Nichts geschah, was nicht zu Klanges Wellen

Glücklich dir, dem Glücklichen, geriet.

 

Aber daß die Brunnen wieder fließen,

Brauchst du neues Suchen und Genießen;

Willst du Künstler bleiben, bleibe jung!

Mir vergönne, daß ich abseits schreite,

Kann allein, doch nie an deiner Seite

Betteln gehen zur Erinnerung. –

 

Sprach der Mann in klarer Menschengüte:

Warst du mir der Frühling und die Blüte,

Sei willkommen auch zur Reifezeit!

Bin kein andrer worden, bin nicht kälter,

Nur gehaltener, gestillter – älter,

Aber immer neu in Dankbarkeit.

 

Was ich dir in Liedern einst gestammelt,

Viele kleine  Läufte, jetzt gesammelt,

Wogen sie als Strom in meiner Brust;

Freilich, daß dies Strömen sich ergieße,

Außer mir zum Brausen sich entschließe,

Gönn’ mir manchmal abseits rasche Lust. –

 

Ließen jetzt vorüber eins am andern

Blicjke schweigend in die Ferne wandern,

Wie man zweifelnd etwas übersinnt;

Dacht’ ich mir: Ihr lieben Menschen, beide,

Wie doch ewig Abschieds Herzeleide

Mit der selben Worte Spiel beginnt! 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Erlösung

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.6.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Hinauf, hinauf, wohin uns steil und weit

Kein Wünschen, noch so kühn und glühend, trüge,

erhebt sich einst zum glücklichsten der Flüge

Die müde Seele, vom Gefühl befreit.

 

Hinauf, hinauf, wo Sterne dichtgereiht

Befestigen das glitzernde Gefüge,

Fliegen wir dann in innigster Genüge

Wie Fünkchen Lichts in die Unendlichkeit.

 

Wir fliegen, fliegen hin zu ewigem Fest,

Schimmernde Geister, die kein Erdenrest

Mehr niederzieht zu irdischem Getriebe.

 

Versinken wird, was wir geirrt, gefehlt;

Und wie ein Traum verschwimmt das Bild der Welt,

Wo Haß ein Balsam war und Gift die Liebe.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Es ist der Mond

(Geschrieben 23.11.1918/4.6.1922, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Am 12. Mai 1929 schrieb der Dichter an die befreundete Bibliothekarin Agnes Funck, die dem damals sehr Leidenden vom Verlag Staackmann für die Redaktion der Gesamtausgabe beigegeben war und die Ausscheidung einzelner schon veröffentlichter Gedichte für diese Sammlung beantragte: „Deine Proskriptionsliste ist nicht übel. ,Es ist der Mond' aber kann ich dir nicht opfern. Dieses Gedicht als Spätling einer jugendlichen Stimmung ist mir irgendwie wert. Ich kann mir recht gut denken, was Dir daran (wahrscheinlich die letzte Strophe) zuwider ist. Ein Sammelband aber ist nicht die bloße Multiplikation von möglichst vollendeten Gedichten, sondern in erster Linie doch wohl Lebensabbild, Selbstportrait, in dem gelegent­lich ein weicherer Zug Platz finden darf. So ganz aus Erz gegossen, wie man's gerne sein möchte, ist man ja schließ­lich doch nicht — unter uns gesagt.")

 

Es ist der Mond, der aus den Fichten steigt

Ins Glockenblumenblau der späten Lüfte,

Nachtschwalbe geistert, kleine Grille geigt,

Die Grummetmahd haucht kühle Grasesdüfte.

 

Es ist der Mond, so rosig wie des Weins

Ein Rankenblatt, von Herbstes Gold durchschienen,

Wenn müd' und trunken des Lebendigseins

Noch Falter taumeln und die letzten Bienen.

 

Es ist der Mond, der in die Saiten greift

Der schmächtigen, der zartgestimmten Birken,

Daß mich ihr Flüstern wie ein Odem streift

Und rätseldunkle Schauer mich umwirken.

 

Es ist der Mond, der mich so weh erfüllt,

Als müßte mir, dem knabenhaft Verlegnen,

In Dämmerung gehüllt und doch enthüllt,

Das Weib der ersten Träume heut' begegnen.

 

Und ungewiß treibt es mich hügelwärts,

Die Schläfe pocht, ins Auge drängen Tränen —

Es ist ja nur der Mond, du altes Herz,

Was soll noch immer dieses töricht Sehnen?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Es kommt die Stunde

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Draussen liegt der erste Schnee

Auf den dürren, kahlen Zweigen —

Drin in meiner Brust das Weh

Will nicht schweigen, will nicht schweigen.

 

Wenn die Bäume wieder grün,

Blütenschnee bedeckt die Zweige,

Ist das holde Glück dahin

und der Becher längst zur Neige.

 

Und du denkst vielleicht nicht mehr

Meiner an der Brust des Andern —

Herz, dir wird so schwer, so schwer —

Lass uns wandern, lass uns wandern.

 

Doch ein letzter Abschiedsblick —

fremd dehnt sich vor mir die Strasse,

Weiss nicht, ob für mich zum Glück,

Ob zur Liebe, ob zum Hasse.

 

Deiner Küsse Blutenstaub

Noch auf meinem heissen Munde —

Stumm das Herz, der Himmel taub —

Mut, nur Mut — es kommt die Stunde.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ewiges Gedenken

(Geschrieben 18.7.1915, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Späte Ernte“ 1947 aus dem Nachlass ausgewählt durch Franz Theodor Csokor )

 

Von ewigem Gedenken sprecht ihr leicht,

Ihr, deren Denken kaum für zeitlich reicht.

 

Sie haben uns des Sterbens Gegenwart,

Brechenden Blick und Klagelaut erspart.

 

Wie irgendwo ein Kerzenstumpf erlischt,

Wurden sie fern, uns lautlos weggewischt.

 

Ihr letztes Warmsein sog die Erde ein,

Die Erde birgt verstümmeltes Gebein.

 

Und weder Mutter, Weib noch Kind noch Braut

Weiß übers Jahr noch, wie sie ausgeschaut,

 

Die einsam waren in der letzten Not.

Kurz ist Gedenken, ewig ist der Tod.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Fragment eines Weltschöpfungs-Mythus

(Geschrieben um 1911, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

Und es geschah, daß Gottes Bildnerhand

Ausruhete, und seine Weisheit fand,

Daß es so gut sei. Heller Tag und Nacht

Wechselten nach Gesetzen. Seiner Macht

Basaltne Throne, Schemel seiner Füße,

Wuchteten die Gebirge auf der sausenden

Erde warmer Beste. Zu viel tausenden

Sprangen die Quellen, einten sich zu Flüssen,

die niederdonnerten zum Meer, das flutete

Und ebbte. Allerlei Getier . . .

 

Und Satan lästerte den Herrn und rief:

Hörst du den Adam durch die Nacht, die tief

Und lüstern ist, wie deine Leoparden schrei´n?

Schufst du aus seiner Rippe, als er schlief,

Das Weib ihm nicht? – Was sollen sie zu zwei´n? –

Wozu ist dieser Baum mit seiner Frucht,

In deren Fleisch dein Fluch ist, der versucht

Und reizt, zu trotzen ihm?

 

Ich will am Menschengeist zugrundegehen,

Du magst an seiner Dummheit ewig leben!

 

Du bist das Sein, ich aber bin der Geist!

 

Du schufst die Welt, die dich entbehren kann!

Sind nicht Gesetze schon, die du nicht gabst,

Die selbst sich bildeten und jenseits aller Macht

Fortwirken werden in die Ewigkeit?

 

Du gabst ein Weib ihm, mehr ein Tier, doch ich

Ließ ihn die weiße Schönheit Lilliths sehen . . .

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Freier Tag

(Geschrieben 1907; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Anton Wildgans: „Erste Autofahrt meines Lebens mit Theodor Heinrich Mayer durch die Laxenburger Allee an einem Maientag.“)

 

Weißt du, was so ein Tag ist -? Solch ein Tag,

Da nicht mit schriller Stimme schon am Morgen

Die Not dich weckt und Müdigkeit und Sorgen,

Daß auch die kleinste Lust sich nimmer rühren mag –

Da wanderst du hinaus in hellen Lerchenschlag

Und spürst die Seele wundersam geborgen

In Gottes reichem Feiertag...

 

Und abends dann, in einsamem Gemach –

Du zündest heute keine Lampe an

Und schließt die Augen, die so satt und wach

Von allem, was dir dieser Tag getan.

Du schließt die Augen, und da tönt dir nach

Der liebe Gruß, den dir ein schlichter Mann,

Ein Unbekannter, im Vorbeigehn sprach.

Du atmest Erde, kühl und schollenbraun,

Und hörst ein Mädchenlachen überm Zaun,

Der unter Rosen fast zusammenbrach... 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Freiwillige

(Ein Gedicht aus den Tagen der Mobilisierung 1914, Geschrieben August 1914; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Österreichische Gedichte“ 1914 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für einen Menschen von der Heimatverbundenheit Anton Wildgans' mußte der Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 die tiefsteingreifende Durchschütterung bedeuten. Ein Venen­leiden machte ihn zu jeglichem Frontdienst untauglich und daher außerstande, auf diese Weise sein Teil Hilfe für das Vaterland beizutragen; so nahm er seine Zuflucht zu jener Aus­drucksform, die ihm zu Gebote stand: zum Gedicht)

 

Wir waren lange ohne rechten Sinn

Und waren doch da und immer bereit.

Manchem zur Last und niemandem zu Gewinn

Lebten wir hin

In Dumpfheit und Nutzlosigkeit

Und warteten auf unsere Zeit.

Da kam sie, die heilige, über Nacht

Und hat auch uns klar und nützlich gemacht —

Nun find wir geweiht.

 

Wir prahlen nicht, daß wir Helden sind,

Wenn's auch an Mut nicht gebricht.

Wir sind nur jeder der großen Mutter Kind

Und lieben der Heimat Wolken und Wind,

Wir sind nur ihr freudiges Ingesind,

Mehr nicht.

Die Zeit, die heilige, über Nacht

Hat Sie uns heilig und nützlich gemacht —

Nun sind auch wir: Pflicht.

 

Was wir träumten, dag ist jetzt Wahn.

Von unserm Ich kam uns kein Glück.

Stückwerk war es, kein Stück.

So haben wir es abgetan

Und sind nur mehr:

 

Zwei Hände für ein Gewehr,

Eine Faust für ein Schwert,

Ein Reiter für ein Pferd

Und ein Herz, das leicht bricht,

Für den Tod, für den Tod —

Mehr nicht.

Das hat die Zeit,

Die heilige Zeit über Nacht

Aug uns armen suchenden Seelen gemacht.

Sie sei gebenedeit.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Freunde

(Geschrieben 5.4.1918, Mönichkirchen, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Aus so manchem tief wehmütigen Erlebnis niedergeschrieben, mehr Tragik beinhaltend, als auf den ersten Blick erkannt zu werden vermag. Anton Wildgans ge­hörte zu jenen Menschen, die eingegangenen Bindungen schwerblütig und verantwortungsbewußt verhaftet bleiben. Wen er einmal „Freund" genannt, der blieb es für ihn, und der konnte auch im Ernstfall seiner grenzenlosen Hilfsbereit­schaft gewiß sein, selbst nach Enttäuschungen aller Art. Die Konzessionslosigkeit jedoch, von der er getrieben wurde, seinem dichterischen Werk zu dienen — eben jener mah­nende Ruf, jene unerbittliche Forderung der „Stimme im Traum des Künstlers" —, raubte ihm häufig die Möglichkeit, sich solcher Freundschaft in dem zeitlichen Ausmaß hinzu­geben, wie es von den Partnern erwartet wurde. Und jenen Partnern mangelte es vielfach an der Treue, die zu tieferem Verständnis befähigt; sie empfanden sich vernachlässigt und zogen sich dann gekränkt zurück. Wieviel schwerer Kum­mer wurde dadurch Anton Wildgans zugefügt, der „Freund­schaft" von einer ganz anderen Warte aus erfaßte und der sich so mißverstanden sah! — Für denjenigen, der solches aus nächster Nähe miterleben mußte, wächst das Gedicht „Freunde" zu einem erschütternden Dokument empor)

 

Wir waren viele, da wir gingen,

Und ich, voran, sah mich nicht um;

Ich hörte doch so nahe klingen

Der Stimmen freundliches Gesumm.

 

Trat mancher auch vom Weg zur Seite,

Verhallend meinem Lauscher-Ohr,

War immer noch ein reich Geleite

Und guter Herzen voller Chor.

 

Allmählich aber ward es leiser,

Da wir durchmaßen Jahr um Jahr,

Und an des ersten Kreuzwegs Weiser

Hielt unser eine kleine Schar.

 

Von fern die einen und die ändern

Gesellten sich zu unserm Zug,

War immer noch ein reiches Wandern

Und treuen Einklangs Lust genug.

 

Nur daß ich jetzt sie öfter zählte,

Die teuern Stimmen ringsumher,

Ob keine, die mir lieb war, fehlte,

Denn manche, schien mir's, klang nicht mehr.

 

Auch dieses liegt schon längst im Weiten,

Und stiller wird's tagaus, tagein;

Ist immer noch ein reiches Schreiten,

Doch wer am Ende meiner Zeiten,

Wer wird bei mir der Letzte sein?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Frühlingsopfer

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Der Frühling will sein Blütenopfer haben,

Komm', winden wir uns Kränze um das Haupt.

Auf steht die Lebe, die solang begraben,

0 selig, wer an Jünglingswunder glaubt.

 

Die Wiesen duften, und die Buche wölbt

Zum Brautgemach die dichtbegrünten Äste.

Drum auf, bevor der Herbst die Blätter gelbt,

Es gibt noch Frühlingswunder — Liebesfeste.

 

Mit tausend Lippen schweigt der kühle Wald —

Nur manchmal tönt ein heimlich-Ieises Regen —

Hier der Altar — die Dämmerwolke wallt,

Und ferne Glocken senden uns den Segen.

 

Nun schweigst auch du — mir sagt dein glühend Beben

Dass du nun mein —

Du willst dem Lenz sein Blütenopfer geben —

Aufflammt die Glut — wir sind allein ...

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Gar lange war die Welt ...

(Geschrieben um 1919, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Nach dem Ersten Weltkrieg empfunden, als alle Enge und Schwere endlich doch wieder zu weichen begann)

 

Gar lange war die Welt verstellt,

Verfahren all Geleise —

Nun hat sich's wieder aufgehellt

Und lockt zu neuer Reise.

 

So blicke doch, verhangnes Aug',

Verschüttet' Herz, aufglühe!

Hör', Ohr, verarmte Lunge, saug'

Des neuen Tages Frühe.

 

Einst fuhrest du in heiterm Wahn

Dem Leben froh entgegen;

So fahr' jetzt nach bedachtem Plan

Auf überlegten Wegen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Gebet

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Die du deine Bücke sendest

Huf uns Sterbliche

Und von uns die Sünde wendest,

Die verderbliche.

Leih' den Strahl mir deiner Gnade,

Mich begeistere,

Dass die Müh'n der schweren Pfade

Ich bemeistere !

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Gebet des Weisen

(Geschrieben 16.7.1907; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Aus dem Inhalt wird bereits der Wille spürbar, den Forderungen der „Stimme im Traum des Künstlers" auch tatsächlich nachzuleben)

 

Herr, wenn du gnädig bist, so schütz mich vor Gebreste,

Laß mir den scharfen Blick, die harte Faust,

Und daß ich wie ein Turm auf dieser Erdenveste

Dastehe straff und stark, von keinem Sturm zerzaust!

Denn siehe, so beschaffen ist die arge Brut,

So du aus Adams Samen schuft, daß nur,

Wer Eisen hat in Knochen, Nerv und Blut,

Gefeit ist gegen Hinterhalt und falschen Schwur

Und gegen Pöbelgier und Neid und Wut.

 

Auch vor den Weibern nimm mich in die Hut,

Die wie die Egel sind im lauen Teich!

Dem Badenden in abendlicher Flut

Schießen sie an, weichen Kristallen gleich,

Und saugen seine Adern leer von Blut.

 

Auch vor dem Bruder habe für mich acht

Und halt mir volles Herz und Hände zu,

Denn sieh, auch der ist lüstern nach der Macht,

Und hat so viele Zeit und wartet zu

Auf einen Augenblick, der unbewacht.

 

Du Schlüsselgott, du hast den rechten Bart

Zum Schloß an meinem Herzen – schließ es ein!

Du Schmiedegott, nimm auch den Hammer dein

Und schmiede mich auf deinem Amboß hart! 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Gegenüber

(Geschrieben 18.7.1905, Erstveröffentlichung noch unter dem Titel „Die junge Frau“  in der Zeitschrift „Die Muskete“ Wien-Leipzig Band 2 Nr.49 am 6.9.1906; Erstveröffentlichung in Buchform im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

 

Du junge Frau, ich seh´ dich alle Morgen,

Wie du dein Haar am offnen Fenster kämmst,

Die seid´ne Flut in deinen Rücken dämmst

Und dich dann rüstest für die neuen Sorgen.

 

Zuerst dem muntern Sänger Hanf und Krumen,

Horch, wie der kleine eifersüchtig piepst,

Weil du ihm nicht zugleich sein Wasser gibst,

Erst deine Lieblinge bedenkst, die Blumen.

 

Und dann – was da noch alles zu bezwingen

Für deine tapfere und brave Hand –

Doch funkelt´s auch bei dir von Schrank und Wand,

Und dennoch, junge Frau, hör´ ich dich niemals singen.

 

Ist´s nur darum, weil abends später Stunde

Dein Gatte erst von heißer Arbeit kehrt,

Vielleicht ermüdet deinen Küssen wehrt,

Die wie die Rosen blühn auf deinem Munde.

 

Oder weil Herbst ist und die volle Ähre

Sich tiefer vor der Sonne-Mutter neigt,

Der Traube Last die schwanke Rebe beugt

Und du was ahnst von all der süßen Schwere.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Gelöbnis des Vaters

(Geschrieben Mai 1917, Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht, empfangen in der lyrisch so fruchtbaren Periode des Sommers 1917, gehört zu dem Zyklus jener Gedichte, in denen sich Anton Wildgans an seinen damals wohl erst wenige Jahre alten Sohn wendet)

 

Nie will ich mit dem Väterwort dich stören:

Dies brauchst du nicht, weil ich es nicht besaß! –

Was immer meine Zeit auch anders las,

Für deine sollst du keinen Vorwurf hören.

 

Heilig der Jugend Recht, sich zu empören!

Meist ist von edelstem Geblüt ihr Haß,

Manch richtig Maß in ihrem Übermaß,

Viel guter Sinn in ihrem Selbstbetören.

 

Oft blieb dem Manne Reu und Leid erspart,

Hielt er der längst verjährten Knabenart,

Die man so gern belächelt, beßre Treue.

 

Und ganz zuletzt, wenn erst verbraust der Geist

Des Widerspruchs, merkt man ja doch zumeist,

Wie neu das Alte und wie alt das Neue.

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Georg Hirth zum siebzigsten Geburtstag

(Geschrieben in Mönichkirchen am 12. Mai 1911; Aus dem Notizbuch; Erstveröffentlichung in „Anton Wildgans – Ein Leben in Briefen“ Band 1, herausgegeben von Lilly Wildgans 1947)

 

Ich bin nur einer von den vielen Jungen

Und gegen dich ein Kind fast, edler Mann.

Doch hab' auch ich gelitten und gerungen

Und wanderte durch manche Niederungen,

Eh ich der Höhen fernen Glanz gewann.

 

Drum weiß ich auch, was es bedeutet: Leben.

Wie schwer es ist für einen, der allein,

Und weiß, daß jene, die am Niedern kleben,

Die Mehrzahl sind und des sich überheben,

Und daß es fast als Schuld gilt: anders sein.

 

Doch du hast einen festen Hort gegründet,

Die Jugend schützend vor der Übermacht

Des Überlebten. Drum sei Dank gekündet

Von uns dir, und das Licht, das du entzündet,

Sei deinem Feste zum Fanal entfacht.

 

(Andere Fassung der letzten Strophe:

Doch du hast für die Wenigen gegründet

Ein starkes Werk gegen die Übermacht

Der allzuvielen, — hast ein Licht entzündet,

Das lange noch in deinem Herzen kündet

Von Mannesmut und freien Geistes Macht.)

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Genius des Herbstes

(Geschrieben 1908, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Buch der Gedichte“ 1929 – Anmerkung von Lilly Wildgans: In Mokritz mit Bezug auf dessen Örtlichkeit niedergeschrieben. „Sichel des Flusses": die große Krümmung der Save, die man von den Fenstern des auf einem Waldberg liegenden Schlosses aus wahrneh­men kann. Die „Sommers blattgeborgenen Gräber": die Be­sitzer des Schlosses fanden im Park ihre letzte Ruhestätte. Mokritz, in Slowenien bei Jessenitz an der Save gelegen, war das Stammschloß der Grafen Auersperg und Anton war bei seinem Freund Friedrich von Gagern dort zu Gast)

 

Jetzt ist er leise wieder eingetreten,

Der stille Mann mit seinem müden Segnen,

Und alle Wesen, die ihm ernst begegnen,

Verneigen sich im letzten, stummen Beten.

 

Wie liegt der Fluß in diesen Erntetagen

Blank, eine Sichel, die ihr Werk verrichtet,

Und Garben über Garben, goldgeschlichtet,

Lasten wie Glanz auf hochgetürmten Wagen.

 

Jetzt spenden alle Kelche ihre Neige

Zu letzter Lust, denn dunkel ist das Morgen,

Und stille Gräber, sommers blattgeborgen,

Erschimmern jetzt durch schwarze, kahle Zweige.

 

Der Meister doch in regloser Gebärde

Blickt wie ein Arzt am Bette eines Weibes,

Das sterbend liegt in Wehen seines Leibes,

Und fühlt den Puls der erntemüden Erde.

 

Dann wendet er sich ab von all dem Sterben

Und weiht dem jungen Leben sein Erbarmen,

Und aus der Mutter toderstarrten Armen

Hebt er das Kind, den Frühling, ihren Erben!

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932 

 

 

Gerichtsverhandlung

(Geschrieben 1.6.1910; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Wie auch das Gedicht „Häftlinge“ von Anton Wildgans während seiner Ge­richtspraxis als Rechtspraktikant und späterer Auskultant in den Jahren 1909 - 1911 erlebt)

 

Aus dem Mist, den er durchsuchen mußte

Nach Abfällen von Kupfer und Zinn

In der Fabrik tagein tagaus,

Trug er drei Kilo Metall nach Haus,

Und nun stellten sie dieses grindig-verrußte

Fetzengerüst vor die Richter hin.

 

Der Zuhörerraum ist leer.

Niemand schert sich um diesen Fall,

Nur von der letzten der Bänke her

Wagt sich manchmal

Ein Räuspern, das mehr

Ein Schluchzen ist, in den Saal.

 

Der Angeklagte sagt auf alles „Ja“ –

Der Verteidiger spricht von zwingender Not:

Sein Weib ist ihm durch nach Amerika

Und ließ ihm die Kinder, die schrieen nach Brot.

Da packte ihn die Verzweiflung wie Wut,

Und er griff an fremdes Gut...

 

Der Angeklagte sitzt und stiert,

Als ging’ ihn das alles nichts mehr an –

In der letzten Bank der alte Mann,

Den auf der Brust die Medaille ziert,

Sperrt die Augen auf, was er kann.

 

Der Präsident scheint die pure Geduld

Zu sein, doch er denkt: Wohin kämen wir? –

Der Staatsanwalt zeichnet irgendein Tier

In das Löschblatt auf seinem Pult.

Der eine Votant wirft einen Blick

Nach der Uhr – dann zieht sich der Senat zurück.

 

Nach fünf Minuten ein Glockensignal –

Der Gerichtshof erscheint wieder im Saal.

Stille – Alles steht –

„Urteil im Namen Seiner Majestät - - -“

 

Der Greis in der letzten Bank vom Saal

Steht habt acht – dann mit einemmal

Wird er blasser, sein Blick verlischt –

Mit dem Handrücken wischt

Er sich was aus den Augen heraus ...

Die Verhandlung ist aus.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Giovedi grasso

(1923 - Unveröffentlichtes „Sonett aus dem Italienischen“, Erstveröffentlichung in „Tiefer Blick“ 2002 von Evelyn A. Hahnenkamp)

 

 

1.

Und als der Tag langsam herangeblasst

Durch düstern Himmels graue Nebelmassen,

Ward letztes Licht gelöscht in allen Gassen

Und letzter Tanz getaumelt und gerast.

 

Die Masken nun von Müdigkeit erfasst

Mit überwachten und verdunsenen, blassen

Gesichtern, ganz in Schmutz und Schweiß zerlassen,

Schleppten sich schwankend fort wie schwere Last.

 

Pierrot, zerfetzt, gespenstisch abgezehrt,

Vom Rausche halb und halb vom Schlaf versehrt,

Schien dennoch Reue mehr und Trauer.

 

Doch Colombine ihm zur Seite, stößt

Ihn plötzlich an und lallt: „Gib acht... mir wird ..."

Und schon erbrach sie sich an einer Mauer.

 

2.

An seidenen Fetzen sprang der Wind hinein,

Biss kalt ins Fleisch und fröstelte die Glieder

Indes vom Kinn herab bis unters Mieder,

Ihr das Gebrochene in Strömen rann.

 

Pierrot fuhr auf, sah sie betreten an

Und hüstelte halbwach: Was gibt's schon wieder?

Und sich beschauend und zum Boden nieder

Begriff er langsam, was das Weib getan.

 

Allein die Maske, die indes zu Ende,

Rieb eilig, weil sie anderes nicht fand,

Mit ihrem Spitzentüchlein Brust und Hände

 

Und dann, ein wenig wieder bei Verstand,

Entbrach ein Lachen den verzerrten Zügen

Und kreischend rief sie: „Ach, welch ein Vergnügen!"

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Glaube

(Geschrieben 1895/96, Erstveröffentlichung in „Hippodameia“ 1962)

 

Das ist der Mutquell, den ich fühle,

Die Riesenkraft in meiner Brust:

Daß ich mit den Gefahren spiele,

Die als Gefahren mir bewußt,

 

Mag auch das Schwert ob meinem Haupte

Des Todes grausen Bogen ziehn,

Wenn ich an meine Kraft nicht glaubte,

Ich müßte furchtbezwungen fliehn.

 

Doch vorwärts in das Kampfgewühle,

Du wirst erst du, wenn du es mußt!

Das eben ist es, was ich fühle:

Die Riesenkraft in meiner Brust.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Gleichnis

(Geschrieben ca.1922, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht trägt noch alle Merkmale des Ekels und der Verbitterung an sich, die Anton Wildgans am Abschluß seiner ersten Burgtheaterdirektion empfand)

 

Im weiten Umkreis sanfter Wiesen

Lag grasbedeckt ein einziger Stein,

Und sehet, Freunde, just an diesen

Lief einer an und brach das Bein.

 

Der Zufall oder gar der Teufel

Ritt ihn zu Rennens Überschwang,

Und Zufall war's auch sonder Zweifel,

Daß dort der Stein, wo jener sprang.

 

Zwar Zufall, sagen die Gelehrten,

Den gab es nicht in der Natur;

Von urgeheimen Wirkungsfährten

Sei er der Schnittpunkt eben nur.

 

Das möge, wer es kann, erkennen,

Mir fiel zu diesem Beinbruch ein:

Was wir Verdienst und Schuld benennen,

Gemahnt gar sehr an jenen Stein.

 

Aus Zeitentiefen hergesponnen,

Umlauern Fäden und als Netz,

Ob blind gedreht, ob planersonnen,

Was ist da Willkür, was Gesetz?

 

Den Seinen gibt's der Herr im Schlafe,

Die andern mühn sich fruchtlos hin,

Die schwarzen und die weißen Schafe

Sind vorgemerkt von Anbeginn!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Glockenspruch für St.Othmar

(Geschrieben 16.Oktober 1921, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: In der Mödlinger Kirche St. Othmar wurde am 16.10.1921 die neue Heldenglocke geweiht. Auf der Glocke befand sich eine Darstellung des Hl. Michael sowie jener Glockenspruch von Anton Wildgans. Die Glocke wurde im 2.Weltkrieg eingeschmolzen.)

 

Aus Herzen, die das große Leid versteint,

Geschmolzen hat der Meister meine Speise.

Ich bin der Witwe Kreuz, das Brot der Waise,

Das Tränensalz, aus Mutteraug geweint.

Ich bin der Liebe ewiger Verzicht,

Der ungetanen Lebenswerke Jammer.

Ich bin die Glocke und ich bin der Hammer

Und wecke Gott, wenn´s Zeit ist, zum Gericht.

1914 -1918

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Glück des Alleinseins

(Geschrieben März 1916; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Das Erlebnis der Ein­samkeit in seiner höchsten Beglückung und in all seiner gnadenvollen Auswirkung auf das Werk, wie es das Gedicht offenbart, wurde dem Dichter in Mönichkirchen zuteil. Man darf jedoch das Mönichkirchen von damals nicht mit dem in hohem Kurs stehenden vielbesuchten Höhenkurort von heute verwechseln. In den Frühjahrs- und Herbstzeiten, während welcher Anton Wildgans dort Aufenthalt nahm, war er zumeist der einzige Gast im ganzen Ort, und das Leben spielte sich unter sehr einfachen, naturnahen Bedin­gungen ab. Erschütternd vermag einen die bedeutsame innere Ent­wicklung des dieses Gedicht Empfangenden zu berühren, wenn man zum Vergleich das im Jahre 1908 entstandene Gedicht „Zwiesprach" heranzieht. Das fast verzweifelte und mit dem Einsatz aller Seelenkräfte geführte Ringen bleibt dort ohne Antwort — „Gott schweigt", das ist das nieder­schmetternde Ergebnis. — Schicksals- und erlebnisreiche Jahre mußten erst vergehen, Jahre intensiver innerer Schu­lung, Jahre, die das vulkanhaft-drängende Übermaß des Jünglings Wildgans zu Klarheit, Besonnenheit und in sich beruhender Kraft zu läutern vermochten. Und jetzt erst wird der in unentwegtem Bemühen entwickelten Seele die Ant­wort zuteil: Gott tritt nun aus dem Busch dem ihn Erseh­nenden entgegen, „und alle seine Engel sind um ihn"!)

 

Glück des Alleinseins, All- und Einessein!

Wie sehnte sich der Jüngling einst nach Paarung!

Und jetzt der Mann, in tiefster Icherfahrung,

Kennt nur das eine klare Glück: Allein.

 

Ganz anders wachst du auf, gehst in den Tag,

Wenn des Alleinseins gnadenvolle Stille

Dein erstes Schaun empfängt, kein fremder Wille,

Wenn auch verschwiegen, deinen kreuzen mag.

 

Du prüfst die Stimme, siege, und sie klingt,

Horchst auf dein Herz, und brav ist es am Werke,

Der Atem geht, treu blieb des Armes Stärke,

Gehöres Lust, Aug, das zur Sonne dringt.

 

Du warst gewohnt, dies, weil es immer war,

Kaum zu beachten unter deiner Habe;

Doch nun auf einmal ahnst du: eine Gabe!

Und es ist Glück und mehr denn wunderbar.

 

Stand nicht der Strauch dort all die Jahre lang

An jenem Weg, den du so oft gegangen,

In andrer Ich, Gesetz und Lust befangen,

Stand er nicht dort in Herbst und Blütendrang?

 

Und nun urplötzlich wirst du sein gewahr

Und kniest hin und streichelst seine Zweige,

Als ob sich Gott in diesem Busch dir zeige –

Glück des Alleinseins, Gabe wunderbar!

 

Und er, der schwieg, als du zu ihm geschrien,

Daß dir, auch dir ein Menschenherz gebühre,

Tritt aus dem Busch, auf daß er dich berühre,

Und alle seine Engel sind um ihn.

 

Und löst von deinen Sinnen alles Band

Und deutet dir die Fülle der Gesichte,

Und seine unvergänglichen Gedichte

Befiehlt er einer armen Menschenhand.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Glücklicher Glaube

(Geschrieben 25.7.1928, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Buch der Gedichte“ 1929 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für derartige, zu dem Kos­mischen hinführende Gedankengänge war der Dichter stets schon sehr aufgeschlossen gewesen)

 

Es ist der Tod ein Bad, in das der Herr

Uns Kindlein tut, auf daß wir unsre Seele

Begütigen von allem Erdenfehle

Zu neuer Wiederkehr und Unbeschwer.

 

Dann tauchen wir empor in andre Zeit

Aus neuem Blut mit neubegabten Sinnen

Und dürfen unsern Wandel neubeginnen

Für einen Atemzug der Ewigkeit.

 

O selig, wer dies glaubt! Ihm ist der Tod

Kein böser Vogt, der fremde Plag' verschwendet,

Vom Menschenfluche »Ewig unvollendet!«

Ist seine Abschiedsstunde unbedroht.

 

Der Stein, der Baum, das Tier, sie reden ihm

Mit Bruderzungen, die Gestirne neigen

Ihr Haupt in seinen Schoß, und Gottes Schweigen

Ist eine große Symphonie in ihm.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

Grabschrift

(Geschrieben vor 1909; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Jugendfreund Karl Satter: Aus so mancher heite­ren und doch tief-schürfenden Diskussion zwischen den Freunden, die sich mit deren psychologischem gegensei­tigem „Portrait" befaßte, entstanden)

 

Dem Manne, so hier schlummert unterm Gras,

Schenkte der Herr ein wohlgestrichen Maß.

 

Doch er blieb Kind und lebte ohne Ziel,

Sein Sinn war Traum und all sein Denken Spiel.

 

Es gab nicht viel, was er vermieden hat,

Nur eines schreckte ihn: das war die Tat.

 

Sein Wunsch war stärker oft als seine Kraft,

Tiefer sein Wort als seine Leidenschaft,

 

Leichter sein Herz gerührt als wirklich gut,

Groß seine Lebenslust, doch klein sein Lebensmut,

 

All sein Begehren ohne Zucht und Zaum,

Von allen Bechern trank er nur den Schaum.

 

Der Frauen Liebe nahm er gnädig hin –

Nur, die er liebte, die betrogen ihn. –

 

Wenn ihn was schmerzte, sang er sich ein Lied,

Das war vergessen, eh’ er selbst verschied.

 

Ein Träumer war er und ein Egoist –

Er lebte kurz, dann starb er auf dem Mist.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Gute Seelen

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Sass ein Mädchen spät im Park,

Bleich mit dunklen Löckchen,

Seine dünnen Kniee barg

Nur ein leichtes Röckchen.

Mädel mit dem matten Blick,

Blass vor lauter Hungern,

Sollst nicht frierend heute Nacht

Hier im Freien lungern.

 

Sei mein Gast paar Stunden lang,

Du verlass'nes Mädchen.

Komm, ich geh' dir Speis' und Trank

und ein warmes Bettchen.

Was die Menschen nennen „Glück",

Will ich dir erklären,

und du sollst mir bloss dafür

Süsse Gunst gewähren . . .

 

Nächsten Abend sass das Kind

An der selben Stelle,

Kam ein andrer so wie ich —

auch eine gute Seele.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Harlekinade

(Geschrieben 1902/1906; Erstveröffentlichung in der Zeitschrift „Die Muskete“, Wien-Leipzig, Band 1, Nr.15 am 11.1.1906; Erstveröffentlichung in Buchform im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Überarbeitete und veröffentlichte Fassung von „Jahrmarkt“. Dieses Gedicht gewährt ebenso wie „Der arme Narr betet" und „Ein Becher" tiefe Einblicke in die ungewöhnlich subtile Seelenverfassung einer hochorganisierten, aber durch das Schicksal und die eigene Veranlagung nach vielen Richtungen hin gehemmten Jünglings-Persönlichkeit. Begegnete man diesem jungen Menschen mit dem ernsten, leidgezeichneten Antlitz, der hohen Stirne und dem gütig-forschenden Blick, so erlag man unfehlbar der star­ken Wirkung, die von ihm ausging)

 

Herein! Euch kostet der Spaß keinen Heller,

Hier klingelt kein Beutel, hier scheppert kein Teller –

Herein und staunet die Wunder an,

Die meine Kunst euch zeigen kann!

Alles will ich euch sehen lassen:

Bocksprünge und bizarre Grimassen,

Wie man zur Schlange verrenkt seine Glieder,

Wie man Klagen singt oder närrische Lieder,

Wie man verstohlene Tränen weint,

Die Augen kneift und zu lachen scheint,

Wie man lästert und flucht beim stillen Gebet,

Eine Jungfrau liebt und zu Dirnen geht -!

Das wird euch nirgends so leicht geboten!

Ich spiele Verbrecher und Idioten,

Selbstmörder vor dem tödlichen Schuß;

Bin auch mit Tieren auf bestem Fuß.

Ich kann euch die Stimmen imitieren

Von solchen auf Zweien und solchen auf Vieren –

Mit einem Wort, alle Gründe und Tiefen,

Wohin sich jemals Gefühle verliefen,

Vom Hunger bis zu der Gottidee,

Vom derben Trieb bis zum Liebesweh,

Vom Heiland bis zum linken Schächer,

Vom Eremiten zum Lebenszecher –

All dieses sonderbare Gewirre,

In dem euch kopf und Herz wird irre,

Dies Kunterbunt, diesen Fastnachtsreigen

Laßt euch in meiner Bude zeigen,

Und lachen sollt ihr und euch ergetzen -!

nur eins! – Gewickelt in Lumpen und Fetzen,

Liegt hinter dem Vorhang ein armes Ding,

Das mir beinahe zuschanden ging:

Das ist meine Narrenseele – Verzeiht,

Wenn sie bisweilen den Spuk überschreit.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Heautontimoroumenos

(Geschrieben Mai 1917 in Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung: Nach Charles Baudelaire)

 

Ich will dich schlagen – ohne Haß und Zorn,

Wie ein Schlächter mit gelassener Hand,

Wie Moses den Felsen im Wüstenbrand,

Und will aus deinen Augen den Born

 

Des Schmerzes peitschen, daß er die Glut

Und Dürre auftrinke, die tief in mir.

Dann wird meine heiße hoffende Gier

Auf deiner Tränen salzige Flut

 

Hinziehn wie ein Schiff, das zur Ferne trägt,

Und mein Herz wird trunken vom Widerhall

Deines lieben Schluchzens sein wie vom Schall

Einer Trommel, die wild zum Angriff schlägt.

 

Bin ja in Gottes Symphonie

Sonst nur ein falscher Ton, der kreischt,

Und bin zerfahren und zerfleischt

Von nimmersatter Ironie.

 

Sie gibt meiner Stimme den häßlichen Laut,

Sie ist in meinem Blut der Fraß,

Ich bin das unselige Spiegelglas,

In dem die Teufelin sich beschaut.

 

ich bin die Wunde und der Pfeil,

Der Backenstreich und das Gesicht,

Der Leib und das Rad, auf das man ihn flicht,

Der arme Sünder und das Beil.

 

Und bin der Vampir, der mein Herz austrinkt,

Einer, den großen Verlaßnen entstammt,

Die Gott zu ewigen Lachen verdammt,

Einer, dem nie mehr ein Lächeln gelingt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Heilige Nacht!

(Ein zeitgemäßer Prolog zu einem alten deutschen Weihnachtsfestspiel. Zum erstenmal gesprochen am 12.Dezember 1914 auf der Neuen Wiener Bühne, Geschrieben Dezember 1914 als sechstes Flugblatt; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Österreichische Gedichte“ 1914 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für einen Menschen von der Heimatverbundenheit Anton Wildgans' mußte der Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 die tiefsteingreifende Durchschütterung bedeuten. Ein Venen­leiden machte ihn zu jeglichem Frontdienst untauglich und daher außerstande, auf diese Weise sein Teil Hilfe für das Vaterland beizutragen; so nahm er seine Zuflucht zu jener Aus­drucksform, die ihm zu Gebote stand: zum Gedicht)

 

Ihr werten Männer und liebe Frauen

Seid gekommen, ein Weihnachtsspiel anzuschauen,

Das mit kindlicher Einfalt darstellt,

Wie geboren war der Heiland der Welt

In heiliger Nacht, wie ihr alle wißt,

Der Chor der Engel erschienen ist

Den Hirten, die da getreulich wachten

Da ward zum erstenmal Weihnachten.

 

Es wachte der Hirten einsame Schar

Auf die Herde, so ihnen befohlen war.

Es wachten die Hirten im freien Feld,

Daß kein Wolf den friedlichen Lämmern nachstellt.

Seither sind vergangen fast zweitausend Jahr,

Und noch immer ist die Welt voll Gefahr.

Noch immer ist Heilands Liebe und Spruch

Kaum mehr als der Buchstab im Heiligen Buch.

Und gegen den Frieden, der ward verkündigt,

Wird noch immer gefrevelt und gesündigt.

Der Lump, der faulenzt, borgt und säuft,

Nach des fleißigen Mannes-Habe greift.

Der Krämer, der seine Kundschaft verliert,

Nach des ehrlichen Kaufmanns Leben giert.

Der Bube, der Mörder dingt und zahlt,

Den Rächer anklagt der Gewalt.

In Lüften, auf Erden und auf dem Meer

Muß der Gerechte sich setzen zur Wehr.

Zum Morden, Brennen, Wüsten und Schänden

Anrennt der Böse aller Enden.

Doch nützt ihm nichts sein grausig Gebärden,

Wir sind kein lammsfrommen Lämmerherden.

In unseren Arbeitern, Bauern und Bürgern

Erweckt der Herr ein Volk von Würgern.

Aus der zärtlichen Obhut der Frauen und Mütter

Brechen sie vor als ein Ungewitter,

Und wie Flammenregen und Sündflut

Kommt über den Feind unser Blut, unser Blut

Auf daß der Haß, der nach uns gezielt hat,

Für lange ausgetobt und ausgespielt hat,

Auf daß sich uns wieder die Engel zeigen

Mit Halleluja und himmlischen Geigen,

Und die Völker der Botschaft teilhaftig werden:

Friede, Friede, den Menschen auf Erden!

 

Doch bis es soweit ist, Ihr Männer und Frauen,

Seid stark und geduldig und laßt uns vertrauen.

Wollen nicht wie die unartigen Kleinen,

Was sich nicht gleich fügt, beweinen, begreinen.

Wollen nicht nach sauren Früchten greifen,

Nein, lieber arwarten ihr süßes Reifen,

Damit nicht des Friedens köstliche Labe

Am End einen bitteren Nachgeschmack habe,

Damit wir nicht mir beschämtem Gewissen

Den Waisen der Helden bekennen müssen:

Für Halbes sind eure Väter gestorben,

Die Lebenden haben´s den Toten verdorben!

 

Denn alles, was wir gedenken und tun,

Darf fürderhin nur auf der einen beruhn:

Daß wir vor den vielen Augen bestehen,

Die jetzt vor Tränen übergehen.

Sonst würde in unseren Herzen auf Erden

Wohl nie der verheißene Frieden werden.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Heiliger Herbst

(Geschrieben 30.9.1908, ursprünglich „Drei Sonette“ genannt und noch verändert ; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Anton Wildgans: Zur Erinnerung an den Gang auf dem Leopoldsberg am 24.9.1908 meiner Lilly geweiht)

 

I.

 

So gingen wir selbander Hand in Hand

Den schmalen Weg, den lieben Berg empor,

Und oben winkte Zinne, Turm und Tor,

Umrauscht, umbauscht von roter Wipfel Brand.

 

Doch unten lag das herbsterblichne Land:

Die Ebene im dünnen Silberflor

Von Blond, das noch nicht alles Gold verlor,

Und lose drin des Stromes blaues Band.

 

Da sah ich selig auf dein junges Haar

Und fühlte deiner Hände warmes Leben,

Und wie in ihnen zehnfach Seele war

 

Von jedes Fingers eigenem Erbeben –

Und deine Augen sprachen lieb und klar,

Daß alles dies mir zärtlich hingegeben.

 

 

II.

 

Und oben hauste frech und froh der Wind,

Zauste das Laub und feste scharf die Matten –

Wir aber, klug in einer Mauer Schatten,

Rasten im Rasen froh, wie Kinder sind.

 

Tief unten graut die Stadt! – Von Dünsten blind

Glimmen die kuppeln, Dächer und die matten

Fenster, indessen aus den nimmersatten

Schloten und Essen brauner Qualm zerrinnt –

 

Mich lockst du nimmer, kauernder Koloß,

Trügender Tröster rastloser Gehirne!

Was ich von dir gelitten und genoß,

 

Bin ich wie eine mürbe Maske los

Und lege dankbar die befreite Stirne

In dieses Kindes mütterlichen Schoß.

 

III.

 

So lag ich lang, tief atmend das Arom

Des jungen Leibes und dies reiche Schweigen

Und hörte deine Seele niedersteigen

Zu deines Schoßes ahnungsvollem Dom.

 

So klein bin ich, ein Mensch nur, ein Atom

Und ausgeschaltet aus dem ewigen Reigen,

Wenn nicht durch dich, was mir als Tiefstes eigen,

Einmünden darf in alles Lebens Strom...

 

Der Abend kam, wir schritten in das Tal –

Nie war der Tag so feierlich verklungen.

Wie Glockentöne, ernst und keusch verschlungen,

 

Sangen die Seelen innigsten Choral.

Da lauschten wir und nahmen tiefbezwungen                                          

Der höchsten Liebe heilig Abendmahl.

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Heiligtum

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Ich bin in diesen Dämmerraum

Wie in ein Heiligtum getreten —

mir war, als wehten

Die Düfte welker Blumen

Hier wie ein toter Traum.

 

Ich glaubte, jeden Augenblick

Müsst' all' das holde Glück erwachen:

Das süsse Lachen,

Das leise Liebesflüstern,

All´ das Glück.

 

Da ist mir jedes Plätzchen lieb,

Verklung'nen Tönen nachzulauschen

. . . . Im Garten rauschen

Die Bäume welk und traurig,

Weil der Lenz nicht blieb.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Heimat

(Geschrieben 1925/1931, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

So lege du die Hand um meine Schläfen

Und sage meiner Wachheit: Geh’ zur Ruh’ –

Und sage mir: Kind, schließ die Augen zu,

Ich wiege dich, ein Strom, in stille Häfen.

 

Dort weißt du nichts von dir: nicht, daß du bist,

Nicht, daß du wünschest, nur Erfüllung!

Aus deines Denkens brennender Umhüllung

Sinkst du in Kühle, die erquickend ist.

 

Und wachst du wieder auf, so war es ich,

Der Strom, die Häfen und die große Stille.

Und immer wieder treibt, ein Kahn, dein Wille

 

In meine Buchten ein, in Gott, in mich!

Und lockt es wieder dich zu fremden Fahrten,

Zieh aus! Ich bin die Heimat, ich kann warten. 

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Helldunkle Jugend

(Geschrieben um 1930, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Die beiden Gedichte, die sich unter diesem Titel in der „Nachlese" des ersten Bandes finden, waren aller Wahrscheinlichkeit nach als der Beginn eines Zyklus gedacht, der die eingreifendsten Geschehnisse im Leben des Dichters, jene, denen eine seinen Weg beeinflussende Wirkung innewohnte, zum Vorwurf haben sollte. — Das eine Gedicht hält jenen ersten, während eines Sommeraufenthaltes in Mödling sich ereignenden Zu­sammenbruch des Vaters fest (1895), der den Beginn von dessen zehnjährigem martervollem Leiden bedeutete. Den Inhalt des anderen Gedichtes, wie auch von „Wandlung“, bildet die bis an den Rand des Todes her­anführende Scharlacherkrankung des Jünglings 1898, der aus die­ser Gefahr nur wie durch ein Wunder gerettet wurde. In dem Kapitel „Nachtstück in der Lenaugasse 1898" seiner „Musik der Kindheit" gibt uns der Dichter von diesem Geschehnis aufschlußreiche Kunde. Dieses Kapi­tel schließt mit dem Gedicht „Ich denke dich an jedem Tage, Tod!")

 

 

 

I.

Belebe dich durch Geistes Schöpferhauch.

Gebilde, liebes Mauerwerk uralt,

Gewirr von kleinen Häusern, Gärten auch,

 

gebannt in kleiner Höfe Aufenthalt,

aus denen maien-abends Zithern klingen

und Menschen junge treibende Gewalt

 

der Herzen in den sanften Himmel singen.

Hier war es, wo ich Bitterstes erlitt

als Knabe schon. Den Vater sah ich bringen.

 

Schankknechte waren's, stöhnend war ihr Schritt,

da sie den jäh Erkrankten nächtlich trugen

und Stall-Laternen gingen flackernd mit.

 

Wie stand, der Puls, und dann wie schmerzhaft schlugen

erstarrten Blutes Wogen auf zum Hals

und in die Schläfen, die es kaum ertrugen –

 

 

 

 

II.

 

In wilden Fiebernächten stand das Leben

An meinem Bett und hielt die kühlen Hände

An meine Stirn, um die die wirren Brände

Bunter Gesichte zuckten. Aufzuschweben

 

Schien schon die Seele mir. Anheimgegeben

Der Schwere lastete der Leib. Die Wände

Des Raumes zersanken in das All. „Das Ende!“

Schrie eine Stimme, furchtbar zum Erbeben.

 

Doch jener Geist, der lächelnd ungetrübte,

Der mich mit seinen Marmorfingern kühlte,

Neigte sich mir, in dem die Nacht schon wühlte,

 

Und lispelte dem todverzückten Ohr:

Noch einmal will ich dein sein, dumpfer Tor,

Tust du in dieser Stunde ein Gelübde ...

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Helldunkle Stunde

(Geschrieben 1916; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Die Todesahnung, die To­desbereitschaft sind ein Motiv, das sich durch das gesamte Werk des Dichters zieht. Und wieder erklingt in diesem Gedicht auch das zweite Motiv: die Forderung der „Stimme im Traum des Künstlers")

 

Manchmal befällt mich’s, daß ich denken muß,

Ich stürbe bald und ließe ungetan

mein Werk zurück, zu dem ein strenger Plan

Mich rastlos drängt nach höherem Beschluß.

 

Nur dies, nicht eitel Haschen nach Genuß

Klammert mich fest an dieses Leben an,

Das, zwischen Nichts und Nichts, ein schwanker Kahn,

Rasch übersetzen darf der Dinge Fluß.

 

Der ist zu sehr bewegtes Element,

Um, was nicht Licht ist, spiegelnd festzuhalten.

Nur, was sich flammenhaft vom Fleische trennt

 

In schmerzlichem und betendem Gestalten,

Vermag als unser Bildnis fortzuwalten.

Was leuchten soll, muß dulden, daß es brennt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Heloise

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 7.9.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

O blasse Heliose, o Zeit, wie weit!

Da fand auch ich in Nächten deine Zelle,

Und meines Herzens urgeheimste Schwelle

Erschloß ich dir, die mir gebenedeit.

 

Wie schmiegte sich dem klösterlichen Kleid

Folgsam des Busens mädchenhafte Welle!

Und wie, durchirrt von Blutes schneller Quelle,

Bebte dein Wort, dein Leib Ergriffenheit!

 

Die grauen, schweren Schatten müder Lider

Erhielten damals andern, süßen Sinn:

Nicht Tugend mehr, nur Wonne immer wieder!

 

Auf weichem Altar, heitre Priesterin,

Gabst du das Opfer der enthüllten Glieder

Lächelnd der Liebe deines Dichters hin.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Herbe Erkenntnis

(Geschrieben 1917; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: aus der Sehnsucht nach Erden­nähe und Erdverbundenheit heraus entstanden. Durch seine Mutter, die einer mährischen Bauernfamilie entstammte, war dem Dichter diese treibende Kraft „Zurück zur Natur" als Wesenselement einverleibt worden, und diese Kraft offen­barte ihm immer wieder aufs neue den Widersinn des Großstadtlebens)

 

I.

 

Wie Freunde sich nur allzuleicht entzwei’n

Durch Weiberränkespiel – und tausendfach

Geschieht dies zu der Männer Not und Schmach! –

So leicht der Erde fremd wird Menschensein.

 

Dir, aufgewachsen zwischen Häuserreihn,

Ist Element nur lästig Ungemach,

Regen und Wind nur Anlaß für ein Dach

Und bloß Beleuchtung Mond und Sonnenschein.

 

Daß Hagel wüstete in voller Saat,

Daß Frost der Trauben süßes Gut verbrannt,

Weißt du vom Preis, den Wein und Brotfrucht hat,

 

Und ahnst ihn kaum, der jeden Stock gekannt

Und rauher Hand die erde aufgepflügt,

Die Erde, die sein Tagwerk oft betrügt.

 

 

II.

 

Und doch ist sie nur sein, die Erde, sein!

Nicht dein, du Buhler, der sie bloß besucht,

Wie man durch Zufalll einkehrt, auf der Flucht

Aus lärmenden Getriebes Gier und Pein.

 

Und was du schwärmend träumst in sie hinein,

Ist eitel Nichts, gemessen an der Wucht,

Die keinen andern Segen kennt als: Frucht!

Und keinen Fluch denn: Mißwuchs, Unkraut, Stein!

 

Nur jenem frohnt sie, der mit hartem Stoß

Ihr täglich neue Muttermünder schafft

Und sie besamt mit seines Lebens Saft:

 

Mit Schweiß und Blut! Nur ihn erfreut ihr Schoß!

Für Schwärmers spielerischen Zeitvertreib

Verweigert sie den Ernst gewohnten Leib.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Herbst und Ende

(Geschrieben 1909; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911, später als „Triptychon der Liebe“ mit „Liebesnacht“ und „Und dann war Sommer“ zusammengefasst; Anmerkung: Variation von „Abschied“))

 

Oh, sei nicht traurig, weine nicht, mein Kind,

Und laß uns scheiden, ohne es zu müssen!

Zwei Schmetterlinge nahm der Frühlingswind

Auf seine Schwingen, daß sie satt sich küssen,

Und jetzt ist Herbst! In allen Gärten sind

Die Äste schwer von süßen Überflüssen,

Und auf den Hügeln bollern die Salute

Dem schäumenden rotgoldenen Traubenblute.

 

In dieser der Erfüllung üppigen Zeit

Mag auch die Liebe ihre Ernte tragen!

So laß uns stark und ohne Bitterkeit

Den letzten langen Kuß des Abschieds wagen

Und weise sein, eh unser Herz verschneit

Und Mühsamkeiten es wie Frost zernagen:

Die Frucht ersehnt, daß sie gebrochen werde,

Das Müdgelebte fault und wird Gebärde.

 

Noch wittert der Verwesung herber Duft

Nur leise mahnend, ohne zu zerstören,

Und in den Nächten wiegt sich noch die Luft

Klingend genug, die Sinne zu betören,

Indessen mächtig durch die Wälder ruft

Brünstiger Hirsche aufgeregtes Röhren:

Zu dieses Urlauts großem Orgeldröhnen

Ziemen nur Worte, welche freudig tönen.

 

So weine nicht, du blühendes Geschmeid,

Das ich um meine Einsamkeit gewunden!

Du bist so jung, für dich ist noch das Leid

Die Arzenei, um tiefer zu gesunden,

Und dieses Leben noch ein köstlich Kleid,

Leuchtend von Perlen ungelebter Stunden —

Ich muß die kommenden bedächtig nützen,

Um die gelebten dauernd zu besitzen.

 

Doch du wirst jung sein, immer wieder wird

Zu dir der Frühling von den Hängen steigen,

Und immer wieder wird dein Haar verwirrt

Vom Tanze sein und von dem Rausch der Geigen.

Ich aber will, von keinem Reiz beirrt,

Mich tiefer in die eigne Seele neigen

Und alles Ewige aus unsern Liebesnächten

Wie rote Rosen in mein Lied verflechten ...

 

Der Herbst verging. Wir hatten beide nicht

Die Kraft, das süße Labsal abzusetzen.

Da ward das Leben uns ein schal Gericht,

Was Freude war, kalt-sinnliches Ergetzen.

Erst nahmen wir die Maske vors Gesicht,

Nicht sehen wollend, bis auch die in Fetzen

Zerfiel. — Wir haben nie aus diesen Stunden

In unsere Liebe wieder heimgefunden.

 

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Herbstfrühling

(Geschrieben 1905; Erstveröffentlichung unter dem Titel „Ist das nicht wundersam...?“ in „Die Zeit“, Wien Nr.1091, Beilage Die Sonntags-Zeit am 8.10.1905; Erstveröffentlichung in Buchform im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Ella Höfken; Tennisplatz im Park der Villa Trebitsch in Sulz-Stangau; Dieses Gedicht gewährt ebenso wie „Harlekinade" und „Ein Becher" tiefe Einblicke in die ungewöhnlich subtile Seelenverfassung einer hochorganisierten, aber durch das Schicksal und die eigene Veranlagung nach vielen Richtungen hin gehemmten Jünglings-Persönlichkeit)

 

Ist das nicht wundersam... daß mich der purpurblonden

Herbstlichen Glut so an dein Haar gewmahnt,

Daß meine Seele nach versehnten Monden

In letzter Stunde noch Erfüllung ahnt - ?

Daß sie den Frühling der Kastanienzweige,

Die ihre Leuchter wieder angezündet,

Wie ihren eignen zweiten Lenz empfindet

Und doch den Becher hält trotz seiner Neige...

 

Drum will ich nochmals meine Wände schmücken

Und meine Schwelle wie im Frühling kränzen,

Die Vasen, Rahmen und die Bücherrücen

Vom Staub erlösen, daß sie wieder glänzen –

Und will die Laden alle sorgsam schließen,

Daß nicht ein Duften nach Vergangenheit

Die Stunde stört, die mir dein Kommen weiht

Auf angebeteten und leichten Füßen.

Und aus den dunklen Ecken will ich locken

Die Seufzer alle, die sich dort verfangen –

 

Die Flügel auf! – Der Abend naht mit Glocken,

Wie sie mir feierlicher niemals sangen –

Da weichen sie, der Einsamkeit Gespenster,

Und auf den Tisch, weißschimmernd überhangen,

Stell ich dir Becher, die noch niemals klangen,

Und eine rote Rose auf das Fenster.

Dann will ich warten, bis die letzte Farbe

In Schatten stirbt, in laut- und grenzenlose,

Dann glüht mein Wein, dann duftet meine Rose,

Dann muß das Wunder kommen, des ich darbe...

 

Die Nacht verging – und erst beim Morgengrauen

Schloß ich das Fenster. Grimme Schauer fielen.

Von Gras und Blatt sah ich’s mit eisigblauen

Frostaugen höhnisch nach mir schielen.

Die Rose hing geknickt in ihrer Vase,

Krank war des Weines Duft im Glase.

Und dünner Staub lag wieder auf den Dielen.

Und überall begann aus grauen Ecken

Der Alltag fahle Hände herzustrecken.

In allen Winkeln sah ich tote Träume hocken,

Wie Eulen stierend aus beraubten Nestern.

Denn solche Nacht, ankündend sich mit Glocken,

Nutzlos durchlauscht, macht mehr denn Heut aus Gestern –

 

Und einmal war’s mir doch, als würden Schritte

An meiner Tür unschlüssig sich besinnen:

Ein – zwei Minuten! – Und die leisen Tritte,

Wie sie gekommen, klangen sie von hinnen ...

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Herbstliche Einkehr

Ein Epilog

(Geschrieben 7.12.1911, Cafe Rudolfshof in Grinzing; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht wurde niedergeschrieben nach einem bis in den November hinein ausgedehnten Aufenthalt auf dem Lande. Nach dem langen „Sich-bescheiden-Müssen" in primitiven Verhältnissen fühlte sich der Dichter in der geistigen, kultivierten Atmosphäre seines Wiener Arbeitszimmers voll innerer Wärme gebor­gen. — Das Bild der Ebereschen mit den roten Frucht­büscheln wurde im Jahre vorher auf der Semmeringer Reichs­straße nahe Steinhaus empfangen) 

 

Die Ebereschen haben noch die roten

Fruchtbüschel ausgehängt. Erloschen, grau

Und eingefallen, so wie eines Toten

Gesicht, ist schon die Erde, stumm die Au,

Frierend der Wald; auf schwarzen Wolkenbooten

Kommt Sturm gefahren, und der Reif fällt rauh,

Nichts mehr gemahnt in diesen finstern Tagen

An Blütenwirrnis und an Früchtetragen.

 

Da gilt es wiederum, sein Bündel schnüren

Und heimzukehren in gewohnte Stadt.

Da warten schon die lieben dunkeln Türen,

Die dich entließen, engen Raumes satt.

Die Lampe möchte glühen und verführen

Zu langem Wachen über Blatt um Blatt,

Zu lauschen in das unbedrohte Schweigen,

Aus dem hochquellend die Gedanken steigen.

 

Da kann es sein in atemleiser Stunde,

Daß aus der Bücher dichtgestellten Reihn

Wie aus dem Purpur heiliger Marterwunde

Mystischer Glanz aufbricht; denn, Schrein an Schrein,

Gibt dieser Bücher ernste Fülle Kunde

Von deiner Seele vielem Einsamsein,

Indessen draußen mit dem Bacchuskranze

Das Leben taumelte von Tanz zu Tanze.

 

Und wenn du einmal zugriffst, war nicht immer

Der Nachgeschmack bitter, das Besinnen Frost?

So blühe auf, summender Lampe schimmer,

Gebinde alter Weisheit, strömet Most!

Duftende Gärung wittre durch das Zimmer:

Geist der Jahrhunderte! – Wer solchen Trost

Genießen darf und ihn zu nützen lernte,

Hat immer Frühling und hat immer ernte.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

Herbstmessiade

(Geschrieben vor 1909; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909)

 

Jetzt ist er leise wieder eingetreten,

Der stille Mann mit seinem müden Segnen,

Und alle Wesen, die ihm ernst begegnen,

Verneigen sich im letzten stummen Beten.

 

Wie liegt der Fluß in diesen Erntetagen

Blank, eine Sichel, die ihr werk verrichtet’,

Und Garben über Garben, goldgeschlichtet,

Lasten wie Glanz auf hochgetürmten Wagen.

 

Jetzt spenden alle Kelche ihre Neige

Zu letzter Lust, denn dunkel ist das morgen,

Und stille Gräber, Sommers blattgeborgen,

Erschimmern jetzt durch schwarze kahle Zweige.

 

Der Meister doch in regloser Gebärde

Blickt wie ein Arzt am Bette eines Weibes,

Das sterbend liegt in Wehen seines Leibes,

Und fühlt den Puls der erntemüden Erde.

 

Dann wendet er sich ab von all dem Sterben

Und weiht dem jungen Leben sein Erbarmen,

Und aus der Mutter toterstarrten Armen

Hebt er das Kind, den Frühling, ihren Erben!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Heute frag nur nach dem Heute ...

(Geschrieben 1918, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Diese Verse wollte der Dichter ursprünglich, wie er am 21. August 1929 an Hofrat Rudolf Junk schrieb, als Motto über seinen lyrischen Sammelband „Buch der Gedichte" setzen. „Aber", fügte er hinzu, „ich tu's nicht! Es steht nicht dafür. Ihrem Sie hochschätzenden A. Wildgans.")

 

Heute fragt nur nach dem Heute,

Schnell verworfen ist das Gestern,

Und es hat dabei die Meute

Leicht zu kritteln und zu lästern!

 

Doch es kommen andre Tage,

Schnüffelnd nicht, was zeitgerecht war,

Und dann gilt nur mehr die Frage,

Was gemußt, gekonnt und echt war!

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Hymne

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Frührot der Liebe,

Heiliges Dämmergrau,

Lab meine Seele

Mit deinem Morgenthau !

Rauchopfernd wallet

Duftender Erdgeruch,

Und von mir fallet

Erdwärts das Leichentuch,

Das mich umfangen

mit düsterem Wahn —

Heiliger Morgen,

Ich bete dich an !

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Ich bin ein Kind der Stadt

(Geschrieben 1911; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Mit der „Vorstadt" ist der VIII. Wiener Gemeindebezirk, die Josefstadt, ge­meint, in dem der Dichter von seinem fünften Lebensjahr an bis zu seiner Verheiratung wohnte und der für ihn den Be­griff „Heimat" innerhalb der Großstadt verkörperte. „Die Kirche" — die am Jodok-Fink-Platz gelegene Piaristenkirche „Maria Treu" neben dem Piaristengymnasium, das der Jüngling besuchte und wo er auch maturierte. „Der Park, in dem ich viel gerauft" — der Schönbornpark)

 

Ich bin ein Kind der Stadt – Die Leute meinen

und spotten leichthin über unsereinen,

Daß solch ein Stadtkind keine Heimat hat.

In meine Spiele rauschten freilich keine

Wälder. Da schütterten die Pflastersteine,

Und bist mir doch ein Lied, du liebe Stadt.

 

Und immer noch, so oft ich dich für lange

Verlassen habe, ward mir seltsam bange,

Als könnte es ein besondrer Abschied sein.

Und jedesmal, heimkehrend von der Reise,

Im Zug mich nähernd, überläuft’s mich leise,

Seh’ ich im Dämmer deine Lichterreihn.

 

Und oft im Frühling, wenn ich einsam gehe,

Lockt es mich heimlich raunend in die Nähe

Der Vorstadt, wo noch meine Schule steht.

Da kann es sein, daß eine Straßenkrümmung,

Die noch wie damals ist, geweihte Stimmung

In mir erglühen macht wie ein Gebet.

 

Da ist ihr Laden, wo ich Heft und Feder,

Den ersten Zirkel und das erste Leder

Und all die neuen Bücher eingekauft,

Die Kirche da, wo ich zum ersten Male

Zur Beichte ging, zum heiligen Abendmahle,

Und dort der Park, in dem ich viel gerauft.

 

Dann lenk’ ich aus den trauten Dunkelheiten

Der alten Vorstadt wieder in die breiten

Gassen, wo all die lauten Lichter glühn.

Und bin in dem Gedröhne und Geschrille

Nur eine kleine, ausgesparte Stille,

In welcher alle deine Gärten blühn.

 

Und bin der flutend-namenlosen Menge,

Die deine Straßen anfüllt mit Gedränge,

Ein Pünktchen nur, um welches du nicht weißt.

Und hab’ in deinem heimatlichen Kreise

Gleich einem fremden Gaste auf der Reise

Kein Stückchen Erde, das mein eigen heißt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich bin nur einer von den vielen Jungen . . .

(Geschrieben Mai 1911, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Georg Hirth zum 70. Geburtstag, am ersten Tag des ersten Mönichkirchner Aufenthaltes im Mai 1911 auf der Bank neben dem Friedhof in das Notizbuch geschrieben)

 

Ich bin nur einer von den vielen Jungen

Und gegen Dich ein Kind fast, edler Mann.

Doch hab' auch ich gelitten und gerungen

Und wanderte durch manche Niederungen,

Eh' ich der Höhen fernen Glanz gewann.

 

Drum weiß ich auch, was es bedeutet:: Leben.

Wie schwer es ist für einen, der allein,

Und weiß, daß jene, die am Niedern kleben,

Die Mehrzahl find und des sich überheben,

Und daß es fast als Schuld gilt: anders sein.

 

Doch Du hast einen festen Hort gegründet,

Die Jugend schützend vor der Übermacht

Der Überlebten, drum Sei Dank gekündet

Von uns Dir, und das Licht, das Du entzündet,

Sei Deinem Feste zum Fanal entfacht.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich hab' Dich schon als Kind gekannt

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Zum Hochzeitstag von Erika Stirner, verehelichte Platzer, ge­schrieben, der einzigen Tochter von Anna Stirner, in deren Mönichkirchner Haus, der späteren Pension Erika, Anton Wildgans seine Arbeitsstätte hatte. An dem Haus wurde nach des Dichters Tod eine Gedenktafel angebracht, daß hier der größte Teil seiner Werke entstanden ist)

 

Ich hab' Dich schon als Kind gekannt

Und kenn' Dich nun als Frau,

Dazwischen liegt Dein Mädchenland

Und, freundlich drüber hingespannt,

Des Heimathimmels Blau.

 

Du drängst jetzt in die Welt hinaus

Und baust Dein eigen Nest —

Doch ob's Dich treibt durch Saug und Braus,

Hier oben Deiner Kindheit Haus

Bleibt Dein Gewahr und Fest.

 

Und bleibt der Wälder ernstes Grün,

Der Wiesen lichte Rast,

Und bleiben Herzen, die Dir blüh'n,

Und bist gestärkt in Lebensmühn,

Solang Du dieses hast.

 

Und Einer, der Dich früh gekannt

Und diese Zeilen schrieb,

Streift weiter durch Dein Mädchenland

Und führt im Geist Dich an der Hand —

Behalt auch Du ihn lieb!

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich habe mir ein Antlitz hergelegt . . .

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Ich habe mir ein Antlitz hergelegt,

Nein, eine Maske – kaum mehr ein Gesicht,

Und meiner Seele wunde Glut durchbricht

Nicht die Grimasse mehr, die mich umhegt.

 

Mein Lachen nicht mehr lustgezeugt, mein Wort

Ein im Erklingen fremdgewordner Laut.

Mir graut

Manchmal vor diesem stummen Mord,

Der einem Lächelndem geheim geschieht,

Und erst entstellt, bevor er ihn zerstört - 

Und doch hab´ manchmal ich in mir gehört

So süßes Lied.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich liebe:

(Geschrieben 1928, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928)

 

Die Landschaft, so das Auge stillt

Und weher Seele Ruhe quillt;

 

Die Menschen, die, in sich gefaßt,

Wie Inseln sind in Lebenshast;

 

Den Geist aus Stirnen, braungeglüht,

Der klar, wie Quell vom Felsen, sprüht;

 

Mich selbst, wenn ich, gefaßt im Sinn,

Gestillt und klar, ich selber bin.

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich liebe meine Zeit . . .

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Ich liebe meine Zeit – sie ist mir Kleid und Hemd,

Das meinen Körper wärmt – und doch ist sie mir fremd,

Ich schließe draus: ich liebe nicht die Zeit,

Sonst müßt´ sie mehr mir sein als bloß das Kleid.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich möchte doch nur  

(Nachlese)

 

Und möchte doch nur wie die andern sein,

die alles tun zu klarem Zweck und Ziel,

was morgen gilt, bedeutet ihnen viel,

und wo nichts ist, befriedigt sie der Schein.

 

Mich nehmen alle Dinge meiner Welt

und zwingen mich, daß ich in ihnen bin,

so muß ich schleppen ihren dunklen Sinn,

heiße Narr und bin im Grund ein Held.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich wehrt und sträubte mich lange . . .

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Ich wehrt und sträubt mich lange,

Wollt´ nicht Beamter sein,

Ich hielt nichts von Titel und Range,

Wollt´ lieber von gutem Klange

Ein Dichter und Träumer sein –

 

Allein das Leben hat immer

Mit einem was anderes vor.

Es wird ja nicht immer schlimmer,

Doch alle Sehnsucht und Schimmer

Stößt bloß auf ein taubes Ohr.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Idol

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Wie ein Erinnern, das schon fast dahin,

Wie frühes Trachten, von der Zeit beschwichtet,

Wie eine Leidenschaft, die längst geschlichtet,

So tratest du im Traum vor meinen Sinn.

 

Und gabst dem Blut, daß ich von neuem bin,

Dem Herzen Glut, die wandelt und verrichtet,

Und hast der Hoffnung wieder mich verpflichtet,

Der Totgeglaubten, der Verführerin.

 

Um deineswillen könnte sich erheben

Der Geist vom Faulbett, wo ich ihn vertan,

Und lauschen deiner Schritte Näherschweben.

 

Für dich erwüchs’ mir wieder Kraft und Plan,

Dem Werke mich, dem Leben hinzugeben –

Du aber gehst und siehest mich nicht an.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ihr Kleingläubigen

(Eine Laienpredigt für Daheimgebliebene , Geschrieben Oktober 1914 als drittes Flugblatt; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Österreichische Gedichte“ 1914 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für einen Menschen von der Heimatverbundenheit Anton Wildgans' mußte der Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 die tiefsteingreifende Durchschütterung bedeuten. Ein Venen­leiden machte ihn zu jeglichem Frontdienst untauglich und daher außerstande, auf diese Weise sein Teil Hilfe für das Vaterland beizutragen; so nahm er seine Zuflucht zu jener Aus­drucksform, die ihm zu Gebote stand: zum Gedicht)

 

Ihr, die ihr müßig diese Zeit verlungert,

Aus eigner Unkraft aller Kraft mißtraut,

Von einem Zeitungsblatt zum andern hungert

Und vorgekaute Schalheit wiederkaut,

Iht Unheilseher und Besorgnisstammler,

Ihr Hinterbringer und Gerüchtesammler,

Für euch wird diese Welt nicht neugebaut.

 

Die, so sie bauen, gehen mit harten Gliedern

Die Feinde an als Engel des Gerichts.

Mit heißen schlafgewöhnten Augenlidern,

Beharren sie in Eisenhagelschauern:

Ihr flüchtet euch in billiges Bedauern

Und matten Wohltuns aufgebauschtes Nichts.

 

Die tragen Frost und Hunger, Durst und Wunden,

Ihr Tag ist Sterben und Gefahr die Nacht,

Und alles, was der Menschengeist erfunden,

Scheint nun zu ihrer Folter ausgedacht.

Ihr schlaft euch aus und nährt euch mit Behagen,

Und nichts, was jene wagen und ertragen,

Ist euch genug bewältigt und vollbracht.

 

Die werfen ihre Herzen in die Bresche –

O diese Herzen, männlich, treu und heiß ! –

Und waschen fromm die fremde Sündenwäsche

Mit ihrem reinen Blute wieder weiß.

Ihr Krämerseelen und Prozentemacher

Verwinselt eueren lahmgelegten Schacherr,

Vereitelten Profit und Wucherpreis.

 

Wer fragt danach? Ein Volk hat sich erhoben

Aus dumpfen Friedens aufgestörtem Schoß,

Und wuchtet wie Granit im Schlachtentoben.

Das war ein Aufstehn, schlicht und grenzenlos!

Denn nicht die Furcht vor Galgen und vor Knuten

Treibt dieses Volk, zu fechten und zu bluten,

Nein, ein Liebe, klar, gestreng und groß.

 

Die selbe Liebe, die im Ölbaumgarten

Vor Gott hinsank, ein Zeichen zu erflehn,

Und als sich keine Zeichen offenbarten,

Aufschrei: Laß diesen Kelch vorübergehn! –

Und dann, geklärt durch Wachen und durch Beten,

Vor Häscher und Verräter hingetreten

Zu unerhörten duldenden Verstehen;

 

Dieselbe Liebe, die der Schrecken Böser

Vom Anbeginne ist, weil ihre Kraft

Aus einem wehrlos leidenden Erlöser

Des jüngsten Tages strengen Richter schafft.

Denn wahrlich, wer es fassen kann, der fass´ es:

Der Gott der Liebe ist der Gott des Hasses,

Der kein Erbarmen kennt, wo er bestraft.

 

Drum ziemt auch uns das göttliche Ereifern,

Das einst mit Zorneswort und Geißelhieb

Die Makler, Wechsler, Käufer und Verkäufer

Aus dem geweihten Hof des Tempels trieb,

Daß ins das Opferbringen unserer Söhne

Nicht das Gewirre feiger Stimmen töne

Und eines Marktes schamloser Betrieb.

 

Daß vor dem Tabernakel höchsten Duldens

Für unser aller Erde, Weib und Kind,

Die tiefe Demut ungeheuren Schuldens

Sich dieses großen Sterbens Sinn verdient,

Und daß im ganzen heiligen Bereiche

Ein jeder jedem dieser Helden gleiche,

Die Wunder wirken, weil sie gläubig sind.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Im Abendneigen

(Geschrieben 1905; Erstveröffentlichung in „Die Zeit“, Wien, Nr.1021, Beilage Die Sonntags-Zeit am 30.7.1905; Erstveröffentlichung in Buchform im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Über den Schluß dieses Gedich­tes schrieb der Dichter am 10. Februar 1908 in einem Brief an mich: „Damit war kein wirkliches, lebendes, mir bekann­tes Weib gemeint, sondern jene Ersehnte, die ich in manchen Stunden fast in körperlicher Nähe fühlte, ohne je in der Wirklichkeit ihresgleichen oder eine ähnliche zu finden, so daß ich hätte sagen können: Diese ist es —")

 

Im Abendneigen bin ich ganz allein –

Die Dämmerung mit bleichen Geisterhänden

Streift leise an den lichtvergess’nen Wänden,

Verwischt des Tages allerletzten Schein –

Ich tret’ ans Fenster.

 

Da grauen Dächer neben Dächern weit

Und decken Angst und banges Menschenleid.

Und Schlote ragen in den Himmel mastengleich,

Entfaltend ihrer  Qualme schwarze Fahnen –

Hinab mit euch! – Des Abends heilig Reich

Erfüllt die Welt schon mit Erlösungsahnen.

 

Da ziehen Tausende aus Ruß und Rauch

Heimwärts, wo jeder sein Glück und sein Elend hat;

Und eines Seufzers qualentbundener Hauch

Bebt durch die ganze Stadt.

Bebt und tastet zum Himmel empor,

Tastet und zieht den schimmernden Flor

Kühler Wolken über glühende Stirnen,

Und da entschlummern sacht

All die Müden in den Frieden der Nacht.

 

Aber Einer, der läßt sein Hämmern nicht

Und stört mir den Frieden mit höhnischer Lust –

Willst du nicht rasten in meiner Brut,

Du grausamer Hämmerer, eh’ sie bricht?

Kannst du nicht endlich, endlich schweigen,

Wenn sich die schwarzen Banner schon neigen,

Und du in andern Menschen ruhst? –

 

Der Dämmerung Silberleib zerfließt in Nacht –

Sie winkt mir scheidend mit der bleichen Hand.

Ein Augenpaar, zu milder Glut entfacht,

Senkt sich in meins mit wehmütigem Brand

Und schenkt mir heißer Tränen süße Pein –

 

Zwei Hände rühren sanft an mein Gesicht,

Und eine liebe Stimme spricht

Im Abendneigen: Bist du denn allein - ?

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Im Anschaun meines Kindes

(Geschrieben 10.11.1913, Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Im Jahre 1913, nach der Geburt des ersten Sohnes Friedrich geschrieben, aus dem großen Glück heraus, das die Vaterschaft dem Dichter vermittelte, aber auch aus allem Gefühl für Verantwortung und Rechenschaftsablegung heraus, das so stark in dem Manne veranlagt war)

 

Du Atmendes, zu deinem Schlaf gebeugt

Steh stumm erschüttert ich, der dich gezeugt.

Beklommen tast’ ich nach der Freundin Hand,

Aus deren Schoß dein Leib sich feindlich wand.

Du Fleisch gewordnes Fieber unsrer Lust,

Wir haben dich gewollt, du hast gemußt.

Nun bist du, eines Schicksals Anbeginn;

Erschaudernd grüble ich nach seinem Sinn.

 

In deiner Züge Unerschlossenheit

Spür’ ich nach Zeichen und nach Ähnlichkeit.

Dies ist von mir, der Freundin jener Zug,

Dies bist schon du, dies noch nicht du genug.

Dies Lächelnde vergleicht Erinnerung

Mit einem Bild der Mutter, als sie jung.

Dies leise Wehe um den kleinen Mund

Ist mir aus meines Vaters Leiden kund.

Dies ist schon Güte, jenes ist noch stumpf,

Dieses schon Wille, dies noch Trieb und dumpf.

Nun zuckst du auf im Schlaf, obwohl kein Ton

Dich schrecken konnte – Liebes, träumst du schon?

 

Aus vielen Bluten ist dein Blut entkocht,

Aus vielen Flammen ward der zage Docht,

Der trübe noch in deiner Stirne brennt –

Aus Elementen neues Element.

Nicht nur, was wir am eignen Selbst erkannt,

Ist deinem Wesen erblich eingebrannt.

Auch die Erträge unsrer Dunkelheit

Sind in dein Klares heimlich eingereiht.

Was wir in uns an Bösem abgebaut,

An Listen und an Lüsten rückgestaut,

Das Meinen, das zum Wollen nicht genug,

Die Laßheit, die sich gern der Tat entschlug,

Der Zwiespalt, dem nur Zufall Lösung fand,

Der unvermochten Rache finstrer Brand

In uns und fernster Ahnen Rätselreihn:

All dies bist du nun oder kannst es sein.

 

Vielleicht, daß einst es steil und unvermeint

Aufschnellt in deinem Blut als unser Feind

Und uns beschuldigt, daß wir falsch getan

Aus Trägheit, Torheit oder feigem Wahn.

Da wird die Flamme frei, die wir gedämpft,

Zur Schuld die Treue, die wir schwer erkämpft;

Was wir geliebt, dünkt dich nur wert der Lust,

Wo wir geträumt, da bist du streng bewußt,

Wo wir bestraften, tröstest du mit Lohn,

Wo wir geopfert, klirrt vielleicht dein Hohn;

Aus unserm Dach wird Brennholz deinem Herd,

Aus unserm Werkzeug glühst du dir ein Schwert

Und hast in Trümmer wie ein Jahrmarktszelt,

Die wir uns liebend bauten, unsre Welt.

 

Du Atmendes, zu deinem Schlaf gebeugt

Steh stumm erschüttert ich, der dich gezeugt.

Du Mensch gewordnes Fieber unsrer Lust,

Wir haben dich gewollt, du hast gemußt.

Doch wie, wenn du ein Scherge, einst von uns

Begründung forderst unsres Schöpfertuns

Und uns das Müssen, das man Leben nennt,

Hinschleuderst wie ein listig Dokument,

Worin im Leichtsinn oder sinnberaubt

Wir unterschrieben, was wir nicht geglaubt?

Wie, wenn du uns in deines Wesens Guß

Den Fehler zeigst, der unsre Schuld sein muß,

Und uns aus deiner Not ererbtem Fluch

Beweisest unsrer Herzen Widerspruch,

Daß Lüge war, was uns zusammenzwang,

Nicht zweier Sterne Zueinanderdrang,

Die, lange einsam auf getrennter Wacht,

Zu eins verglühn in heiliger Liebesnacht -!

 

Eratmend tast’ ich nach der Freundin Hand,

Aus deren Schmerz dein Leib sich hold entband.

Du klar gewordne Wirrnis unsrer Lust,

Wir wollten dich und sind nicht schuldbewußt.

Und wirst du doch zum Kreuze, sieh, wir sind

Bereit, daran zu leiden – Schlaf, mein Kind!

Uns Richter magst du werden, bist es schon;

Traumlächle nur, noch ahnst du nichts davon! –

Ein Mittler auch in manchem kleinen Zwist,

Weil, wo wir Zwei sind, du wir Beide bist.

In deinem Lächeln lächeln wir dereinst,

Und unser sind die Tränen, die du weinst.

Auf deinen Füßen gehn wir einst im Wind,

Der unsrer Gräber liebkost. – Schlaf, mein Kind! –

In deines Blutes dumpfer Frühlingskraft

Aufsteige wieder ich aus Todes Haft

Und dränge mir an deinen Jünglingsschoß

Die Schlanken, die ich niemals sattgenoß,

Und schenk’ der Schmeidigsten ein Angebind,

Ein Atmendes, wie du bist! – Schlaf, mein Kind.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Im Hafen von Gibraltar

(Geschrieben 8.11.1904 auf dem Dampfer „Meteor“; Erstveröffentlichung in „Tiefer Blick“ 2002 von Evelyn A. Hahnenkamp – Anmerkung: Von 1904 bis 1905 begab sich Anton Wildgans gemeinsam mit seinem Freund Arthur Trebitsch auf eine Weltreise, die ihn bis nach Australien führte)

 

Ein fallender Stern

im Himmelsraum -

woher und wohin.

Der Feuertraum

einer Welt,     !

die fallt

und zerschellt.

Entflammen - verglühn -

Der Mensch

auf einsamer Wacht

sieht ein Fünkchen fliehn

durch die lautlose Sonnenmacht -

 

 

 

Anton Wildgans                   

1881 – 1932

 

 

Im Park von Fontainebleau

(Geschrieben 27.2.1908, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916)

 

Sie trafen sich im Park von Fontainebleau

An einem veilchenblauen Maientag:

Sie, die Marquise Maud von Mochateau,

Und er, der Chevalier von Casagnac.

Sie schritten durch das Schloß — und wie ein Tuch

Aus tiefem Purpur, perlenüberstickt,

Erfüllt von feinem, sündhaftem Geruch,

Entfaltete der Chevalier geschickt

Des Ortes heimlichste Vergangenheit,

Indessen sie, mit Augen starr und weit,

Nach jenen lüsterreichen Fernen blickt

Voll heißer Sinne und gekrönter Stirnen —

Nach Frankreichs Mächtigen und ihren Dirnen.

 

Und dann, entlassen aus dem schweren Duft

Der alten Säle und verträumten Räume,

Schreien sie lässig durch die Frühlingsluft

Auf leisem Kies im Schattenkühl der Bäume.

Der Chevalier ist immer noch entrückt

Und schwärmt von all der Frauen hoher Huld,

Die groß im Lieben, größer in der Schuld,

Mit Geist und Körper Könige entzückt.

Ihm dünkt die tote Zeit ein Paradies —

„Sie sind ein Dichter", flüstert die Marquise.

Und er danach: „Vielleicht — wenn Dichten heißt,

Dem kleinsten Zauber gern sich hinzugeben —

 

Wenn Dichten heißt: in sich zu Ende leben,

Halbes zu Ganzem, Wirkliches zu Geist —

Wenn es bedeutet: nichts ergreifen dürfen,

In dunklem Schacht nach edlem Golde schürfen,

Das dann durch loser Spieler Hände kreist —

Wenn Dichter ist, wer jedes Ding beseelt

Und doch ein Bettler ist in dieser Welt —

Wenn Dichter ist, wer seiner selbst sich schämt

Und recht gibt, wenn der Pöbel ihn verfemt —

 

Ich weiß, man lächelt über unsre Gleichen,

Weil wir gezimmert sind aus andrem Holz,

Und unverzeihlich dünkt der Welt der Stolz,

Der unsre Stirnen krönt mit schlichten Zeichen.

Man findet, daß mir uns begnügen sollten

Mit jenem Rest, von anderen benagt;

Denn wer nicht  f r ü h e r  zuzugreifen wagt,

Muß essen, was die andern nimmer wollten.

So liebte ich vor langer Zeit ein Weib —

Mein Gott, man war verliebt und jung und dumm

Und sah in jeder Frau ein Heiligtum

Und glaubte mehr zu sein als Zeitvertreib.

Von Versen sprech' ich nicht, die ich ihr schrieb —

Im Gegenteil, die waren sicher schlecht,

Allein, Marquise, das Gefühl war echt,

Und jedes Wort verriet: ich hab' dich lieb —!

 

Und doch, was denken und was taten Sie,

Daß mein Verhängnis ward bei ihr - ?

Nichts, als daß ich ein schlichter Kavalier,

Nicht reich genug und leider nicht – Marquis.“

 

Der Chevalier verneigt sich – die Marquise steht

Erst etwas blaß und ratlos, aber dann

Sucht sie ein Wort, mit dem sie treffen kann,

Und findet es und lächelt bös: „Poet -“

 

Im Park von Fontainebleau – ein Maientag,

Voll Duft und Summen, Vogelruf und Gold –

Zwei Zäume knirsche, die Kalesche rollt,

Und immer ferner tönt der Hufe Schlag –

Und er, noch immer lehnend am Portal,

Lauscht ihnen nach, doch dann mit einem Mal –

 

Was weint der Chevalier von Cassagnac - ? . . .

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Im Prater

(Geschrieben 30. 6.1897; Erstveröffentlichung in „Tiefer Blick“ 2002 von Evelyn A. Hahnenkamp)

 

Siehst du das fröhliche Gedränge

im Festesschmucke angetan.

Es scherzt und lauscht des Walzers Klänge,

lässt sich begaffen und gafft an.

Doch siehst du durch die Menge wandeln

des Widerspruches Nachtgestalt!

Siehst du die Wollust dort verhandeln

die Unschuld, wie Natur sie malt.

Es sind die Blumenmädchen, welche

aus ihrer Hand, bedeckt mit Fluch,

austeilen der Fluren duft'gen Kelche.

Oh wehmutsvoller Widerspruch!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Im Volksgarten

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Lichter schimmern durch die Zweige,

Fernher klingt der Strassen Lärmen,

Mit dem Tage geht's zur Neige,

Und die Fledermäuse schwärmen.

Glocken von den Türmen läuten –

Gläubigen traute Trostgebete —

Kleine schwarze Wölkchen gleiten

Träumend durch die Abendröte.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Im Volkston

(Geschrieben 1916/1917  , Erstveröffentlichung im Gedichtband „Späte Ernte“ 1947 aus dem Nachlass ausgewählt durch Franz Theodor Csokor)

 

Und willst du, daß wir uns nicht mehr sehn,

So sag' mir doch ade!

Wenn zwischen Menschen Lieb' geschehn,

So kann es nicht wie Wind vergehn,

So schmilzt es nicht wie Schnee.

 

Der Wind läßt keinen Hauch zurück,

Den Schnee trinkt die Erde ein,

Doch wo verging ein Menschenglück,

Bleibt immer eine Spur zurück,

Die heißt am End': Allein.

 

Erst eine kleine Narbe nur,

Im Herzen, kaum gespürt;

Doch leicht schon morgen eine Spur,

Die über deiner Seele Flur

Als breite Straße führt.

 

Sie führt zum Lande Einsamkeit,

Das liegt ganz abgetrennt.

Dort stockt der Schritt, dort steht die Zeit,

Und ob du rufest, weit und breit

Kein Wesen, das dich nennt.

 

Was dir begegnet, sieht dich an,

Als wärst du längst gewest,

Was du gewollt und was getan,

Dünkt dich wie Traum, dünkt dich wie Wahn,

Den du nicht mehr verstehst.

 

Dann kann ein Hauch herüberwehn

Dein freundliches Ade,

Denn muß die Liebe auch vergehn,

Du machst sie doch nicht ungeschehn,

Und Weh ist nicht wie Schnee.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

In deine Hände lege ich dies Buch

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Ver­mutlich für Joseph Marx)

 

In deine Hände lege ich dies Buch

Und beug' mich gerne deinem Urteilsspruch.

 

Des Kunstwerks Wahrheit, Lauterkeit und Kraft

Erkennt nur der, der selber Werke schafft.

 

Lang fehlt mir, zu lang, der Freund wie du.

Nun hab' ich dich und hab' dein Werk dazu,

 

Das meiner Klängesehnsucht, meinem Geist

Erfüllung, Glück und Offenbarung heißt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

In den Abend geh´ ich still ...

(Geschrieben 1927 am Schriebl,, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

In den Abend geh' ich still, und mild

Wellt der Wind den Gräsern leichte Locken,

Im Gefild

Läuten viele Glocken.

 

Seele, liebe Seele, bist so lind,

Müd' von Muß und Meinen,

Wie ein Kind

Möchtest du vor Glück und Rührung weinen.

 

Laß den Tränen Lust und Lauf,

Kleine dunkle Wolke, regne,

Tu dich auf,

Daß dir Gott begegne!

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

In diesem großen Traurigsein

(Geschrieben Oktober 1906; Erstveröffentlichung in „Anton Wildgans – Ein Leben in Briefen“ Band 1, herausgegeben von Lilly Wildgans 1947)

 

In diesem großen Traurigsein,

Das Leben heißt,

Kann einer fernen Lampe Schein

Oft wie ein liebes Grüßen sein

Von Geist zu Geist,

 

Und eines Menschen Angesicht,

Das kaum man kennt,

Kann rührend sein wie ein Gedicht

Und trösten wie ein leises Licht,

Das tief im Dämmer brennt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

In ein Fremdenbuch

(Geschrieben August 1920, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für das Gästebuch der Frau Anna Hansa der Lebensgefährtin von Joseph Marx, nach einem entspannenden und wohltuenden Aufenthalt in deren Sommerhaus Grambach bei Graz im August 1920)

 

Ranken schmiegen sich ans Haus,

Um die Fenster, in die Gitter,

Durch der Espen Laubgezitter

Sieht die Ferne ferner aus.

 

Sanfte Woge scheint dag Land:

Wiesen, Felder, Bäume, Berge —

Wind darüber, milder Ferge,

Kost die Wellen zarter Hand.

 

Sommer ist's noch, hoch am Tag,

Doch schon gehen Herbstgerüchte,

Reifens Schimmer über Früchte,

Halm und Zweige neigt Ertrag.

 

Hast du deinen Träumen so

Ihre Heimat aufgefunden,

Laß dir ihre Quellen munden,

Werde deines Durstes froh!

 

Furcht' nicht, wenn dir Luft geschieht,

Geist und Seele zu verlernen!

Aug der Erde, nicht von Fernen

Quillt dir Freude, Leid und Lied.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

In meinem Frühlingsgarten

(Geschrieben 1927 in Mödling, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Der Schauplatz dieses Gedichtes ist die von Waldbäumen umstandene Wiese, die sich vor den Fenstern des Arbeitszimmers breitet und die Anton Wildgans scherzend seine „Festwiese" nannte. Alle Blumen, wie sie die Natur ungekünstelt darbietet, wachsen auf ihr in Mengen: vom Schneeglöckchen angefangen, über Primel, Leberblümchen, Veilchen, Vergißmeinnicht bis zur Waldorchidee und der großblumigen Glockenblume)

 

In meinem Frühlingsgarten

Lieg' ich im frischen Gras,

Die Welt ist voll Erwarten

Und seligem Übermaß.

 

Nach Veilchen und Himmelsschlüsseln

Ein Duften, nicht gering,

Aus vielen güldenen Schüsseln

Nippt Käfer und Schmetterling.

 

Von Haselstrauch und Weide

Raucht Blütenstaub im Wind,

Und irgendein bräutlich Geschmeide

Trägt jedes Frühlingskind.

 

Von weißen Felsenkalken,

Harzföhrenduft geschwellt,

Der Liebesflug der Falken

Kreist feierlich über der Welt.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

In Memoriam F. P. - Die Stimme eines Geistes (De profundis)

Geschrieben 5.-19.8.1917 in Steinhaus am Semmering; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917, später umbenannt in „De profundis“;

 

Siehe bei Gedicht De profundis

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

In schlafloser Nacht

(Geschrieben 1916 für Joseph Marx, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Joseph Marx hatte im Frühjahr 1916 mehrere Gedichte von Anton Wildgans ver­tont, und zwar als Kammermusiklieder: „Du bist der Garten" neben Gesang und Klavier auch noch mit Geige, „Durch Einsamkeiten" mit Bratsche und „Adagio für Cello" mit Violoncello. Er trug sich mit dem Gedanken, ein weiteres Lied mit Flöte zu schreiben, und bat den Dichter um einen geeigneten Text. Dieses Gedicht wurde jedoch nicht vertont)

 

Ich habe viele Küsse schon empfangen,

Nur einer fehlt, um den ich innig bat.

Ein kleines, süßes Mädchen hat

So hart sein können gegen mein Verlangen.

 

Wenn ich dran denke, muß ich leise weinen,

Denn alle Küsse, die ich je mir nahm,

Wiegen nicht auf den einzigen, den einen,

Den ich erbat und leider nicht bekam.

 

Der eine Kuß macht mich des Nachts beklommen

Und auch am Tage stört er meine Ruh –

Den einen Kuß, den muß ich noch bekommen

Und, so Gott will, viel andere dazu !

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

In Sommernächten

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

In Sommernächten hab ich oft vernommen

vom Waldesrand den Klang der Hörner –

Durch trunkne Lüfte kam er leis geschwommen,

und zitternd flog er immer ferner.

 

So hat in meiner öden Brust dein Kommen

mir wie ein Zauberton geklungen –

In Sommernächten hab ich ihn vernommen,

in ahnungsvollen Dämmerungen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Infanterie!

(Ein Gedicht, gewidmet dem Volke in Waffen, Geschrieben Juni 1915 als siebentes Flugblatt; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Österreichische Gedichte“ 1914 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für einen Menschen von der Heimatverbundenheit Anton Wildgans' mußte der Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 die tiefsteingreifende Durchschütterung bedeuten. Ein Venen­leiden machte ihn zu jeglichem Frontdienst untauglich und daher außerstande, auf diese Weise sein Teil Hilfe für das Vaterland beizutragen; so nahm er seine Zuflucht zu jener Aus­drucksform, die ihm zu Gebote stand: zum Gedicht: Für einen Menschen von der Heimatverbundenheit Anton Wildgans' mußte der Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 die tiefsteingreifende Durchschütterung bedeuten. Ein Venen­leiden machte ihn zu jeglichem Frontdienst untauglich und daher außerstande, auf diese Weise sein Teil Hilfe für das Vaterland beizutragen; so nahm er seine Zuflucht zu jener Aus­drucksform, die ihm zu Gebote stand: zum Gedicht. Darüber schreibt er am 24. Jänner 1916 an den Burgschau­spieler Ferdinand Gregori: „Wahrlich, für die da draußen habe ich diese Gedichte gemacht, und ich bin glücklich, daß jene sie durch die Vermittlung Ihrer großen Kunst zu hören bekom­men. Hier bei uns im Hinterlande habe ich wegen dieser Ge­dichte mancherlei Nasenrümpfen der Hochliterarischen zu sehen bekommen. Mich kümmert es nicht. Diese Gedichte wollen ja nichts anderes sein als m e i n e Kriegsdienstleistung, mit den Waffen geleistet, die ich führen kann. Mit Literatur haben sie nichts zu tun, um so mehr mit Liebe." — In seinem Tagebuch vermerkt er unter dem Datum des 4. Jänner 1916: „Die gei­stige Anteilnahme des Dichters ist das Gedicht. So habe ich gewagt, ein paar Gedichte zu schreiben und zu veröffentlichen, die aus dieser furchtbaren Zeit empfangen sind. Ich schrieb für die Männer, die draußen stehen und deren Blut rinnen muß dafür, daß ich friedlich in meinem Gartenhaus sitze, als wenn es keinen Krieg auf Erden gäbe. Ich habe nicht das große Blutbad verherrlicht, sondern nur auf jene hingewiesen, die seine Opfer sind. So wie ich in Friedenszeiten, um ein vulgä­res, aber ungenaues Wort zu gebrauchen, in meinen Gedichten immer wieder auf jene hingewiesen habe, die mit ihren Leiden, Entbehrungen und Kümmernissen das Lösegeld für mich und andere bezahlen, daß wir, von Sorgen und Leiden freier als sie, unser eigenes Leben leben durften. Es ist ja immer und überall dasselbe.")

 

Ihr schweren Dragoner und wilden Husaren,

Die wie Keulen schmettern, wie Windsbraut hinfahren,

Ihr kühnen Sappeure und ihr, Kameraden,

Die die weithinzermalmenden Schlünde entladen,

Ihr Helden am Hörrohr, ihr Wolkendurchdringer,

Patrouillenreiter und Kundschaftsbringer,

Ihr alle, Blutsbrüder insgesamt,

Vom Teufel besessen, von Gott entflammt,

Bald seid ihr die Ersten, bald seid ihr die Letzten,

Die Sturmvorbereiter, die Rückzugdecker,

Die zähen Verfolger, die jähen Vollstrecker;

Doch wir sind die überall Eingesetzten:

Wir Prontenanrenner, wir Flankenumgeher,

Wir Hingemähten und selber Mäher,

Wir immer Bedrohten, wir immer auf Wacht,

Wir kämpfen die Urform der Männerschlacht,

Wir eisernen Würfel der Strategie,

Wir Mann gegen Mann, wir Infanterie!

 

Als Gott uns aufrief zum großen Morden,

Da legten wir unser Werkzeug hin,

Und mit demselben gelassenen Sinn,

Mit dem wir den Pflug oder Hammer rührten,

Die Feder regierten, die Bücher führten,

Sind wir einfach Soldaten geworden.

 

Viel ist es ja nicht, was wir haben müssen,

Um für das grimmige Handwerk zu taugen:

Zwei atmende Lungen, zwei sehende Augen,

Und Kraft und Beharren in Armen und Füßen,

Und Herzen, die mutig zu brechen wissen —

Und dies — Gott weiß es — verstehen sie,

Die tapferen Herzen der Infanterie!

 

Die heilige Erde, die wir geackert,

Die Pulte, an denen wir uns gerackert,

Und die Maschinen, die zu bedienen

Wir uns geschunden bei Tag und Nacht,

Haben auch sonst uns nicht reich gemacht.

Unsere Weiber müssen sich fretten,

Welken in Arbeit und Wochenbetten,

Unsere Kinder erlernen früh

Selberverdienens sauere Müh.

Und dennoch geben wir zu Millionen

Für die Heimat, die wir bewohnen,

Für die paar lächelnden Sonntagsstunden

Ströme vom Blute aus unseren Wunden

Und füllen furchtbar Gräber und Graben

Mit andern, die's auch nicht besser haben:

Arm gegen Arm! Menschen wir und sie —

Infanterie gegen Infanterie!

 

Einst aber, wenn sie mit tausend Glocken

Über die Gräber unserer Helden

»Friede den Menschen auf Erden!« frohlocken,

Werden auch wir uns zum Worte melden!

Wollen den Schwur und die Pflicht, die wir taten,

Nicht etwa verleugnen oder verraten,

Soldaten sind wir und bleiben Soldaten!

Nur daß wir die Feinde dann allerorten,

Wo sie die Früchte blutiger Saaten

Uns verkümmern oder vergällen,

Suchen werden, finden und fällen!

Wir, die Pflüge, die Schollenaufwerfer,

Wir, die Fabriken, die Städte, die Dörfer,

Wir brausende Züge, wir stauende Wehre,

Wir, die frachtenden Flüsse und Meere,

Wir, aus Herzen, Gehirnen und Händen,

Wir, aus erdebevölkernden Lenden

Rastlos wirkende Energie!

Wir, die Schwerter der Weltgeschichte,

Wir, die Taten der großen Gedichte,

Wir, die Glorie, wir, die Geschichte,

Wir, die ewige Infanterie !