Anton Wildgans
Österreichischer Lyriker und Dramatiker 1881 - 1932
Gedichte von A - D
Gedichte von E - I
Gedichte von J - S
Gedichte von T - Z
Sonette an Ead
Sonette aus dem Italienischen
Liste der Gedichte zeitlich geordnet

Gedichte von T - Z

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tag

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Die Sonne sengt mit Strahlen ohne Gnaden

Das dunstumflorte stoppelgelbe Land.

Der blauen Wölbung sommerlicher Brand

Läßt sich herab in schweren Hitzeschwaden.

 

Kein Blatt regt sich. Von Schwüle wie beladen

Schmachtet, was lebt, in dumpfen Schlaf gebannt,

Die Stille, die wie Angst fast übermannt,

Stört nur das schrille Zirpen der Zikaden.

 

Auf grünem Gras, in Waldes Schattenlust

Hab’ ich aus Blumen frisch den Pfühl bereitet,

Wo du gelösten Kleides schlummernd ruhst.

 

Und ich, zu dir im Kühlen hingebreitet,

Berausche mich im Anschaun deiner Brust,

Die, eine Welle, auf- und niedergleitet.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tagebuchblatt

(Am 25. November 1918 geschrieben – Lilly Wildgans: Dieses Gedicht hat der Dichter nur seinem Tagebuch anvertraut. Ich habe es erst nach seinem Tod dort gefunden. In dem seelischen Wirrsal jener Zusammenbruchstage des November 1918 suchte er nach einem unerschütterbaren Stützpunkt, von wo aus der Weg wieder gangbar werden könnte. Und er fand aus seiner ganzen Einstellung heraus keinen anderen als die helfende Tat von Mensch zu Mensch)

 

Wieder ist ein Tag zu Ende,

Immer noch die alten Wände

Dauern ringsumher;

Doch die Nacht hat viel verborgen,

Und vielleicht schon morgen, morgen

Steht die Welt nicht mehr.

 

Altes hin, noch nicht das Neue,

Falsch von gestern heute Treue,

Gut ward schlecht und schlecht ward gut.

Und das Herz kann sich nicht halten

An dem hingesunknen Alten,

Und zum Neuen fehlt der Mut.

 

Nicht der Mut, es auszudenken,

Nicht der Mut, sich ihm zu schenken,

Nur des Glaubens Mut.

Denn soviel sie tun und treiben:

Mensch scheint eben Mensch zu bleiben,

Und das ist: nicht gut.

 

Fertige die eigne Achse,

Um dich selber schwingend, wachse,

Herz, aus deinem Raum!

Willst du, daß es besser würde,

Trag auch einmal fremde Bürde,

Andres kannst du kaum.

 

Ach, mit noch so vielen Rechten

Macht man Freie nicht aus Knechten

Und nicht Glück aus Leid.

Wer die Menschheit will beglücken,

Muß sich Mensch zum Menschen bücken,

Sonst ist alles Eitelkeit.

 

Also ist der Tag zu Ende.

Falte deine alten Hände

Wieder einmal zum Gebet.

Rein sind sie dir mitgegeben,

Rein bewahre sie durchs Leben —

Und geh schlafen; es ist spät.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Testament

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 10.6.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Und wenn ich tot bin, setzt an meinen Stein

Nicht etwa Myrthen, Efeu und Zypressen!

Auf Schmuck verzicht’ ich! Der ist bald vergessen!

Ich will vielmehr: Mein Grab soll nützlich sein!

 

Wozu noch Blumen, wenn kein Hauch, kein Schein

Des Frühlings mehr mich aufweckt, und indessen

Das Kleid, das Gott der Seele angemessen,

Verfault, zerfällt: mein Fleisch und mein Gebein?!

 

Nein, pflanzt mir eine Rebe, daß mein Staub

Die Traube nähre und das Purpurlaub

Der Edelfrucht, die Duft versprüht und Funken!

 

So bring’ ich noch als Toter Dank und Preis

Dem Leben dar und gebe tropfenweis

Der Welt den Wein zurück, den ich getrunken!

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932 

 

 

Gerichtsverhandlung

(Geschrieben 1.6.1910; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Wie auch das Gedicht „Häftlinge“ von Anton Wildgans während seiner Ge­richtspraxis als Rechtspraktikant und späterer Auskultant in den Jahren 1909 - 1911 erlebt)

 

Aus dem Mist, den er durchsuchen mußte

Nach Abfällen von Kupfer und Zinn

In der Fabrik tagein tagaus,

Trug er drei Kilo Metall nach Haus,

Und nun stellten sie dieses grindig-verrußte

Fetzengerüst vor die Richter hin.

 

Der Zuhörerraum ist leer.

Niemand schert sich um diesen Fall,

Nur von der letzten der Bänke her

Wagt sich manchmal

Ein Räuspern, das mehr

Ein Schluchzen ist, in den Saal.

 

Der Angeklagte sagt auf alles „Ja“ –

Der Verteidiger spricht von zwingender Not:

Sein Weib ist ihm durch nach Amerika

Und ließ ihm die Kinder, die schrieen nach Brot.

Da packte ihn die Verzweiflung wie Wut,

Und er griff an fremdes Gut...

 

Der Angeklagte sitzt und stiert,

Als ging’ ihn das alles nichts mehr an –

In der letzten Bank der alte Mann,

Den auf der Brust die Medaille ziert,

Sperrt die Augen auf, was er kann.

 

Der Präsident scheint die pure Geduld

Zu sein, doch er denkt: Wohin kämen wir? –

Der Staatsanwalt zeichnet irgendein Tier

In das Löschblatt auf seinem Pult.

Der eine Votant wirft einen Blick

Nach der Uhr – dann zieht sich der Senat zurück.

 

Nach fünf Minuten ein Glockensignal –

Der Gerichtshof erscheint wieder im Saal.

Stille – Alles steht –

„Urteil im Namen Seiner Majestät - - -“

 

Der Greis in der letzten Bank vom Saal

Steht habt acht – dann mit einemmal

Wird er blasser, sein Blick verlischt –

Mit dem Handrücken wischt

Er sich was aus den Augen heraus ...

Die Verhandlung ist aus.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tischkarte

(Geschrieben 31.12.1918 in Mödling, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Den ersten Silvester im Mödlinger eigenen Haus wollten wir festlich begehen und hatten zu diesem Anlaß einen größeren Freundeskreis eingeladen. Für eines jeden Tischkarte hatte der Dichter einen kleinen lustigen Vers verfaßt. Dr. Huber hatte seine Tischkarte bei uns vergessen, dieses Versäumnis ermöglichte ihren jetzt er­folgten Abdruck. Übrigens erinnere ich mich noch des In­haltes der Tischkarte für Erny Alberdingk:

„Auf diesem Platz sitzt Ernestine,

Begreiferin der Violine.

Auch sonst begreift sie manches rascher

Als ihre Schwestern, die armen Hascher."

Die Tischkarten waren damals an kleine Glücksschweinchen, die hinter jedem Gedeck standen, angelehnt gewesen. Auf diesen Umstand anspielend, hatte sich der Hausherr seinen eigenen Sitzplatz mit folgenden Worten angewiesen:

„Auf diesem Platze sitze ich,

Der Wildgans, und vergnüge mich,

Daß meine Verse gleichsam wachsen

Den Schweinchen aus den hintern Haxen.")

 

Auf diesem Stuhl sitzt Gustav Huber,

Darauf reimt sich nur Zuber und Schuber,

Und auch der Stuhl, bei dem wir ihn lassen,

Ist nicht so leicht in Verse zu fassen,

Da schon viel lieber in einen Zuber

Und drüber den Schuber, mein lieber Huber.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tod des Vaters

(Geschrieben Jänner 1906; Erstveröffentlichung in „Musik der Kindheit“ 1928 als Anhang zu dem Kapitel „Silvester 1905/1906“ - Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht wurde noch ganz unter dem Eindruck des erschütternden Sterbens seines Vaters niederge­schrieben)

 

Drei Tage dauerte das Röcheln schon,

des Todes schauerlicher Sägeton.

Aus dem verfallenden Gehirn

trieb kalter Schweiß auf seine fahle Stirn -

Hort der Gedanken - ragendes Verließ!

 

Mein karges Bett an seines angebettet

und meine Hand an seinen Puls gekettet,

so lagen wir die lange lange Nacht,

und erst am Morgen setzte seine Säge

der Tod ab - und ich fühlt die letzten Schläge

des Pulses, den ich hielt. - Es war vollbracht.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Todeserlebnis

(Geschrieben um 1928; Erstveröffentlichung in „Musik der Kindheit“ 1928 als Anhang zu dem Kapitel „Nachtstück in der Lenaugasse 1898" – Anmerkung: Den Inhalt des Gedichtes bildet die bis an den Rand des Todes her­anführende Scharlacherkrankung des Jünglings 1898, der aus die­ser Gefahr nur wie durch ein Wunder gerettet wurde.)

 

Ich denke dich an jedem Tage, Tod!

Seitdem ich dich in Knabennächten fühlte

Und nah dein Hauch mir fast das Herz verkühlte,

Bist du mir weder Schauer mehr noch Not.

 

Das Sakrament, das mir der Priester bot,

Indessen Fieberglut mein Blut durchwühlte

Und Nebel von Gesichten mich umschwülte,

Schien der Erlösung himmlisch Mannabrot.

 

Ich schloß die Augen, hörte wie im Traum

Die Klosterschwester De profundis beten,

Die Sterbekerze geisterte im Raum.

 

Aus blauen Körbchen reichten die Tapeten

Mir Früchte her, es hob mich auf wie Flaum,

Und meiner Seele goldne Flügel wehten!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Toujours demain

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Jeden Morgen,

wenn das Zwielicht

mich weckt,

glaub' ich,

der kommende Tag

müsste bringen,

wonach ich mich sehne.

 

Jeden Abend,

wenn die Dämmerung sinkt,

flüstert mir eine leise Stimme

rätselhaft — verheissend

in's Ohr:

Morgen . . . .

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Träume

(Geschrieben 14.10.1906, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916)

 

Deine Launen sollst du hemmen

Und gebieten deinen Träumen,

Felsen gleich die Ströme dämmen,

Daß sie früher nicht verschlämmen,

Ehe sie ins Weltmeer schäumen.

 

Denn es winkt das Ungemeßne

Nur dem Treuen seiner Pfade,

Und der ewig Zielvergeßne,

Stets von neuer Sucht Beseßne

Naht nicht einmal dem Gestade.

 

Drum gebiete deinen Träumen,

Denn es trachten die verwegnen,

Aus der Bette strengen Räumen

Über Damm und Deich zu schäumen.

Werd' ihr Meister, und sie segnen!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Träumerei

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Von einem schneeweissen Apfelbaum

im Mai

flattert ein Blütelein,

streift meine Wange kaum

und flattert vorbei

und flattert weiter im Sonnenschein —

Empor — empor und nimmer zurück —

Was kann das wohl gewesen sein — ?

Vielleicht das Glück . . .?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Traumerfüllung

(Geschrieben 1928, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Ich beichte und bekenne“ 1933 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Aus „Benedicta. Ein Zyklus für Musik von Joseph Marx“ - Joseph Marx hatte im Frühjahr 1916 mehrere Gedichte von Anton Wildgans ver­tont, und zwar als Kammermusiklieder: „Du bist der Garten" neben Gesang und Klavier auch noch mit Geige, „Durch Einsamkeiten" mit Bratsche und „Adagio für Cello" mit Violoncello. Er trug sich mit dem Gedanken, ein weitere Lieder zu schreiben, und bat den Dichter um einen geeigneten Text)

 

Deine Küsse will ich nicht mehr stehlen,

Trüb wird Liebe, die zu sehr verstohlen,

Wir, von Anbeginn uns anbefohlen,

Haben nichts zu bergen und verhehlen.

 

Ist es Sünde, was wir rein empfinden,

Mag der Herr im Jenseits drüber richten!

Hier auf Erden will ich Worte finden,

Nahes Glück zu preisen in Gedichten.

 

Lang schon war ich krank nach deinem Kommen,

Fast zu müde schon, um dich zu dienen,

Selbst die Hoffnung schien bereits genommen,

Aber endlich bist du doch erschienen.

 

Und nun gehen wir im Traum zu zwein,

Durch den Frühling, der uns Blüten regnet,

Und mir ist vor lauter Benedeien

Zum Vergehen selig. Sei gesegnet !

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Triptychon der Liebe

(Geschrieben 1909/1916Geschrieben , Erstveröffentlichung als „Trpitychon“ zusammengefaßt im Gedichtband „Buch der Gedichte“ 1929; Erstveröffentlichung noch unter den drei Einzeltiteln im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911 - Anmerkung von Lilly Wildgans: Das mittlere der drei Ge­dichte fängt den ganzen Zauber der Örtlichkeit ein, in der wir den ersten Sommer unserer Ehe verbrachten; Unter-Tullnerbach, Sagberg)

 

1.

Liebesnacht

(19.11.1909)

 

Das war die Nacht, die aller Nächte Preis –

Erinnerst du dich noch an unser Zimmer?

Die kleine Gasse draußen lag so weiß

Und blank im maienkühlen Mondenschimmer,

Wie atmend bauschten sich und wogten leis

Die bleichen Stores, durchrieselt vom Geflimmer,

Und über Dächer kam in vollen Wogen

Blühender Gärten feuchter Duft gezogen.

 

Da waren wir zum erstenmal allein

In solchem Frühling und zu solcher Stunde.

In schlanken Kelchen schäumte kalter Wein,

Orangen bluteten aus kühler Wunde,

Die Kerzen gaben lieben blassen Schein,

Nur manchmal wehten Worte uns vom Munde,

Und wie sie tief in unsre Seelen sanken,

Erblühten sie zu südlich-reichen Ranken.

 

Und dann – ich weiß nicht mehr, wie alles kam,

Wie zögernd sich dein sanftes Blut erwehrte,

Als ich, die Rosen jäh erblühter Scham

Beseligt pflückend, höchste Gunst begehrte.

Ich weiß nur, daß ich alles Süße nahm:

Das gern Gegebene und kaum Gewährte,

Und daß wir dann in einen traumlostiefen,

Erlösten Schlummer Brust an Brust entschliefen.

 

O, nicht für lange! – Immer wieder trieb

Zu jähem Aufruhr uns erneutes Sehnen,

Und leise Frage: „Hast du mich denn lieb?“

Heischte Beweise, gab uns Lust und Tränen;

Und dann, wie Pferde unter heißem Hieb,

Griffen die Sinne aus in roten Mähnen,

Und da sie, unsern Willen schleifend, rannten,

Lechzten die Lippen und die Lider brannten.

 

Dann kam der Morgen, mählich, ungeglaubt,

Herbeigeschleppt von grauen Geisterhänden –

Der kleine Raum, der Dunkelheit beraubt,

Umwuchs uns kalt mit fremden Gegenständen.

Da standen unsre Worte wie entlaubt

Und ausgehöhlt von brünstigem Verschwenden,

Und unsre müden Sinne, wunden Nerven

Begannen, sich für Häßliches zu schärfen.

 

Da war des Tisches wüst verschobnes Tuch

Und da noch Wein, daß er getrunken werde,

Dort einer halben Frucht verwester Bruch,

Und welke Blumen lagen auf der Erde –

Ein faulig, süßlich, gestriger Geruch,

Eine erstickte, grinsende Gebärde –

Ich weiß nicht mehr, wie wir aus jenen Stunden

In unsre Liebe wieder heimgefunden.

 

 

2.

Und dann war es Sommer

(1909, Villa Annenheim am Sagberg, Untertullnerbach)

 

Und dann war Sommer. Ganz in Wiesen stand

Das weiße Haus, umschmiegt von Rosenranken.

Von tiefem Summen zitterte das Land

Bis zu der Wälder schattenblauen Flanken,

Indessen Wind den gärend-hellen Brand

Reifender Saaten kühlte und von schwanken,

Wispernden Rispen warme Wölkchen stäubte

Fruchtbaren Duftes, welcher fast betäubte.

 

O Himmel über uns, zerfließender Opal!

Im Grase liegen, wie auf einer Zille

Dahingetragen, und nur manches Mal

Aufschaun, wenn wolkenfern der weh und schrille

Schrei kreisender Bussarde, fein wie Stahl,

Ein Äderchen der schläfernd-süßen Stille

Durchschneidet — und aus Träumen sich besinnen,

Daß uns kein Strom, kein Nachen trug von hinnen.

 

Und wandern, wenn die Wälder müde sind

Und, sickernd durch der Wipfel dunkle Bauschen,

Das rote Gold an Stämmen niederrinnt,

Mit jedem Schritt versinken in das Rauschen

Gehäuften Laubes, wie ein ängstlich Kind

Plötzlich erschauern und ein Wild belauschen,

Die sanfte Tierheit solchen stummen Wesens

Wie Lust verspürend nahenden Genesens.

 

Dann, durch den blauen Rauch der Wiesen hin,

Schritten wir still zu unserm Haus in Rosen.

Die Gräser bogen sich vor unsern Knien,

Und deiner liebevollen Hände Kosen

Glitt über ihre kühlen Spitzen hin,

Indessen letztes Licht sich in die losen

Spielenden Falten weißen Kleides schmiegte

Und in dem Dämmer um dein Haupt versiegte.

 

Und schlafen gehen, Worte voller Duft

Von aufgelösten blonden Frauenhaaren,

Trunken von Mondenlicht und Abendluft,

Die kühl und geisternd drin gefangen waren!

O schlafen gehen, Worte voller Duft

Weicher Gewirke, die von zarten, klaren,

Belebten Schultern zögernd niederflossen,

Noch voll der Wärme, welche sie umschlossen.

 

In dies Gelöstsein, diese Müdigkeit

Wohlig erschöpfter und durchsonnter Glieder

Stieß nie der Sinne jähe Lüsternheit

Wie eines Geiers grelle Gier hernieder:

Wir waren keusch wie Tiere, deren Zeit

Noch nicht gekommen, und wie Kinder wieder,

Indessen über Hügel fern herüber

Der Schein der Stadt erglühte, rot wie Fieber.

 

 

3.

Herbst und Ende

(1909, Variation von „Abschied“)

 

Oh, sei nicht traurig, weine nicht, mein Kind,

Und laß uns scheiden, ohne es zu müssen!

Zwei Schmetterlinge nahm der Frühlingswind

Auf seine Schwingen, daß sie satt sich küssen,

Und jetzt ist Herbst! In allen Gärten sind

Die Äste schwer von süßen Überflüssen,

Und auf den Hügeln bollern die Salute

Dem schäumenden rotgoldenen Traubenblute.

 

In dieser der Erfüllung üppigen Zeit

Mag auch die Liebe ihre Ernte tragen!

So laß uns stark und ohne Bitterkeit

Den letzten langen Kuß des Abschieds wagen

Und weise sein, eh unser Herz verschneit

Und Mühsamkeiten es wie Frost zernagen:

Die Frucht ersehnt, daß sie gebrochen werde,

Das Müdgelebte fault und wird Gebärde.

 

 

Noch wittert der Verwesung herber Duft

Nur leise mahnend, ohne zu zerstören,

Und in den Nächten wiegt sich noch die Luft

Klingend genug, die Sinne zu betören,

Indessen mächtig durch die Wälder ruft

Brünstiger Hirsche aufgeregtes Röhren:

Zu dieses Urlauts großem Orgeldröhnen

Ziemen nur Worte, welche freudig tönen.

 

So weine nicht, du blühendes Geschmeid,

Das ich um meine Einsamkeit gewunden!

Du bist so jung, für dich ist noch das Leid

Die Arzenei, um tiefer zu gesunden,

Und dieses Leben noch ein köstlich Kleid,

Leuchtend von Perlen ungelebter Stunden —

Ich muß die kommenden bedächtig nützen,

Um die gelebten dauernd zu besitzen.

 

Doch du wirst jung sein, immer wieder wird

Zu dir der Frühling von den Hängen steigen,

Und immer wieder wird dein Haar verwirrt

Vom Tanze sein und von dem Rausch der Geigen.

Ich aber will, von keinem Reiz beirrt,

Mich tiefer in die eigne Seele neigen

Und alles Ewige aus unsern Liebesnächten

Wie rote Rosen in mein Lied verflechten ...

 

Der Herbst verging. Wir hatten beide nicht

Die Kraft, das süße Labsal abzusetzen.

Da ward das Leben uns ein schal Gericht,

Was Freude war, kalt-sinnliches Ergetzen.

Erst nahmen wir die Maske vors Gesicht,

Nicht sehen wollend, bis auch die in Fetzen

Zerfiel. — Wir haben nie aus diesen Stunden

In unsere Liebe wieder heimgefunden.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tristitia

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 7.9.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Die Traurigkeit entfaltet ihren Fächer,

Beschattend alle Gegend weit und breit;

Die Welt geht ein in große Müdigkeit,

Der Wind steht still, der Tag wird immer schwächer.

 

Und durch des himmels dämmernde Gemächer

Sinkt leises Weiß herab. O, wie es schneit!

Als bettete den Flügel ruhbereit

der müde Schnee auf Straßen und auf Dächer.

 

Kaum eine Stunde, und schon träumt den Traum

Des Tods die stadt, gehüllt in bleichen Flaum,

Der unaufhörlich lautlos niedertastet.

 

Doch du, mein Herz, wie lang schon ist das her,

Daß, wie der Marmor eines Grabes schwer,

Auf dir die große stumme Kälte lastet?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tröstung

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Still — still — still,

Liebes Herz, und lass das Weinen,

Wenn Gott will,

Wird die Sonn' dir wieder scheinen.

 

Still — still — still,

Liebes Herz, und lass das klagen;

Einmal kommst du doch an's Ziel:

Wenn sie dich zum Friedhof tragen.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Über den Dächern

(Geschrieben 1907; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht wurde, ebenso wie die Gedichte „Aussicht“, „Gegenüber“ und „Die Menschen, die in den Höfen wohnen" vom Zimmer des Dich­ters in der Lerchenfelderstraße 3, Wien 8 aus erlebt)

 

Aus meinem Fenster im alten Haus

Blick’ ich auf braune Dächer hinaus.

Und über den Dächern, grau und braun,

Ist mir vom weiten Firmament

Ein kleines Stückchen Blau gegönnt –

Dran darf ich mich satt und selig schau’n...

 

Ich bin es zufrieden, du lieber Gott,

Wer würde nicht dankbar in all der Not?

Da sitz ich und sehe morgenlang

Die Spatzen sich sonnen auf First und Dach

Und träume den leuchtenden Wölkchen nach –

Die Klugen nennen das Müßiggang...

 

Und sehe, wenn der Tag verblaßt,

Den Nebel sich röten vom Lichterglast –

Da weiß ich von manchem trauten Schein

Und weiß von einer langen Nacht,

In der keine Hand noch Licht gemacht,

Und daß ich recht elend bin und allein –

 

Aus meinem Fenster im alten Haus

Blick ich auf braune Dächer hinaus.

Und über den Dächern, grau und braun,

Ist mir vom weiten Firmament

Ein kleines Stückchen Blau gegönnt –

Dran darf ich mich satt und selig schau’n...

 

Ich bin es zufrieden, du lieber Gott!

Wer würde nicht dankbar in all der Not?

Nur daß, wenn sich Gewölke staut,

Von meinem Fenster ich nicht kann sehn,

Wie jenseits der Dächer, die traurig stehn,

den Menschen der Himmel schon wieder blaut –

 

Nur daß, was jenseits der Blüten streift

Und goldene wogende Wunder reift,

Von meinen Dächern als Spülicht rinnt,

Die Traufen und die Gossen speist

Und unten im Hof aus Pfützen gleißt,

Die meine Flüsse und Seen sind –

 

Nur daß kein Tröpfchen Segen fällt

In meinen Schoß aus jener Welt;

Die eine reiche Hand gebaut,

Und daß der Tage Gier und Hast

Selbst nach dem Stückchen Himmel faßt,

Das tief in meiner Seele blaut... 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Über den Wellen

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

„Neckst du mich, kleiner Schelm,

mit dem Muschelhelm

und dem gold'nen Haar,

mit dem Augenpaar,

das so feucht und blau

wie des Meeres Tau,

wenn es leise schäumt

Und von Sagen träumt

aus den Zeiten fern und grau . . ?“

 

Well´ um Welle blitzt,

und die Wassernixe

bläst die Backen an,

spritzt und spritzt

auf den Wassermann,

was sie kann —

lacht —

und dann taucht sie unter — . . .

 

Aber unten beim grünen Dämmerschein

im funkelnden Perlenkämmerlein

erzähl'n sie einander: Es war — es war

und kennen einander schon tausend Jahr´

tief unten am Meeresgrund.

Er küsst ihren roten Korallenmund —

Der ist so weich und kühl

wie der Lüfte Spiel

über den Wellen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Über Mittag

(Geschrieben 1927, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Das Gedicht führte zuerst den Titel „Gegen Abend" und begann auch mit diesen Worten. Die Überschrift erfüllte mich mit Wehmut. Der Sechsundvierzig-jährige stand doch in der Fülle seiner Kraft auf der Höhe seines Lebens! Von „Abend" war doch noch nicht das Ge­ringste zu merken! Aber es mag schon sein, daß der Dich­ter im Unterbewußtsein fühlte, nicht mehr viel Zeit vor sich zu haben. Immerhin änderte er nach meinem Einwurf Titel und Anfang in „Über Mittag". — Die Stelle über die Söhne entsprang der besorgten Bangigkeit, die den Vater erfüllte, sooft er in die arglosen, reinen Augen der beiden Knaben blickte. Oftmals äußerte er sich zu mir: „Muß einem die Vorstellung nicht jede Ruhe rauben, daß gleichzeitig mit die­sen unschuldigen Geschöpfen eine ganze Schar skrupelloser Gewaltmenschen heranwächst, die dereinst mit aller List und allen unbedenklichen Kniffen ihren Vorteil wahrnehmen und über die Meinen hinwegschreiten werden?!" — Wie oft mußte ich an diese Worte denken, wie oft drangen mir die darauf bezüglichen Strophen des Gedichtes ins Herz, als unser älte­rer Sohn infolge seiner Arglosigkeit im Jahre 1940 völlig unschuldig verhaftet wurde und sechzehn schreckliche Monate im Kerker verbringen mußte)

 

Über Mittag rückt das Jahr:

Immer noch die süßen Brände!

Garbengold, zum Schnitte klar,

Deckt erschauerndes Gelände,

Und die Früchte werden gar.

 

Selig war's, im Frühlingshag

Dem Gesang in sich zu lauschen,

Selig ist's, am Sommertag

Dazustehn in vollem Rauschen

Und zu reifen den Ertrag.

 

Wipfeldicht und wurzelstark

Trotzt der Baum noch jedem Sturme,

Ist die Unbill noch so arg,

Und vom Moder und vom Wurme

Spürt er nichts in seinem Mark.

 

Junge Stämme sprossen schon:

Ob auch sie in Wettern taugen?

Knabe Kind und Knabe Sohn

Lächeln aus der Mutter Augen

In der Zeiten Drohn und Hohn.

 

Mit den Augen ohne List

Wachsen sie am tausendfältigen

Abgrund, der das Leben ist;

Werden sie die Not bewältigen,

Die kein Ahnender ermißt?

 

Liebeswärme-sanft-umspühlt,

Werden ihre Wurzeln halten,

Wenn der Prüfer sie befühlt

Mit der Hand, der eisigkalten,

Und der große Maulwurf wühlt?

 

Nächtefrage, antwortbang,

Qualgestellt und nie zu lösen!

Ach, die Stärkere bezwang,

Diese Welt gedeiht im Bösen,

Und vereinzelt wird Gesang.

 

Treuer Äste Harmonie

Kann ich nur wie Segen breiten,

Die ich zeugte, über sie:

Rauschend über meine Zeiten

In der Söhne fernstes Schreiten

Vaterbaumes Melodie.

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Uhlenflucht

(Geschrieben April 1906; Erstveröffentlichung in „Anton Wildgans – Ein Leben in Briefen“ Band 1, herausgegeben von Lilly Wildgans 1947)

 

In weiche, weiße Wolle webt

Der Nebel Wald und Wiesen ein,

Der Abend sickert blau darein,

Rot glost der Mond, der sich erhebt.

 

Von Fichtenflanken hier und dort

Löst sich ein leiser Schatten los,

Mit Flügeln weit und Augen groß,

Taucht in die Nacht und sinnt auf Mord.

 

Du aber, Seele, trägst es still,

Wenn sich aus deiner Dunkelheit

Kein Schatten regt, kein Flug befreit

Und keine Stimme lösen will.

 

Denn du, ein Stamm, der wund und hohl,

Bist ein geschaffnes Eulennest,

Und wenn du es nur heulen läßt,

Das Völkchen bleibt und fühlt sich wohl.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Und dann war es Sommer

(Geschrieben 1909 in der Villa Annenheim am Sagberg, Untertullnerbach; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911, später als „Triptychon der Liebe“ mit „Liebesnacht“ und „Herbst und Ende“ zusammengefasst; Anmerkung von Lilly Wildgans: Das Gedicht fängt den ganzen Zauber der Örtlichkeit ein, in der wir den ersten Sommer unserer Ehe verbrachten; Unter-Tullnerbach, Sagberg)

 

Und dann war Sommer. Ganz in Wiesen stand

Das weiße Haus, umschmiegt von Rosenranken.

Von tiefem Summen zitterte das Land

Bis zu der Wälder schattenblauen Flanken,

Indessen Wind den gärend-hellen Brand

Reifender Saaten kühlte und von schwanken,

Wispernden Rispen warme Wölkchen stäubte

Fruchtbaren Duftes, welcher fast betäubte.

 

O Himmel über uns, zerfließender Opal!

Im Grase liegen, wie auf einer Zille

Dahingetragen, und nur manches Mal

Aufschaun, wenn wolkenfern der weh und schrille

Schrei kreisender Bussarde, fein wie Stahl,

Ein Äderchen der schläfernd-süßen Stille

Durchschneidet — und aus Träumen sich besinnen,

Daß uns kein Strom, kein Nachen trug von hinnen.

 

Und wandern, wenn die Wälder müde sind

Und, sickernd durch der Wipfel dunkle Bauschen,

Das rote Gold an Stämmen niederrinnt,

Mit jedem Schritt versinken in das Rauschen

Gehäuften Laubes, wie ein ängstlich Kind

Plötzlich erschauern und ein Wild belauschen,

Die sanfte Tierheit solchen stummen Wesens

Wie Lust verspürend nahenden Genesens.

 

Dann, durch den blauen Rauch der Wiesen hin,

Schritten wir still zu unserm Haus in Rosen.

Die Gräser bogen sich vor unsern Knien,

Und deiner liebevollen Hände Kosen

Glitt über ihre kühlen Spitzen hin,

Indessen letztes Licht sich in die losen

Spielenden Falten weißen Kleides schmiegte

Und in dem Dämmer um dein Haupt versiegte.

 

Und schlafen gehen, Worte voller Duft

Von aufgelösten blonden Frauenhaaren,

Trunken von Mondenlicht und Abendluft,

Die kühl und geisternd drin gefangen waren!

O schlafen gehen, Worte voller Duft

Weicher Gewirke, die von zarten, klaren,

Belebten Schultern zögernd niederflossen,

Noch voll der Wärme, welche sie umschlossen.

 

In dies Gelöstsein, diese Müdigkeit

Wohlig erschöpfter und durchsonnter Glieder

Stieß nie der Sinne jähe Lüsternheit

Wie eines Geiers grelle Gier hernieder:

Wir waren keusch wie Tiere, deren Zeit

Noch nicht gekommen, und wie Kinder wieder,

Indessen über Hügel fern herüber

Der Schein der Stadt erglühte, rot wie Fieber.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Und hältst du nichts dereinst von mir in Händen

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Widmungsgedicht in eines seiner Bücher für seine Söhne)

 

Und hältst du nichts dereinst von mir in Händen

Als dieses Buch, in das sich Edle schrieben,

So ist's ein Schatz, der dir von mir gerblieben,

Die köstlichste von meiner Liebe Spenden.

 

Immer nach Besserem muß der Blick sich wenden,

Gilt es die Menschen finden, sie zu lieben.

Die Herzen, denen man sich anschließt, sieben,

Ist Recht und Pflicht und eigenes Vollenden.

 

Nur der Gemeine sucht sich den Gesellen,

Der niedrig ist, um selbst sich hochzustellen,

Den Schatten für fein Licht, das dürftig brennt,

 

Und nur der Nichtige wird immer gern verneinen,

Um, selbst ein Nichts, als Etmas zu erscheinen.

Ans Göttliche glaubt nur, wer Gott in sich erkennt.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Und ihre Kinder

(Geschrieben 21. 7.1909 in Untertullnerbach; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909)

 

Das fristet jetzt mit bleichsüchtigen Gliedern

Ein Leben irgendwo bei Klosterbrüdern

Im Waisenhaus – nur sonntags manches mal

Dürfen sie in verschlissenen Livreen

Und Kappen durch die schönen Straßen gehen,

Paarweise und mit tristem Trommelschall.

 

Dann treten sie ins Leben mit den Malen

Der schändlichen Geburt, den lasterfahlen –

Für sie wird alles, selbst das Kleinste schwer,

Sie tragen ihrer Mutter Mädchennamen

Wie eine Schwäre, die sie mitbekamen;

Von ihrem Vater wissen sie nicht, wer –

 

Man ist vor ihnen immer auf der Lauer,

Für sie gilt jegliches Gesetz genauer

Und als Beweis, was sonst kaum als Verdacht.

Man weiß, sie haben wenig zu verlieren,

In ihren ganz vergriffenen Papieren

Sucht man nach Strafen, die sie durchgemacht.

 

Vielleicht, daß einige von ihresgleichen

Für ihre Kinder noch das Licht erreichen

Und ihnen geben, was sie selbst vermißt –

Die meisten aber sterben wie der Schächer,

Der linke, der nicht weiß, daß der Verbrecher

Am Kreuz daneben Jesus Christus ist.

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Und wenn du mir die Sehnsucht gabst

(Geschrieben am 2.April 1901 in einem Brief an Arthur Trebitsch; Erstveröffentlichung in „Anton Wildgans – Ein Leben in Briefen“ Band 1, herausgegeben von Lilly Wildgans 1947 - Anmerkung von Anton Wildgans: Es ist nicht viel Form in dem Gedicht, aber um so lauterer ist der Quell, dem es entsprudelt, flüssig und aufrichtig. So was wollte ich schon lange sagen — Es ist gesagt. )

 

 

Und wenn du mir die Sehnsucht gabst,

Die meine "Werke soll vollbringen,

Wenn du den Sinn mit Träumen labst,

Die ihn mit Zaubern leis umschlingen,

Warum reißt du mit schrillem Schrei

Mich aus dem schöpferischen Schlummer

 

Und rufst: „Die Träume sind vorbei!

Nimm deinen Teil am Erdenkummer!

Dir ist kein ander Los beschert

Als jenen, die um dich sich scharen;

Denn, was du, mehr als jene wert,

Ist nur ein flüchtig Offenbaren

Der Welten, die du träumend siehst,

Damit du später beim Erwachen

Dreimal so klein und elend bist

Bei deiner Neider Pöbellachen!"

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Unter der Stadt

(Geschrieben Mai 1917 in Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917)

 

Knapp unter der Stadt,

in der die Paläste stehn,

Die Türme der Dome in Wolken greifen,

Wo blühende Zweige in Gärten wehn

Und alle die müßigen Schritte schweifen –

Knapp unter der Stadt,

in der die Autos jagen,

Die Frauen Seide und Glitzern tragen,

Wo in den Nächten durch goldene Säle

Auf Wogen von gepudertem Fleisch

Das Sinne verwirrende Gekreisch

Von heiteren Geigen niederprasselt –

Knapp unter der Stadt,

da sind die Kanäle!

 

Da sickern die Abwässer zusammen!

Was lüsterne Gaumen geletzt

Und mit prickelnden Flammen

Die Pulse gehetzt:

 

Lust, Reiz – geronnen zu Kot;

Was den großen Hunger gestillt

Von Millionen Magen,

Gekaute, verdaute Not:

Brot –

Brei und Jauche jetzt,

Dampfender Gischt, Gestank!

 

Dort in ewiger Nacht,

Schacht an Schacht,

Bei eklem Fraß und Begatten

Hausen die Ratten!

Dort im Sickern und Stauen

Schleimiger Gemenge

Brüten und brauen

Die Miasmen,

Steigen und drängen

Die bösen, typhösen

Dünste durch Rohre und Schläuche,

Nisten sich in Lungen und Bäusche,

Werden Fieber und werfen nieder

Wehrlose Glieder,

Und aus den Gittern der Kanäle,

Aus Grundwässern und Brunnen,

In die der Abhub gedrungen,

Reckt sich die Seuche!...

 

Aber der Strom, der heilige Strom

Nimmt alles auf

In seinen silbernen Lauf!

Kaum, daß ein Schauer,

Ein gelblich-grauer,

Über sein ewiges Antlitz geht.

Jenseits der Brücken

Fließt er in rauschender Hehre,

Spiegelnd goldener Wolken Saum,

Zum Meere –

Und alles war Traum. 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Vae Victis!

(Ein Weihelied den verbündeten Herren, Geschrieben August 1914 als erstes Flugblatt; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Österreichische Gedichte“ 1914 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für einen Menschen von der Heimatverbundenheit Anton Wildgans' mußte der Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 die tiefsteingreifende Durchschütterung bedeuten. Ein Venen­leiden machte ihn zu jeglichem Frontdienst untauglich und daher außerstande, auf diese Weise sein Teil Hilfe für das Vaterland beizutragen; so nahm er seine Zuflucht zu jener Aus­drucksform, die ihm zu Gebote stand: zum Gedicht)

 

Nun, alle Jungen, hebet an zu preisen!

Der Tag der großen Rechenschaft bricht an.

Da wir mit heißem Blut und kaltem Eisen

Ein wundersames Menschenwerk getan.

Dem Lügengeist, der lang genug vergiftet,

Wird schauerlicher Untergang gestiftet,

Und heilige Adler stürmen himmelan.

 

Nur scheinbar wird um Markungen gerungen,

Um offnen Weg auf festem Land und Meer,

Lobpreiset mit mir, Millionen Jungen!

Kein Krämergötze führt das Bruderheer

Um Menschenwürde und um Menschenrechte

Bekriegen freie Männer dumpfe Knechte

In frech heraufbeschworner Gegenwehr.

 

Sie wollten mit verfluchten Ränkemitteln,

Mit Mord und mit Verrat an Treu und Eid

An unserer Ordnung starken Festen rütteln

Und uns verkümmern die Gerechtigkeit.

Allein der Geist des Rechtes leuchtet stärker

Und ist ein gar gewaltiger Feuerwerker

Von Ewigkeit zu aller Ewigkeit.

 

Ein unerhörter Wahnsinn ist entbunden

Und tanzt zum Tubenklang des Weltgerichts.

Aus hunderttausend aufgewühlten Wunden

Verdampfen herzen in das eisige Nichts.

Doch aus dem Gift gigantischer Verwesung

Holt einst die Erde Kräfte der Genesung

Und neue Blüte ihres Angesichts.

 

 

 

 

Und aus dem Wahnsinn wird der Geist sich lösen,

Der streng der Menschheit neue Ordnung schafft,

Und aus der Not des allgemeinen Bösen

Erhebt das Gute sich mit klarer Kraft.

Was faul und tückisch, finster und verwachsen,

Verliert die Steuerung und bricht die Achsen

Und wird vom heiligen Sturm hinweggerafft.

 

Weh den Besiegten! Härtester der Sprüche,

An ihren Nacken wird er kalt vollstreckt,

Mit Schlächterruhe ohne Haß und Flüche

Zermalmt die Brut und was sie ausgeheckt.

Der Sieger wird die Großmut unterdrücken

Und über schmählich hingekrümmte Rücken

Hinstampfen wie auf häßliches Insekt.

 

Und as ist recht so und ist wahre Güte!

Mitschuldig wird, wer Niedertracht vergibt.

Wer gegen Wut gefeit sein will, der wüte!

Den Wolf verdirbt, wer seine Lämmer liebt.

Zu viele reine Tränen werden fließen,

Zu viele Augen sich in Qualen schließen,

Die nie ein Hauch von Haß und Neid getrübt.

 

Zu viele Frauen werden sich verzehren,

Zu viele Kinder werden Hunger schrein,

Zu viele Äcker nach dem Pflug begehren,

Zu viele Werke ohne Hände sein.

Und zu viel Glück und liebendes Bemühen

Wird hingemäht in seinem vollsten Blühen,

Und ohne Tröstung bleibt zu viele Pein.

 

Weh den Besiegten! Aber weh auch denen,

Die nach der ungeheuren Remedur,

In alter Laßheit ihre Kraft vergähnen,

Hintrottend auf der ausgetretnen Spur!

Ein neu Geschlecht mit ungeahnten Nerven

Wird sie erbarmungslos zu Boden werfen

Nach ehernem Gesetze der Natur.

 

Ja, wehe allen, welche dann noch Taube

Und Blinde bleiben gegen Bruderleid!

Das neue Vaterland, der neue Glaube

Wird neue Liebe heischen von der Zeit.

Wer dann in enger Ichsucht weiternistet,

Der wird hervorgeholt und ausgemistet,

Und all sein Wandel ist vermaledeit.

 

Das ist der Sinn von diesem großen Sterben,

Ihr, die ihr dann noch lebet, merket gut:

Die großen Taten wollen große Erben,

Ihr Todesmut will unsern Lebensmut,

Ihr ungemeines opferndes Verrichten

Bewirkt ein neues Maß für unsre Pflichten,

Und wehe dem, der dann nicht liebt und tut!

 

So zieht denn aus mit alten Schlachtenweisen,

Geweiht Heere, Helden Mann für Mann!

Jetzt wird mit heißem Blut und kaltem Eisen

Ein wundersames Menschenwerk getan.

Die größte Tat ist eurer Kraft beschieden:

Dem heiligen Kriege folgt der heilige Frieden,

Und weiße Tauben schweben himmelan.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Vergeblicher Besuch

(Geschrieben Mai 1917 in Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917)

 

Standst du noch nie vor eines Freundes Tür

Und hattest angeklopft und horchtest bang:

Wird er daheim auch sein? – Und endlich kam

Ein fremdes Antlitz und beschied dich kurz:

Niemand zu Haus! – Da war’s wie Bettlerscham,

Was dich verwirrte und wie jäher Sturz

Aus Hoffnungen in hoffnungslosen Gram.

 

Und wieder auf der Straße: - Alles grau!

Es sieht an dir vorüber feindlich-leer.

Niemand begegnet dir und grüßt dich Meer.

Die dort im Wagen fährt, war jene Frau

Dir nicht Geliebte einst? – Und jener im Gewühl,

Dessen Genick und Rücken du zu kennen meinst,

Ging er mit dir zur Schule nicht manch Jahr? –

Du holst ihn ein – und weißt es nicht genau.

Und gehst und gehst und bist mit einemmal,

Wohin du nicht gewollt, in einer Bar,

in einer schalen Posse oder gar

Bei irgendeinem Weib –

Und starrst entsetzt auf diesen fremden Leib,

Und rufst dich, wie in Traumes Angst und Pein,

Dich selbst wie einen fremden Schläfer an!

Und kommst zu dir und – hast noch nichts getan,

Und rettest in die Nacht dein Einsamsein!...

Niemand zu Haus! – Dies Wort war schuld daran.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

Verlorene Stunden

(Geschrieben 16.7.1907; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Die nie überwundene Tragik des Verlustes der Mutter, deren früher Tod nicht nur für den Knaben, sondern auch für den Jüngling bis ins Mannesalter hinein viele Qual der Vereinsamung mit sich brachte. Aus dieser durchlittenen seelischen Not entstanden dann, als sich der junge Mensch das Ventil des dichterischen Bekenntnisses geschaffen hatte, Gedichte, wie „Stiller Gang", „Ein Herz allein", „Waise", „Das fremde Glück"; aber auch „Machtspruch", „Träume", „Ergebnis", „Entfremdung". Alle eben genannten Gedichte entstammen dem gleichen Erlebnisurgrund)

 

Da kam der Abend wieder über Dächer

Wie eine Woge blau und tief heran.

Der Straßenlärm rollt fernerher und schwächer,

Und seinen dunkeln Diamantenfächer

Hat sacht der Himmel wieder aufgetan.

 

Und diese Wände, die lebendig waren

Von deines Plauderns weichem Kinderklang,

Und dieses Kissen, das von deinen Haaren,

Den aufgelösten kühlen, wunderbaren,

Den Duft den jungen Lebens trank,

 

Und dieser Blumen banges Lichtverlangen

Aus schlanker Vase grünem Dämmergrund –

All dies ist tot, seit du von mir gegangen,

indes die Aveglocken traurig  sangen

Ein Schlummerlied für Herzen, müd und wund.

 

All dies ist tot und wird nicht mehr erwachen;

Denn Stunden gibt es, die wie Geigen sind,

Die nimmer klingen, wenn sie einmal brachen,

Und Stunden sind, die wie verlorne Nachen

Zum Ufer treibt nicht Woge mehr und Wind.

 

Und wir, die Arme hilflos ausgebreitet,

Auf wüstem Eiland stehen wir gebannt

Und fühlen bang, wie rings die Flut sich weitet

Und daß der Felsen unter uns zergleitet:

Himmel und Wasser – weit und breit kein Land...

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Verträumnis (Melancholia)

(Geschrieben 1908 in Schloss Mokritz; Erstveröffentlichung als Melancholia“ im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909;Im „Buch der Gedichte“ 1929 unter diesem Titel aufgenommen - Anmerkung von Lilly Wildgans: Mokritz, in Slowenien bei Jessenitz an der Save gelegen, war das Stammschloß der Grafen Auersperg und Anton war bei seinem Freund Friedrich von Gagern dort zu Gast)

 

Jetzt stirbt der Wälder Gott – und wie der schrille

Ton einer Flöte, die des Meisters Hand

Entsank und die ein böser Stümper fand,

Schüttert der Nord durch brauner Wipfel Stille.

 

Doch morgen ist vielleicht ein Tag, so sommerschön,

Daß du aufhorchend in besonnten Auen

Der Flößer Stimmen hörst, die auf dem blauen

Strom niederfahren von den Höhn.

 

Da sinnst du schnell auf manchen lieben Gang,

Den du versäumt den Sommer lang,

Und soviel Blumen als vielleicht noch blühn,

Willst du mit eilfertigen Händen pflücken,

Lebloses Glas mit welkem Tand zu schmücken –

Und bliebst daheim, da Leben war und Grün...

 

Narr deiner selbst, nicht weiser durch die Jahre,

Noch heute stirbt der Wälder großer Gott!

Und du, wie immer noch an jeder Bahre,

Nach Leben suchend in den starren Zügen,

Erkennst in des Besinnens jäher Not:

Armut war deiner Träume Selbstgenügen.

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Verzweiflung

(Geschrieben 1895/96, Erstveröffentlichung in „Hippodameia“ 1962)

 

Millionen

Dulden und leiden,

Und wir denken und trachten,

Sehnen uns und schmachten

Nach Genuß und Freuden.

 

Verzeiht, verzeiht,

Seelen der Armen,

In Hunger und Leid!

Habt Erbarmen

Mit uns Reichen!

Zwar gehört uns die Erden,

Doch drüben werden

Wir euch weichen —

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Vielerlei hab´ ich der Gäste

(1920 - Lilly Wildgans: Im Herbst 1917 erwarb der Dichter den sein ganzes bisheriges Leben lang ersehnten eigenen Grund und Boden. In einem Brief an seinen Freund Dr. Gustav Huber schreibt der Dichter unter dem Datum des 8. Juni 1920: „Ich bin aus meinem gewohnten Element geworfen, und dies ist sehr hart, da ich für dieses Frühjahr zwei große Pläne hätte: das Vorspiel zur Mosestragödie und ein größeres idyllisch-episches Gedicht, das, von der kleinen Welt meines Mödlinger Gartens aus­gehend, weiteste Horizonte erfliegen sollte." — Das Gedicht blieb zwar damals in jener „kleinen Welt des Mödlinger Gartens" stecken, es ist jedoch erfüllt von so liebevollem Nachzeichnen beobachteter und erlebter Details, daß es auch als Fragment Anspruch auf Vollwertigkeit erheben darf)

 

Vielerlei hab' ich der Gäste in meinem Garten am Hause,

Jeder Abschnitt des Jahrs kennt seinen eignen Besuch.

Kaum daß der Frühling sich kündet, erscheinen als erste die Falter,

Gelb wie Zitronen und weiß gaukeln sie über den Kies.

Später kommen die Bienen in Schwärmen und saugen den süßen

Seim aus den Kelchen des Dufts, den mir die Linde verstreut.

Aber im Herbst, wenn die Welt nach Heu und gefallenem Obst riecht,

Stöbert der Igel des Nachts geisternd durch raschelndes Laub.

Immer sind nur die Vögel: ob Winter, ob Frühling und Sommer ...

Nicht erst der Spatzen erwähn' ich, der zwitschernden Meisen und Finken,

Kaum der Amseln und kaum der kreischenden Käuzchen —

Eher schon nenn ich den Pirol, den goldenen Pfeifer, und manchmal

Stellt sich zur Zeit des Jasmins flötend die Nachtigall ein.

Ach, meine Beeren beschnäbeln die Racker, die Kirschen und Weichsein,

Während Marille und Nuß grün noch das Eichhorn benagt.

Da überkommt mich bisweilen die Mordlust und, Schrotdunst im Laufe,

Schleich ich mich lauernd heran, nehm' einen Räuber aufs Korn.

Oh, ich visiere genau, und dann — dann sinkt mir die Waffe —

Schwachen Geschöpfes Grazie hat mich entmannt.

Wollt' ich dich wirklich verlöschen, du rotes, du buschiges Flämmchen,

Welches vom Aste zum Ast dämmernde Wipfel belebt?

Wollt' ich dich wirklich verstummen, du goldenes Schnäblein des dunklen

Sängers, du traulicher Laut, der mir den Abend versüßt?

Nicht doch, lebet, Geschöpfe — und stopft euch die Kröpfe in Frieden,

Welchen freilich nur ich mit meiner Ernte bezahl'.

Und so halten sie's auch — vor meinen Augen — und wissen,

Nicht der Mensch ist der Tiere allergefährlichster Feind ...

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Viellieber Freund

(Geschrieben 1912, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Anton Wildgans übergab mit diesem Widmungsgedicht das Manuskript der „Sonette an Ead" seinem Freund Fried­rich Winterholler. Er war seinerzeit bei Gericht, wo Winterholler ebenso wie der Dichter als Auskultant Dienst leistete, mit diesem bekannt geworden. Bald verband die beiden eine Freundschaft, die sich in erster Linie auf geistigen Ge­dankenaustausch gründete und die ungeschwächt bis zu des Dichters Tod andauerte)

 

Viellieber Freund, ich leg' in Deine Hände

Dies Manuskript, bewahr es treu und gut,

Es ist mein Herz darin, mein Hirn und Blut

Und eines Lebens schmerzlich-süße Wende.

Wenn ich, Du treuer Helfer, nicht empfände,

Daß es in Deinen Händen ruht

So wie bei mir — ich hätte nicht den Mut,

Es Dir zu weih'n als meine Spende.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Vision

(Ein Fragment; Geschrieben 1907; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung: Der Dichter wählte für dieses Gedicht auch den Titel „Präludium")

 

1.

Das Weib trat in des Mannes Traum und sprach:

Nun musst du mein sein - erlöse mich!

Denn meine Wunden bluten - und all die Schmach

an diesem Körper kam durch dich.

Sieh dieser Schwären Gift, das meine Brüste

für deiner Kinder welke Lippen verseuchte,

sieh diese Augen, denen dein Gelüste

den himmlischen Widerschein entscheuchte!

Und waren sie nicht wie Brunnen tief,

auf deren Grunde das Wunder schlief

in kindlicher Tränen heiliger Feuchte -?

 

Oder war ich nicht rein, da ich einst dir begegnet,

wie reifender Früchte heimliches Fleisch,

das, in der Schale geborgen und keusch,

mit Süße die starke Sonne gesegnet?

Gebar ich dir nicht Kinder hold und stark,

starb je die Flamme an deinem Herd?

Und wenn du vom Siege heimgekehrt,

erneute mein Kuss dir nicht Blut und Mark?

 

Das war, da noch die Tat dich gereizt,

und trägen Blutes schwelende Glut

noch nicht dein dumpfes Gehirn überheizt

und Träume braute, Schlaftrünke dem Mut.

Das, war, da du noch jäh und wild

den Versucher an deinem Weibe erschlugst,

nicht deine Schande mit Lächeln trugst

und dich auf den Weisen hinausgespielt!

Und dann, als deiner entnervten Hand

das Spielzeug, die Puppe sich entwand,

dich knechtete, den seine Gelüste geknechtet,

wie hast du schaler Tor da gerechtet,

weil sie verlachte, was feig und entmannt!

Und Weib war dir Sünde und Liebe Schuld

und Tugend Verzichten und Mut Geduld.

 

Zwar hob Er vom Boden nicht den Stein

gegen des Hauptmanns verirrtes Weib,

aber wo blieb mir Sein brünstiger Leib.

Sein Leib aus zuckendem Elfenbein!?

Habe ich nicht mit Tränen mein

Seine Füße gewaschen, wund und bar,

und sie getrocknet mit meinem Haar,

mit meinem weichen, duftenden Haar.

Und Er, nur um nicht mein zu sein,

wie trug Er die Dornen mit grausamen Stolz

auf Seinem blutüberrieselten Haupt

und gab dem fühllosen Schächerholz,

als die Ihm schon den Mantel geraubt –

nur um nicht mein zu sein –

Seine zuckenden Glieder aus Elfenbein,

und ich - ich hatte geliebt und geglaubt - -

 

Und in des Mannes Traum das Weib gebot und sprach:

Nun musst du mein sein - erlöse mich!

Denn diese Wunden bluten - und von all der Schmach,

so mir durch dich geschah:

Das Weib ward nicht erlöst auf Golgatha -!

 

2.

Und da erwachte der Mann und ging

und suchte das Weib.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Vom kleinen Alltag

(Geschrieben 11.6.1911; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Nr. l: nach dem Tod des Vaters leidvoll erfahren. Nr. 2: auch dieses ein Erlebnis innerhalb der eigenen Familie. Nr. 3 und 4 gehören in den gleichen mitleidenden Gefühlsbereich wie etwa „Tag der Mädchen")

  

1.

 

Nicht ist so rührend wie die Habseligkeiten

Der Toten, ihre Kleider und Wäsche und alle

Die kleinen verlassenen Gegenstände. Sie liegen

So arm umher und warten, daß wieder Hände

Sie nehmen mit wärmenden zärtlichen Fingern.

Sie frieren so sehr und haben auf einmal Augen,

Die bitten, sie nicht zu verachten. Aber da kommen

Die Menschen, sie teilend nach Wert und Unwert legen,

Was brauchbar, beiseit und häufen das andre zusammen.

So manches findet sich da. Hier hat sich der Tote

Noch neue Brillen gekauft, in seiner Brieftasche

Sind noch Marken und in der Schreibtischlade

Drei, vier Zigarren, gespart für besonderen Anlaß.

Nun nimmt sie der Erbe und prüft sie, ob sie auch trocken.

Dann zündet er eine sich an und raucht sie ...

 

  

2.

 

Man muß die Frauen der kleinen Beamten sehen,

Den Korb am Arm, wie sie einkaufen und bei den Ständen

Der Grünzeughändler stehen, aus den Gemüsen

Das Billigste wählen und da noch zu feilschen versuchen.

Lang währt solcher Einkauf, und oft muß die Hand,

Die mühsam gepflegt und weiß erhaltene,

Was schon ergriffen, wieder hinlegen, weil es

Zu teuer. Aber die Blicke ruhn noch darauf.

Da kommen und drängen sich dicke Köchinnen vor

Und fassen mit roten, rohen, unbedenklichen Händen

Nach diesem und jenem, was kostbar und gut ist, und kaufen

Mit fremdem Gelde für Leute, die sie nicht lieben.

Und jene hätten das zarte Gemüse, das junge,

Dem müden Manne süß sorgend bereitet als erste

Gabe des Frühlings – nur um ein Lächeln.

 

  

3.

 

Die armen Leute ziehen am Sonntag hinaus

Ins Grüne. Sie nehmen sich Kaltes und Brot mit. Dann liegen

Sie auf den Wiesen und lassen die Sonne scheinen

In ihre enterbten Gesichter, dehnen ihre Körper

Im Gras und fühlen der duftenden Erde kühle

Berührung. Die blonden blutleeren Mädchen lachen

Zuweilen und haben die Hände voll Blumen. Die Frauen

Berechnen, indes sie stricken, die Kosten des Tages.

Die Männer sind müde und schlafen bis gegen Abend.

Dann wandern sie an den Gärten vorüber, aus denen

Musik und lichter locken, der Duft von Speisen

Und das Gesumme vieler fröhlicher Menschen.

Da klagen die Kinder: Hunger! und sind von den Zäunen

Der hellen Gärten nicht wegzubringen. Aber

Der Vater sagt herb: Das ist nichts für uns ...

  

 

4.

 

Arbeiter reißen die Straße auf – Nun läuten

Die Glocken zu Mittag. Da klirrt der erhobene Arm mit

Dem Spaten noch einmal nieder. Dann gehen sie langsam

Zu ihren Röcken, die wie ein Haufen von Lumpen

Am Straßenrand liegen, und nehmen aus ihren Taschen,

Gewickelt in alte Zeitung, ihr Essen. Aufrecht

Stehend lehnen sie ihre verkrümmten Rücken

An eine Mauer im Schatten. Andere liegen,

Die Pfeife rauchend, der Länge nach auf dem Boden.

Andere schlafen. Alle schweigen. Die Sonne

Glüht senkrecht herab. Nur manchmal ein Luftzug treibt einen

Der weggeworfenen Zeitungsfetzen raschelnd

Über das Pflaster. Ein alter zerlumpter Mensch

Kommt da um die Ecke und bückt sich mühsam nach jedem

Papiere, faltet es sorgsam und gibt es in einen

Korb wie was kostbares. Immer sind andre noch ärmer.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Von deutscher Zukunft

(Nach 1918)

 

Von deutscher Zukunft soll ich Künder sein?

Zwei Säulen, denk' ich, tragen sie allein:

Die eine ist die deutsche Arbeitskraft,

Die sorgt und spart und Wert und Werke schafft.

Die andre ist der deutsche Edelgeist,

Der jenem Fleiße erst die Wege weist

Und über aller Wachheit nicht vergißt,

Dem Traum zu geben, was des Traumes ist.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Vor dem Bilde meines Vaters

(Fragment; Geschrieben 1907; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Herbstfrühling“ 1909; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Während der ihn versehrenden Jahre seiner Jugend, zumeist gepeinigt von bösen Kopfschmerzen, Erschöpfungsanwandlungen und Schlaflosigkeit , unter dem Eindruck des grausamen Ver­falls des Vaters stehend, der mutmaßlich an einem Tumor im Gehirn mit Lähmungserscheinungen litt, wähnte der Überreizte manchesmal, in seinen eigenen krankhaften Zu­ständen die Symptome des väterlichen Leidens zu erkennen)

 

Warum, o Gott, warum denn noch einmal

all seinen Jammer und die ganze Qual

in die verjüngte Form verschwenden? - Ist

Deinem Hasse nicht genug geschehen - Bist

Du so unersättlich, dass ein einzeln Leben

nicht Leid genug hat, Dir genug zu geben?

Sind Deine Krüge denn noch immer voll,

die bitteren, dass ich sie leeren soll -?

 

Jetzt weiß ich langsam, wie das Alles war.

Denn, was ich damals sah, des Mitleids bar -

weil noch zu jung, zu wenig noch gegerbt

von Deiner Fuchtel - jetzt, da ich's geerbt,

fasst mich Entsetzen erst vor seinem Leid,

vor seinem unsäglichen Leid!

Jetzt freilich, erst, da an dem eignen Nerv der Wurm

schon nagt, erfüllt mich sein Geschick wie Sturm,

reißt mich wie jähe Brandung in die Flut

und tobt wie Glut in meinem eignen Blut,

aus dem ich ragte, steinern wie ein Turm.

 

Mein Gott, ich hab ihn einmal weinen sehen,

als mir die Mutter starb und ihm das Weib!

O, dieses irre Hin- und Widergehen

und dieses Schluchzen durch den ganzen Leib

den langen Nachmittag und manche Nacht,

da ich, ein Kind, an seinem Bette schlief!

Da bin ich oft ganz heimlich aufgewacht

und hörte, wie er leise nach ihr rief

und mit ihr sprach, als läge sie bei ihm.

 

Doch Dir, in Psalmen deiner Cherubim

war dieses Leid nicht schwer genug und tief!

 

Du musstest erst, den Du mit Meisterhand

zu einem hohen Hort des Geistes schufst,

mählich zerfallen sehen, wie die Wand,

die einstürzt, wenn Du ihren Namen rufst.

Fürwahr, es weinen Steine, die es sahn,

wie er verfiel; erst die gewölbte Veste

der Stirne, dann das Menschliche der Geste,

dann Blick und Sprache, nimmer Untertan

dem Halbbewusstsein, diesem Bettelreste,

den Du ihm ließest, dass er sein Gebreste

auskosten musste bis zum Schluss der Bahn.

 

So lag er, ehe ihn Dein Dunkel barg,

in seinem toten Fleische wie im Sarg ...

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Vorfrühling

(Geschrieben 2.2.1923, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928)

 

Seit Tagen wühlt im Wald der Föhn

Und wirkt der Erde Lustgestöhn,

Die Wipfel biegt er auf den Höhn.

 

Dornblütengold, Blattknospengrün

Erwartet nur der Sonne Glühn,

Um aufzuspringen, aufzublühn.

 

Noch schauern Regen frostgewillt

Ins überdunkelte Gefild,

Und nackte Scholle quillt und schwillt.

 

Doch morgen bricht durch Wolkengrau

Die aufgetane Himmels-Au,

Und Gottes Auge lächelt blau.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Vorfrühling 1917

(Geschrieben 1917, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Noch ist die Erde kahl und kühl

Und muß der Blütenpracht entraten,

Doch nahen Frühlings Vorgefühl

Bedrängt verheißend deinen Atem.

 

In alle Ästen quillt es schon

Und treibt verlangend nach den Spitzen,

In allen Gräsern schwillt es schon

Und kocht und gärt aus allen Ritzen.

 

Das war ein schweres Winterleid,

Und lange hielt der Frühling inne,

Als gäbe er der Menschheit Zeit,

Auf daß sie endlich sich besinne.

 

Die aber, blind in ihrer Wut,

Versteht nicht Wunder mehr und Zeichen,

Schlägt weiter Wunden, wühlt im Blut

Und zählt die Tat nur noch nach Leichen.

 

Herrgott, da bricht die Frage auf

Vor dieser argen zeit Beschwerden:

Kann Hasses ungehemmter Lauf

Dereinst doch noch zu Liebe werden ?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Vorhang des Lebens

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Zu keinem Spiel, vergebt, lad´ ich euch ein,

Vielmehr, euch diesen Vorhang zu besehen,

Der ganz gesättigt ist vom Purpurschein

Der Lichter, die für euch verborgen stehen.

Saht ihr noch niemals durch ein Glas voll Wein

Der Sonne überstarke Strahlen gehen –

Mehr ist es nicht, was ich vermag zu geben,

Als im Gedicht den Widerschein des Lebens.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Waise

(Geschrieben 1908, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Die nie überwundene Tragik des Verlustes der Mutter, deren früher Tod nicht nur für den Knaben, sondern auch für den Jüngling bis ins Mannesalter hinein viele Qual der Vereinsamung mit sich brachte. Aus dieser durchlittenen seelischen Not entstanden dann, als sich der junge Mensch das Ventil des dichterischen Bekenntnisses geschaffen hatte, Gedichte, wie „Stiller Gang", „Ein Herz allein", „Verlorene Stunden", „Das fremde Glück"; aber auch „Machtspruch", „Träume", „Ergebnis", „Entfremdung". Alle eben genannten Gedichte entstammen dem gleichen Erlebnisurgrund)

 

Einmal freilich war sein Leben reicher,

Aber dieses rührt nur mehr vom weiten:

Liebe Worte, mütterlicher weicher Hände sanftes

Durch-die-Haare-Gleiten.

 

Aber später ward es mählich immer

Einsamer, und all das einst gehörte

Gute, allen Schimmer

Nahm die Not von seiner dunkeln Fährte.

 

Seither schlich in seine Augensterne

Dieses Wachsamsein und stete

Spähen Nach dem Feindlichen in seinen Nähen

Und dies Ängstlich-Suchen in der Ferne.

 

Bis auch dieses sich zu Ruhe legte

Hinter kalter Maske: Furcht und Leiden.

Bis der Ungeliebte, Unbewegte

Wege wählte, die die Vielen meiden.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Walzerphantasie

(Geschrieben Jänner 1901; Erstveröffentlichung in „Tiefer Blick“ 2002 von Evelyn A. Hahnenkamp – Anmerkung: Dieses Gedicht erschien am 18.1.1906 in der „Muskete" unter dem Titel „Walzer". Dieses Gedicht stammt aus einer frühen Jugendzeit und ist, sowohl formal als auch dem Gefühls­kreis nach, nur als Stufe zu werten auf dem Wege zu eigenem Ton und zum Ausdruck des eigenen Ich)

 

Wie der Blütenstrauch

sich im Frühlingshauch

an den Waldesbaum

bebend schmiegt –

So an mich gelehnt,

wenn der Walzer tönt,

schwebst du wie im Traum

sanft und hold gewiegt.

 

Toller Kreis um Kreis,

Herz und Blut so heiß,

duftend streift dein Haar

meinen Mund -

So, von Sonnenluft

trunken und vom Duft,

schließt ein Falterpaar

seiner Liebe Bund.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Wandlung

(Geschrieben Mai 1917 in Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: Den Inhalt des Gedichtes, wie auch von „Helldunkle Jugend II“, bildet die bis an den Rand des Todes her­anführende Scharlacherkrankung des Jünglings, der aus die­ser Gefahr nur wie durch ein Wunder gerettet wurde. In dem Kapitel „Nachtstück in der Lenaugasse 1898" seiner „Musik der Kindheit" gibt uns der Dichter von diesem Geschehnis aufschlußreiche Kunde. Dieses Kapi­tel schließt mit dem Gedicht „Ich denke dich an jedem Tage, Tod!")

 

In schwerer Krankheit rief der Herr mich an:

Was war mit dir, eh ich dich so gefunden?

Was wirktest du mit den geliehnen Pfunden?

Gib Rechenschaft, was dir dein Mühn gewann! –

 

Da wuchs um mich ein großes Schluchzen an

Von blassen Schatten abgeschiedner Stunden,

In denen ich gewollt und nur empfunden

Und nichts von dem Empfundenen getan.

 

Und plötzlich ward Unendlichkeit der Raum,

Mein Liegen Schweben, und ich sah die Meere,

Die Flüsse frachten, sah mit Korn und Beere,

 

Mit Früchten trächtig Acker, Kraut und Baum,

Und sah und  wachte auf aus solchem Traum

Und hub ein Singen an zu Gottes Ehre.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

War ein Kind, als ich die Mutter verlor

(Geschrieben am 31.1.1915, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Für Josefine Kramer-Glöckner nach der Erstaufführung von „Armut" am Deutschen Volkstheater zu Wien am 16. Jänner 1915, bei welcher sie die Mutter spielte und mit ihrer Lei­stung den Dichter zutiefst berührte)

 

War ein Kind, als ich die Mutter verlor,

Ein Kind von vier ahnungslosen Jahren.

Kann schon sein, daß ich manches sonst

Hätte anders erfahren.

 

Als ich Deiner Seele Klang

In meinen Worten vernommen,

Ist nach der Mutter, die kaum ich gekannt,

Leis mir ein Sehnen gekommen.

 

Hab' mich darob sonst nicht viel gegrämt

Und dieses mit anderem begraben.

Aber vielleicht wär' es dennoch gut,

Solch eine Mutter, wie du eine bist —

Ja, solch eine Mutter zu haben.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ich erträumt in großer Einsamkeit

(Geschrieben um 1915, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Zweifellos an eine Schauspielerin nach der Aufführung eines der Stücke von Anton Wildgans gerichtet; vielleicht an Käthe Bierkovsky, die in München die Marie in „Armut" zur restlosen Begeisterung des Dichters gespielt hatte)

 

Ich erträumt in großer Einsamkeit,

In Schaffenslust und -qual aus mir gegeben,

Dem liehst nun du von deinem süßen Leben,

Von deiner Stimme lieber Helligkeit.

 

So wurdest du von meinem Geiste Geist,

Dein Ich ist in das meine aufgegangen,

Und deine durch das Spiel erglühten Wangen,

Sie sind dafür von meinem Blut durchkreist.

 

So find wir eins, wenn auch der Zufall nur

Gewährte erst ein flüchtiges Begegnen.

Doch immer werde ich den Zufall segnen,

Der liebreich mich geführt auf deine Spur.

 

Ich kam in diese lenzverklärte Stadt

Aus grauen Tagen und aus mancher Leere.

Nun hast du mich erfüllt mit süßer Schwere

Und holder Unruh, wie sie Jugend hat.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Was ich höre . . .

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

. . . Ein leises, fernes Walzerklingen, so süss, so

wehmütig — Duftige Farben umwogen mich, strahlende

Luster blenden mein Auge. Ich fühle einen linden Atem

um meine Wangen weben — ich halte dich in meinen

Armen, so leicht und schwebend, so kühn und fest. —

Die Melodien schlingen Zauberbande um uns, —

Wir folgen ihren Tönen immer weiter — immer

weiter.

. . . Immer einsamer und stiller —

Drei süsse Worte hör' ich flüstern — Warst du's?

- Die Walzerklänge hauchen sie ferne wie ein ewiges

holdes Echo: ...

Du ... bist . . . mein ...

Was ich höre,

weisst du's jetzt?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Was ich mir gerne vorstelle . . . ?

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

. . . Einen kühlen morgen am See. Die jungfräuliche

Sonne badet sich in dem flüssigen Silber. Ein Licht-

dunst webt sich über die Wasserfläche und verschleiert die

fernen Gebirge. Der glitzernde Kies knistert unter unseren

Füssen. Du hast eine duftige Sommertoilette an. Dein

Arm schimmert, deine Schulter schimmert durch das zarte

Gewebe, und ein blauer Sonnenschirm bestrahlt dich mit

magischem Lichte ....

Was murmelt der See? — Hast du ihn verstanden?

Dort zum Gestade spülen seine Wellen — dort zu der

lauschigen Kastanienallee — Ich glaube, du wolltest mir

etwas anvertrauen ...

Was ich mir gerne vorstelle, —

weisst du's jetzt?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Was ich sehe . . . ?

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

. . . Ein dämmriges Zimmer — ein Lämpchen auf

einem Schreibtische und drüber ein mattroter Schirm. Sein Schimmer gleitet über goldene Löckchen eines lieben, lieben

blassen Gesichtchens. Es ist so innig geneigt über ein

Blatt Papier. Darauf steht:

Ich liebe dich so — so - so — ich kann dir´s

nicht sagen —

Ein Lächeln in deinen tiefen Augen —

Wie bin ich eitel !

Was ich sehe, —

weisst du's jetzt?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Was mich so schmerzte . . . ?

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

... Da ist ein traulicher Gartensalon. Draussen

pochen leise die Lindenbäume an die Glasfenster und

grüssen herein mit schwülem sehnsüchtigem Dufte . . .

und ich grüsse sie wieder und grüsse meine ferne Liebste

mit den zitternden Tönen meiner Geige — Ich blicke so

weit, so weit —

Ich sehe sie; dort ruht sie in ihrem stillen Zimmer

sie hört mich — sie kommt näher und näher — da

reisst mir eine Saite —

Draussen seufzen und schluchzen die Linden, und ich

muss hinaus unter ihren Schatten und die Tränen trinken,

die von ihren Blüten fallen —

Gerissen ist die Saite — die Saite in meiner Brust —

Was micb so schmerzte,

weisst du's jetzt?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Was wird mit mir geschehen

(Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Was wird mit mir geschehen, mein Lieb,

Wenn nicht mehr die Stunden sind,

In denen es mich zu dir hintrieb

Wie Segel, gefüllt mit Wind ?

 

Ich werde irren auf hohem Meer,

der launischen Wetter Spiel,

Du süßer Leuchtturm, dem es bisher

Mir treu zu leuchten gefiel.

 

Ich sehe ein Beben um deinen Mund,

Schau in dein blasses Gesicht.

Uns ist vom Fragen das Herz so wund,

Und die Antwort wissen wir nicht.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Weimar

(Fragment, Geschrieben 1924, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Anläßlich einer Vortragsreise im April des Jahres 1924 konnte der Dichter seine große Sehnsucht be­friedigen und die Andenkenstätte Goethes besuchen. Dar­über berichtet er in einem Brief vom 28. April 1924 aus­führlich an mich. Dieser Brief wurde im Briefwerk, II. Band, Seite 170, veröffentlicht. Schon fünf Jahre vorher bildet dieser Wunsch den Inhalt eines Briefes an Agnes Funck, die sich gerade damals in Weimar aufhielt)

 

Endlich in Weimar. Ich wollte Goethen besuchen.

Doch sie sagten mir dort, Goethe, der wäre schon tot.

Seit dem Jahre achtzehnhundertundzweiunddreißig

Läg' der Geheimerat in der fürstlichen Gruft.

Abend war es und Sonntag, die Straßen voll heiteren Treibens,

Wie es der Bürger liebt an dem Tage der Rast.

Aus den Schänken ertönte Musik von Klavieren und Geigen,

Auch Mandolinengezirp jugendlich wandernder Schar.

Alles beachtend schritt ich dahin und las in den Zügen der Leute,

Ungewöhnliche Spur sucht' ich in jedem Gesicht.

War er auch nicht, der Große, in Weimar zur Welt gekommen,

War er auch anderen Bluts als dies schlendernde Volk,

Ähnlichkeit bewirkt doch auf geistigem Wege die stete

Nähe gewaltigen Manns, wie uns die Wissenschaft lehrt.

Und kaum dachte ich dies, so durchfuhr's mich wie holdes Erschrecken:

Gretchen kam da des Wegs. Ebenso sah es wohl aus.

Hatte den Strohhut am rundlichen Arme baumeln, die Haare

Ährenblondestes Gold, zierlich zu Zöpfen gedreht.

Milch und Blut die Wangen, der Gang von reizendstem Anstand,

Unschuld im träumenden Blau sittsam heiteren Blicks.

Und schon kam geschritten aus altertümlichen Gäßchen —

War er's am Ende nicht selbst? — Hofrat Meyer, der Freund.

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Weiß nicht, warum keiner kommt

(Geschrieben Oktober 1916; Erstveröffentlichung in „Anton Wildgans – Ein Leben in Briefen“ Band 1, herausgegeben von Lilly Wildgans 1947  - Anmerkung von Lilly Wildgans: Vermutlich ein erster Entwurf zum Lied der Rosl im 2. Akt von „Dies irae")

 

Weiß nicht, warum keiner

Kommt und mich nimmt —

Irgend, ach, einer

Ist auch mir bestimmt.

 

Wo mag er verweilen

In all der Zeit —

Warum will er nicht teilen

Mit mir Freude und Leid —

 

Ach, meine Füße

Gehen doch leicht im Haus,

All meine Süße –

Schütt' ich ihm aus —

 

All meine Treue

Gab ich ihm zum Pfand,

Daß er sich freue

In meiner Hand —

 

Aber er kennt mich nicht,

Und ich nicht ihn —

Muß still und ohne Licht

Einsam verblühn.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Weltflüchtige Liebe

(Geschrieben 1911; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Diesem Gedicht liegt jenes verhängnisvolle Liebeserlebnis  von 1904 zugrunde, aus dessen Fesseln die bis Australien führende Weltreise den Dichter befreien sollte und auch tatsächlich befreite)

 

Wie war mein Leben still,

Eh’ du mir begegnet.

Aber nun will

Nichts mehr sein, das mich segnet.

 

Wie ein weidwundes Tier

Flücht’ ich mein Blut, das rinnt.

Niemand spricht zu mir,

Nur Regen und Wind.

 

Kräuter, in die ich mein

Antlitz wühle,

Kräuter und feuchter Stein

Geben mir Kühle.

 

Bin nicht mehr, der ich war,

Weiß nicht, was werden –

Würde ich doch zu Erden,

Dann könnt’ ich noch Frühling werden

Und ein fruchtbares Jahr.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Weltlauf

(Geschrieben 9.11.1901, Erstveröffentlichung in der Zeitschrift „Die Muskete“, Wien-Leipzig, Band 2, Nr.40 am 5.7.1906; Erstveröffentlichung in Buchform im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht stammt aus einer frühen Jugendzeit und ist, sowohl formal als auch dem Gefühls­kreis nach, nur als Stufe zu werten auf dem Wege zu eigenem Ton und zum Ausdruck des eigenen Ich)

 

 

Wo im Takt die Hämmer fallen

In des Tages wildem Braus,

Dort in schweißgetränkten Hallen

Ist der Menschengeist zu Haus.

 

Hände müssen aus dem Schoße,

Widerspenstig ist der Stein,

Und das Kleinste wie das Große

Will mit Fleiß errungen sein.

 

Und so hasten wir in Banden,

Die die Notdurft um uns zog,

Haben niemals recht verstanden,

Wenn der eine was erflog.

 

Wenn er träumend fand die Lösung,

Erntend, wo er nicht gepflügt –

Blüten gebend statt Verwesung,

Wenn er kämpfte und gesiegt.

 

Raffend in der Hallen Dämmern,

Was er spendete der Welt,

Schmelzen, gießen wir und hämmern

Blut zu Macht und Gold zu Geld.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wenn ich der liebe Herrgott wär!

(Geschrieben 1903, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Dreißig Gedichte“ 1916)

 

Wenn ich der liebe Herrgott wär´,

Der über Wolken thront,

Dir gäb´ ich für dein golden Haar

Den schlanken Silbermond.

 

Auch legte ich die Sterne dir

Wie Perlen um den Hals,

Und webte dir ein Wunderkleid

Vom Licht des Sonnenstrahls.

 

Dann schüf´ ich ein Korallenschloß

Von grüner Flut umsäumt,

Die nur, wie schlummernd, hie und dort

An dunkle Ufer schäumt.

 

Und ganz ein heimlich Heiligtum

Aus kühlem Elfenbein,

Voll großer, blasser Blumen Duft

Und Ampeldämmerschein.

 

Ein purpurn Kissen träumte da

Von deiner Pracht betört –

Ein Geigenspiel umschwärmte dich

Verliebt und kaum gehört . . .

 

Und wenn mir dieses Werk gelang,

Dann würd´ ich Mensch darum,

Daß du mir eine Nacht nur gäbst

In diesem Heiligtum . . .

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wer mir die Armut vor die Türe weist

(Geschrieben 1916, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Eine Widmung in ein Exemplar von „Liebe" geschrieben für die Jugendfreundin Minnie de Le Beau, der Gattin des Feldmarschalleutnants Aurel de Le Beau gewidmet. Deren Bruder, Dr. Friedrich Schmedes, hatte die Halbschwester von Anton Wildgans ge­heiratet)

 

Wer mir die Armut vor die Türe weist,

Der leugnet mich in meinen besten Stunden.

Wer lindert Sie, wie wird sie überwunden,

Wenn solches Herz wie Deins sie gehen heißt?

 

Nicht wer ihr flucht, nur jener, der sie preist,

Erkennend, wie sie heilend wirkt durch Wunden,

Hat ihren allertiefsten Sinn gefunden:

Ein Weg zu sein aus Leid und Not zum Geist.

 

So auch dies Buch, das von der Liebe spricht,

Ist, wie Du meinst, ein Buch des Frohsinns nicht.

Denn allzuschwer sind wir durch sie verkettet.

 

Auch hier der Weg, wie sich aus Leidenschaft,

Irrtum und Lüge durch der Wahrheit Kraft

Der schwer verbriefte Mensch zum Geiste rettet.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wer war Onda?

(Geschrieben 1904/1905, Erstveröffentlichung in der zeitschrift „Die Muskete“ Wien-Leipzig, Band 1 Nr.10 am 7.12.1905; Erstveröffentlichung in Buchform im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans – Anmerkung von Lilly Wildgans: Dieses Gedicht widmete Anton Wildgans Emma Mundt, einem jungen Mädchen des „Steinhauser Kreises")

 

Wer war Onda? - Der Name verrät's:

Onda, die Welle!

Kannst du sie haschen und bannen ins Netz,

Onda, die Schnelle?

 

Aus den Fluten tauchen ans Licht

siehst du sie, schmiegend

sich an die Sonne bis sie zerbricht,

Funkelnd, versiegend -

 

Oh, ihr habt sie alle gekannt,

Onda, die Welle,

und sie hat euch alle gebannt

mit ihrer Helle.

 

Ja, sie hat euch alle entzückt

mit ihrem Reize,

und so hat sie keinen beglückt

in seinem Geize.

 

Ja, sie hat euch alle betrübt

laut und verhohlen,

und ihr habt sie geschmäht und geliebt

Frech und verstohlen.

 

Wenn ihr Onda am morgen saht,

waldwärts schreiten

oder mittags im kühlen Bad

ganz vom weiten,

 

Wenn sie über die Wiesen zog,

Blumenbeladen,

und ihr Kleid im Winde flog,

straff um die Waden,

 

Wenn ihr Onda entgegenkamt

wider Erwarten

oder ihr leises Singen vernahmt

Abends im Garten -

 

Warum habt ihr sie da gehetzt

frech und lüstern

und ihr so schamlos zugesetzt

bebender Nüstern -

 

Warum wolltet ihr halten sie stets,

Onda, die Schnelle,

warum hetzen und bannen ins Netz

Onda, die Welle -?

 

Warum hat keiner am Ufer gelauscht

ganz ohne Ziele

und hat sich keusch und bewundernd berauscht

an ihrem Spiele?

 

Warum hatte denn keiner Scham

für seine Wunde,

harrend und hoffend bis sie kam

heimlichster Stunde -

 

und seine zehrende Sehnsucht geheilt,

gerne verleihend

und ihre Seele ihm zugeteilt,

liebend und weihend?

 

Eines Morgens fand man sie tot –

Onda erschossen?

Hat sie ihr Blut so blühend und rot

selber vergossen -

 

Ja, so sagt man - aber ihr

die ihr sie schmähtet

und verfolgtet mit eurer Gier

habt sie getötet.

 

Keine Seele war je so rein

wie die ihre.

Aber ihr - ihr wart gemein

wie die Tiere.

 

„Onda" steht jetzt auf dem Stein

ruhig und helle.

Wer war Onda -? Vergessen? Nein

Onda die Welle -

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Widmung

(Geschrieben Sommer 1913, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Abschließende Eintragung in das Gästebuch des Scheiblinghofes bei Großreifling. Im Som­mer 1913 unternahm der Dichter von Unter-Tullnerbach aus einen einwöchigen Ausflug, um Viktor Haerdtl , ein Mit­glied aus dem Freundeskreise „Bund der Gewaltigen", auf dessen Besitztum „Scheiblinghof" bei Groß-Reifling zu be­suchen

 

Das Essen war nicht schlecht, allein bisweilen spärlich,

Dag Fett war oft nicht recht und so nicht ungefährlich,

Das Bett war hart und schmal, das Zimmer ohne Wärme

Die Sessel ebenso, erkältend die Gedärme.

Ansonsten war die Zeit auch nicht zu sehr gesegnet,

Von einer Woche hat es sieben Tag geregnet,

Das Wasser war typhös, der Wein den Gaumen beizend.

Im ganzen war's nicht bös — im Gegenteil ganz reizend.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Widmung an die Wiener Philharmoniker

(Geschrieben 13.2.1924, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Späte Ernte“ 1947 aus dem Nachlass ausgewählt durch Franz Theodor Csokor – Anmerkung von Lilly Wildgans: Geschrieben für den ersten Ball der Wiener Philharmoniker am 4.3.1924 im Wiener Musikvereinssaal als Laudatio an das Orchester, ein "Vorspruch zum Fest". Anton Wildgans verfasst einen Beitrag im Ballbüchlein, welches als Damenspende überreicht wurde)

 

Euch liebt die Heimat und euch ehrt die Welt!

Wann immer wir des Besten uns besinnen,

Nach dem man eines Volkes Reichtum zählt,

Da können wir getrost mit euch beginnen.

 

Das sich're Maß im Fühln und in der Kunst,

Der echte Laut, der unsrer Art zu eigen,

Der milde Ernst, des Frohsinns hohe Gunst

Wird offenbar im Wohllaut eurer Geigen.

 

Ihr klangt dem Ahnherrn, klänget Kindern schon,

Die längst auch wieder Eltern sind geworden,

Und immer wieder lauscht von Sohn zu Sohn

Die Heimat euren seligen Akkorden.

 

Ihr seid aus Tönen aufgebaut ein Dom,

In dem vor hohen Geistern wir erschauern.

Die Welle wechselt in der Herzen Strom,

Der euch durchwallt. Doch Strom und Dom wird dauern.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Widmung in „Dies irae"

(Geschrieben 1918 für Lilly, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Aus tiefstem Ich heraus hab' ich's geschrieben,

So magst Du es ganz wie mich selber lieben.

Doch ist's auch D e i n Verdienst, d a ß ich es schrieb,

So hab' ich Dich ganz wie es selber lieb.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Widmung in ein Exemplar des „Kain“

(Geschrieben 1920 für Clementine Alberdingk, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Die junge Malerin hatte während des Sommers 1916 in Steinhaus am Semmering ein Porträt von Anton Wildgans angefertigt, das in der dreibändigen Briefsammlung farbig reproduziert wurde und den damals fünfunddreißigjährigen Dichter ungemein charakteristisch festhält. Clementine, eine Schwester der Geigerin Erny Alberdingk, stand mit uns in enger freundschaftlicher Bindung. Ihr war nach Erschei­nen des „Kain" eines von den in kardinalrote Seide gebun­denen Luxusexemplaren zugedacht gewesen. Da Clementine sich aber gerade zu jener Zeit monatelang nicht hatte blicken lassen, wurde die Gabe in feierlichem Strafvollzug auf ein gewöhnliches, kartoniertes Exemplar reduziert)

 

Weil Clementine kalt und undankbar,

Verfällt das rote Luxusexemplar,

Und sie erhält nur das gemeine gelbe.

Der Text ist leider unveränderbar,

Sonst wär auch er zur Strafe nicht der selbe.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Widmung in „Musik der Kindheit“

(Geschrieben Weihnachten 1928 als Widmung für Lilly, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Wie ich schon als Knabe war,

Wird hier deutlich offenbar:

Trotzig, rauh, in mich gekehrt,

Ach, nicht allzu liebenswert!

Und so bin ich auch geblieben —

Mußt mich trotzdem weiterlieben!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Widmung in „Und hättet der Liebe nicht“

(Geschrieben 1912 für Friedrich von Schmedes, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Du weißt, mein Freund, mein Leben war

Von Zeit zu Zeit recht sonderbar —

Hab' mancherlei getrieben.

Doch was ich immer auch getan,

Eins blieb mir treu: der Dichterwahn —

Ich habe stets geschrieben.

 

Als Knabe schrieb ich nur für mich

Und war schon froh und seliglich,

Wenn Verse mir gelangen.

Das meiste freilich war ein Dreck,

Drum warf ich ihn auch ruhig weg,

Um's besser anzufangen.

 

Doch später, als ich wuchs heran,

Da fand ich manchen jungen Mann,

Dem ich was vorgelesen.

Und mancher war mir menschlich gut,

Dem las ich vor in freier Glut —

Ist oft recht schön gewesen.

 

Dann schrieb ich für das Publikum.

Erst blieb es taub für mich und stumm,

Dann hub sich's an zu regen.

Und mit der Zeit wird man bekannt,

Und wird mit anderen genannt,

Die auch Gedichte — legen.

 

Oft ist dies eine Ehre kaum —

Doch was sind Ruhm und Ehre? — Traum,

Das Pflaster auf die Wunde,

Die einer tief im Herzen hat!

Drum wär's das beste, in der Tat,

Man schrieb' gleich — für die Hunde

 

Und ließe jedes neue Buch,

Auf daß schon locke sein Geruch,

In frische Wursthaut binden.

Da würden doch zum mindesten

Die Hunde, auch die blindesten,

Den Weg zum Dichter finden.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wie dich auch die Meute hetze . . .

(Geschrieben 1928, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

Wie dich auch die Meute hetze

Mit Geäff, Gekläff und Toben,

Folge eigenem Gesetze,

Fördre schweigend deine Schätze

Und verachte das Geschwätze,

Ganz besonders, wenn sie — loben.

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wiedersehen mit Gott

(Geschrieben 30.7.1921, Erstveröffentlichung im Gedichtband „Gedichte um Pan“ 1928 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Langsam verloren die während der 1. Burgtheaterdirektion gemachten Erfahrungen ihre zer­störende Macht, und die seelische, jahrelang alles künstle­rische Werk unterbindende Lähmung begann zu weichen. Aus solcher inneren Wiedererstehung heraus wurde dies Gedicht geschrieben)

 

Wo hab' ich denn gefristet in all der argen Zeit?

Wo Haß bei Lüge nistet und nah beim Unwert Neid.

 

Sie haben mich zerschlagen, für Pflicht mir Hohn gezollt,

Weil ich nicht nur beklagen, weil ändern ich gewollt.

 

Und war' fast schlecht geworden in all der Schlechtigkeit,

Ach, eine zarte Rebe ist die Gerechtigkeit!

 

Sie braucht auch andrer Güte, auch andrer reinen Sinn,

Sonst schwindet sie wie Blüte im Maienfrost dahin.

 

Jetzt aber bin ich wieder erwacht aus wüstem Traum

Und werf mich vor dir nieder, Gott Erde, Gras und Baum!

 

Gott Wind und Stern und Wolke, Gott Sommermittagshauch,

Gott Duft vom Tannenharze und wildem Himbeerstrauch!

 

Und tauch' die Hand, Gott Quelle, kühn in dein sprudelnd Eis

Und dank' es der Forelle, daß sie um mich nicht weiß.

 

Und bin zutiefst verschuldet dem Falter, der mir naht,

Daß er mein Wesen duldet, denn Duldung schon ist Tat.

 

Und preise deinen Namen, Gott Lust und Mutterschoß, Und sag' erschüttert Amen zu meinem Erdenlos!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wilde Fahrt

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giosue Carducci 1835-1907, Italien)

 

Es keucht mein einsam Schiff, gepeitschter Flanken!

Die Möwen schrein. Mit brausendem Gewicht

Rammt uns die Flut, und wie zum Weltgericht

Heult Donner auf und schmettern Blitzes Pranken.

 

Zurück zum Land erinnernde Gedanken

wenden das tränenfeuchte Angesicht,

und Blick der Hoffnung, matt geworden, bricht

An Rudertrümmern und zerschellten Planken.

 

Doch mitten in der Elemente Schlacht,

Sie übertönend mit Gesanges Macht,

Ruft kühn von Bord der Genius meiner Dichtung:

 

Rudert, Verzweifelte, dieweil noch Zeit –

Zum Nebelhaften der Vergessenheit,

Zum weißen Klippenstrande der Vernichtung!

 

 

 

Anton Wildgans

(1881-1932)

 

 

Willst du Weiser sein im Leben

(Geschrieben 20.3.1901 in Wien in sein Notizbuch; Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der acht-bändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948)

 

Willst du Weiser sein im Leben,

Lerne früh dein Inneres deuten,

Biet es feil nicht allen Leuten –

Laß sie kommen, laß sie geben –

Aber dann mit vollen Händen

Magst auch du, was dein, verschwenden.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Wink der Alten

(Geschrieben vor 1911; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Bildet eine Art Gegenstück zu dem Gedicht „Die Jünglinge im Frühling")

 

Laßt es euch von uns, den Alten, sagen,

Jünglinge, die ihr so leicht versäumt:

Ein Geschlecht von Mädchen reift und träumt

Leis’ heran zu euern neuen Tagen.

 

Viele Blute haben sie durchmessen,

Eh’ sie unter uns zu flüchtiger Rast

Einkehr hielten. Alle dumpfe Last

Haben sie im Weiten wo vergessen.

 

Ihre Leiber, biegsam wie die Klingen,

Ihre Stimmen, die verhalten schwingen,

Haben eine frühe Wissenschaft.

Ihre Augen sinnen über eure

Unzulänglichkeit ins Ungeheure

Einer großen Kraft.

 

Denen legt ihr nicht der Mütter Bürde

Auf die Schultern, die wie Wolken sind,

Unbeschwerbar hingewiegt im Wind –

Denn sie wollen eine andre Würde.

 

Und sie gleichen keuschen Priesterinnen,

Heute noch verschwiegen und gebannt –

Aber morgen springt vielleicht ein Brand

Jäh aus ihnen, und sie sind von Sinnen.

 

Darum laßt euch von uns Alten sagen,

Jünglinge: in euern neuen Tagen

Seid behutsam-weise im Gefühl - -

Nur die Wünschenden sind leicht zu täuschen

Von des Blutes gärenden Geräuschen –

Aber wir sind kühl ...

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wo all diese Lieder empfangen sind

(Geschrieben 1913, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Marietta Windbichler d.J. gewidmet in ein Exemplar der „Sonette an Ead")

 

Wo all diese Lieder empfangen sind,

Da ist deine Heimat, du blondes Kind.

Dies Himmelland, Hügelland, grün gefildet,

Hat dir die junge Seele gebildet.

Was immer in fremder Welt dir begegnet,

Hier bleibe zu Hause, hier bist du gesegnet.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wo du deine Kinderträume . . .

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Wo du deine Kinderträume

lächelnd durchschlummertest,

liebe Freundin,

dort ganz in der Nähe,

in einem einfachen Gasthaus,

sitze ich einsam,

und durchdämmere

lächelnd auch meine Träume

von dir und deiner Jugend.

Ein blondlockiger Engel

singt mir ein Wiegenliedchen —

So musst du gewesen sein,

und so hätt ich dich küssen dürfen . . .

Wenn ich wieder komme
und in deine biassen lieben

Züge schaue,

frage ich höchst höflich:

Wie geht es Ihnen,

gnädige Frau — ?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wohin ich möchte . . . ?

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

. . . dem Schmetterling nach, der vor mir auf der

Strasse flattert und mich lockt und neckt — Seine Flügel

sind goldig und tragen dunkle Zeichnung — diese lieben

Farben —!

Ich muss ihm folgen — wohin? — wohin?  Zu

dir, mein Liebling, zu dir!

Wohin ich möchte,

weisst du's jetzt?

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Wolken

(Geschrieben Mai 1917, Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917)

 

Der Zug der Wolken mahnt mich an den Tod.

Sie wandern von den Meeren her in Heeren

Und müssen zu den Meeren wiederkehren –

So kommt und geht der Menschen Aufgebot.

 

Wolke ist spielend Kind im Morgenrot,

Wird Dunkel, Licht, Erhören und Verwehren,

Ist Schwül und Kühl, Zerstören und Vermehren –

So auch der Mensch: Hold, Unhold, Brot und Not.

 

Und all dies nur für einen Augenblick,

Solange er, vom süßen Licht beschienen,

Sich rühren, wirken darf, beherrschen, dienen,

 

Treibend und doch getrieben vom Geschick.

Dann kommt die Nacht, sein Umriß geht verloren,

Und neue Menschen werden neu geboren.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wolken

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 25.7.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

O, weiße Wolken, die ihr hoch im Blauen

Windhingewiegt wie seidne Flocken schwebt,

Was will die Angst, die mir das herz erbebt,

wenn meines Kindes Augen euch beschauen?

 

Und Sehnsucht forscht empor zu blauen Auen,

Nach dem Geheimnis jener Sphinx bestrebt,

Die, alles wissend, keinen Schleier hebt

Und uns das Schicksal läßt im Ungenauen.

 

Doch, Kind, das Rätsel, das dort oben webt,

Die Wolken werden’s uns nicht anvertrauen;

Sie wissen es ja selbst nicht, ob Gott lebt.

 

Ich werde sterben, und auch dir ergrauen

Wird blondes Gold, das jetzt dein Haupt umschwebt,

Und niemals werden wir die Wahrheit schauen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wollt ihr wohl tun . . .

(Geschrieben 1903, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anmerkung von Lilly Wildgans: Die Entstehung dieses un­datierten Gedichtes muß man wohl in die Zeit der grenzen­losen Einsamkeit verlegen, die der Dichter nach des Vaters Tod 1903 durchleben musste)

 

Wollt ihr wohl tun, gebt Brot und Wein,

Denen, die vor euerer Türe hungern,

Laßt die Armen in die Wärme ein,

Die erfrieren und ihr sein verlungern.

 

Aber kommt euch nicht zu edel vor,

Wenn aus überreichen Zufalls-Haben,

Ihr an Speisen gebt und andern Gaben

Mit den stolzen Händen durch das Tor.

 

Denn vielleicht ist einer in dem Schwarm,

Den´s erbitterte und schwerer kränkte,

Wenn man ihn auf diese Art beschenkte,

Denn er ist nicht wie die andern arm.

 

Kann auch sein, dass er schon aß und trank.

Dem vermöchtet ihr mit einem Blicke

Mehr zu lindern seine Missgeschicke,

Denn er ist nicht wie die andern krank.

 

Aber so ist Gutestun der Welt,

Daß es zu den Ketten neue kettet,

Und sich aus des Herzens Armut rettet

In die Hand, die leer vor eitel Geld.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Woran ich denke . . . ?

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

. . . An ein einsam stilles Coupe — herrliche Land-

schaften fliegen vorüber — Es ist ein sonniger Tag und

wieder ein Morgen. Wohin? wohin?

O ginge es ewig so fort, ohne Ziel, ohne Zweck, in

etwas Unendliches aus den Qualen des Tages — dann

ein seliges Versinken . . .

„Du — du — du —" — flüstert's neben mir, leise;

ganz leise ...

Woran ich gerne denke, —

weisst du's jetzt - ?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wunsch

(Geschrieben vor 1903; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Vom Wege“ 1903)

 

Die erste Stunde

von den künftigen tausend bittern —

Ach noch zittern

Küsse mir von deinem Munde

auf den Lippen.

 

Einmal nippen,

einmal nur noch nippen dürfen,

ach, von deiner Küsse heissen Fluten!

Einmal nur noch deinen Atem schlürfen

und dann in dein Herz verbluten!

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Zueignung an die geliebte Landschaft

(Geschrieben Mai1917 in Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Mittag“ 1917; - Anmerkung von Lilly Wildgans: In diesem Gedicht ist das Verhältnis des Dichters zu der Landschaft Mönichkirchens dargestellt — die Befreiung von aller Unrast der Großstadt, die er ihr verdankte, die Aus­lösung des schöpferischen Strömens, das sie ihm vermittelte)

 

Nun steigen wieder die geliebten Hügel

Allmählich auf am Rand des weiten Blaus,

Darüberhingewiegt auf zartem Flügel

Ruht Wolke neben Wolke freundlich aus,

Der Kutscher hält, springt ab, versorgt  die Zügel,

Mit trauten Fenstern grüßt das alte Haus,

Gastlich bereit dem eingekehrten Wanderer,

Andacht umfängt mich, und ich bin ein Andrer.

 

Und alles, was noch gestern mochte quälen

Und nachgewirkt auf einsam-langer Fahrt,

Vermag nicht mehr zu wiegen und zu zählen,

Ist aufgelöst in heitre Gegenwart;

Mag dies Bequeme, jenes Buch auch fehlen,

Mehr, als mir mangelt, bleibt mir hier erspart;

Und leise schon in Klängen und Gestalten

Versucht es sich zu regen und entfalten.

 

Doch erst ein rascher Gang auf alten Wegen!

begierig holt der Blick die Bilder ein,

Liebkost die Wiesen, überprüft den Segen

Der Frühlingssaat, ruht auf bemoostem Stein,

Liest aus den Wolken Sonne oder Regen,

Verfolgt den Vogelflug ins Blau hinein

Und deutet das bescheidenste Begebnis,

Denn hier ist alles Zeichen und Erlebnis.

 

Die Straße jetzt, die Bank, die lieben Mühlen,

In fichtendunkeln Grund hineingebaut,

Treibender Wildbach du, mit deinem kühlen

Kristallgeschäum und Silberschellenlaut,

Du Übermut, du ungestümes Wühlen,

Du Schimmelfohlen, das den Strang zerhaut,

Schäum’, springe zu, doch brich mir nicht das alte

Nährmütterliche Rad, das Gott erhalte!

 

Und nun zur Höhe! In den nadelglatten

Waldboden greift bewehrten Schuhs Gewicht,

Ein Schildhahn knattert auf aus nahem Schatten,

Ein Reh bricht durch, schon wird es birkenlicht,

Nun Krüppelhölzer, Honigduft  und Matten,

Aus weichem Grün starrt graues Urgeschicht,

Schneehaldenwind kommt nördlich hergewettert,

Das Land liegt da, der Gipfel ist erklettert.

 

Da steh’ ich, felsverstemmt, und lach’ der Stöße

Des Sturmbocks, der mich unentwegt berennt,

Und denk’ mir scherzend meine Mannesgröße

Vom Riesenmaß des Berges ungetrennt;

Ich spiele Atlas! Braunen Nackens Blöße

Strafft sich, als würde ihr das Firmament,

Das eherne Gewölb der Myriaden

Von kreisenden Gestirnen aufgeladen.

 

O, diese Lust der unbedingten Kräfte,

Die jeden Nerv und Muskel hier durchschwingt

Und aus dem Umlauf neubelebter Säfte

Zum Wipfel der Gedanken zeugend dringt!

Da wird zum göttlich spielenden Geschäfte,

Was sonst gehemmter Brust sich schwer entringt:

Wie erdentrückt der Geist sich auch gebärde,

Sein Ewiges kommt ewig aus der Erde!

 

Ja, Erde du, dich hab’ ich lang vermieden,

Vom Wahn und Reiz der großen Stadt betört!

Wieviel sie auch dem Lernenden beschieden,

Den Bildenden hat sie zumeist verstört;

Erst schlichter Landschaft gnadenvoller Frieden

Hat seiner Seele Zuruf angehört

Und ihn gelehrt, bekenntnisreiches Stammeln.

In klare Formen ordnend einzusammeln.

 

Nun dunkelt es; schon lösen hin und wieder

Sich Eulen schattenhaft von Baum zu Baum.

Sanft führt der Weg zum Dorf der Menschen nieder,

Schon Turmuhrklang, schon letzter Waldessaum,

Nun Dachgedränge, Gärten, Stimmen, Lieder!

Es trägt mich trunken heimwärts wie im Traum –

Die Kerze brennt, das Auge fühlt nach innen:

Mein Leben liegt vor mir! Ich kann beginnen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Zur Hochzeit

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Wenn mit der Liebsten, die dein Herz erkor,

Du heimlich-fern von Bechern und Altaren

Des Festes sein wirst und aus ihren Haaren

Die Myrthe lösest und den keuschen Flor,

 

Erschauern wird sie, wissend kaum wovor,

Und mädchenhafter Angst, es zu erfahren,

Senken den Blick und holde Scheu bewahren;

Du aber neigst dich flüsternd ihrem Ohr:

 

Sie haben dir den Lohn der Seligkeit

Für Keuschheit und Gehorsam prophezeit,

Für Fleischestod und geistige Kasteiung!

 

Doch du, mein Weib nun, lös den bösen Bann

In Lust und Lachen auf! Und ich, dein Mann,

Will lügenstrafen schnöde Prophezeiung!

 

 

 

Anton Wildgans 

1881 – 1932

 

 

Zuspruch

(Geschrieben um 1920, Erstveröffentlichung im Band „Gedichte“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 aus dem Nachlass herausgegeben von Lilly Wildgans)

 

Brauche alle Kraft zum Werke,

Frisch gegründet und gebaut!

Stumm geschieht die Tat der Stärke,

Doch geschehen spricht sie laut.

 

Nicht mit Worten sollst du kämpfen,

Wenn man dich mit Worten schmäht,

Scheelen Übermut zu dämpfen

Taugt das Werk nur, das besteht.

 

Dieses laß dir nicht vergällen!

Halt und Waffe ist's allein,

Und sie werden dran zerschellen

Wie die taube Nuß am Stein.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Zwiegespräch

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Nie bist du fröhlich, sprach die Liebste mein,

Nie sah ich dich von Andacht fromm beseelt.

Was ist es, das dein Blick so tief verhehlt?

Warum dein Lachen kalt und hart wie Stein?

 

In dieses blonde Köpfchen, fiel ich ein,

Hat nie der Zweifel grausam sich verfehlt;

Doch ich hohnlache über diese Welt

Seit meiner ersten Zweifel Qual und Pein.

 

Glaubst du denn nicht, sprach sie, an Gott, den Herrn,

Und an den Engel, der dein guter Stern?

Und gibt dir nicht die Hoffnung ihr Geleite?

 

Da sagte ich: mein Engel, der bist du,

Mein Glauben, meine Hoffnung, meine Ruh’! –

Doch sprich von Liebe und laß Gott beiseite.

 

 

 

Anton Wildgans

1881 – 1932

 

 

Zwiesprach

(Beendet am 3.6.1911 in Mönichkirchen; Erstveröffentlichung im Gedichtband „Und hättet der Liebe nicht“ 1911; Anmerkung von Lilly Wildgans: Während der ihn versehrenden Jahre seiner Jugend, zumeist unter dem Eindruck des grausamen Ver­falls des Vaters stehend, der mutmaßlich an einem Tumor im Gehirn mit Lähmungserscheinungen litt, brach sich in dem Frühgereiften, Vereinsamten mit einer wahrhaft elementaren Kraft die Sehnsucht nach Verstanden- und Befriedetwerden durch einen aufgetanen Menschen Bahn )

 

Herr in der Wirrnis dieses Daseins gib

Mir einen Menschen, einen! Aller Trieb

In mir verdorrt sonst, alles Licht verschwelt,

Und tastend in der ungeheuren Nacht,

Von Träumen und Gesichten müdgequält,

Vergehe ich vor Deiner Übermacht.

 

Ich bin mit meinen Träumen zu allein.

So nimm sie lieber und verhäng das Licht

In mir, wenn Du den einen nicht

Mir geben willst. Denn ohne Widerschein

Auf einem Menschenangesicht

Bin ich nicht stark genug, zu sein.

 

Wozu ist diese Seele eingehaucht,

Die ordnet und bewahrt, was flüchtig je,

Wie Vogelschatten über einen See

Im Fluge gleiten, in sie eingetaucht –

Wozu ist diese Seele eingehaucht - ? –

Sieh deine Tiere, Herr. – Muß sie mein Traum

Denn nicht beneiden?! Angehäufter Qual

Sind unsre Sinne voll, gedankenfahl

Die Stirnen uns, für die Dein Weltenraum

Unendlich ist, nur weil ihn eine Zahl

Nicht ausdrückt.

 

Doch deinen Tieren ist ein Baum

Noch eine Welt, ein Sonnenstrahl!

Und wenn es Nacht wird, hebt das leise Reh

Behaglich sich von kühler Blätterstatt,

Hintrollend, wo des Mondlichts zarter Schnee

Auf Blumen liegt und würzig-süßem Blatt.

Oh stilles Äsen, arglose Gebärde

Des schlanken Halses, innig hingebeugt

ins feuchte Gras, in Tau und Duft der erde,

Indes der starke Bock, der Herr der Herde,

Daß er des Friedens tiefer inner werde,

Das Haupt erhebt und in die Ferne äugt.

 

Und wir, was haben wir statt dessen, wir?

Ein trüber Gott der Geist, dem dumpfen Tier,

Das Fleisch heißt, angeschmiedet – unser Leib

Krank am Bewußtsein – Mann und Weib,

Getrennt durch Welten, aber immer wieder

Einander hetzend in verkrampfter Glieder

Fragwürdige Gemeinsamkeit und Lust.

Die Einsamkeit als das, was Wunder tut,

Erkennen wir und werden durch das Blut

In uns getrieben, niedriger Geselligkeit,

Liebloser, in die Arme.

 

Da leben wir und bauen Herd an Herd

So nah einander, daß des Pflügers Schweiß

In Nachbars Furche fällt, und keiner weiß

Vom anderen, was ihn zu tiefst beschwert.

Und in den Städten, so Du übers Land

Gebracht wie eine Krankheit und wie Brand,

Der um sich frißt in das Gesunde der

Wiesen und Saaten – wie in einer Wunde, Herr,

Nisten wir da, Schicksal an Schicksal, Wand an Wand.

 

Und alle sind wir in der Stunde der

Prüfung allein – und wie die Hunde her

Hintereinander, wenn es gilt, Gewinn

Und Vorteil zu erjagen oder Lust!

Da brechen die Gesetze ein zu Wust

Und Wirrsal ohne Kraft und Sinn

Und leihen sich zum feilen Bunde her

Dem Stärkern, und die Schwachen mäht es hin.

 

Aber die Liebe führen wir im Bunde, Herr - !

 

Ich bin so wirr, Herr, weiß es. Stammeln nur

Kann ich, weil es zu viel ist, was sich mir

Entringen will. Ich bin ja doch mit Dir

So selten im Gespräch, ich Kreatur

Mit Dir! – Gib diesmal eine Spur,

Ein Zeichen, daß ich weiß – Denn alle Qual

Hast du auf mich gehäuft, mitleidend sie

Zu sehn, in Worte einzufassen sie –

Heilloses Können – Worte sind so schal!

So gib mir einen Zauber wider sie –

 

Die Menschen sagen Arbeit – Ist es dieses,

Wirklich nur dieses? – Wälzt denn nicht

Mein dürstendes Gehirne täglich schwer

Den Steinblock von der Tür des Grabverließes?!

Und immer fand ich Christi Grab schon leer.

Und ist denn jenen andern Arbeit mehr,

Als daß sie festverbissenen Gebisses

Täglich vergeuden sich an ein Gewisses,

- An Ungewisses glauben sie nicht mehr –

Bis ihnen Schweiß, der in die Augen rinnt,

Das Licht verklebt und sie erblindet sind.

 

Ich will nicht rechten, Herr, ich bin ja nicht

Besser als andre. Nur in mir dies Licht,

Von Dir dies Licht verzehrt mich alle Tag

Und Nacht – So lösch’ es aus, ein leiser Schlag

Von deiner Hand reicht hin, daß es zerbricht.

Oder gib einen, dem ich meine Glut und

Liebe aufladen kann wie eine Pflicht,

Einen, der starke Schultern hat, der tut und

Nicht Worte macht! Und ich will ihm Gesicht,

Gehör will ich ihm sein und Blut und

Wille, und all mein Werk sei sein!

 

Denn ohne diesen, Herr, ist mein Gedicht

Tönendes Erz nur und das Ungeheure

In mir, daß auf zu Deinen Sternen zeigt,

Wird Stein in mir, wird Stein --

Gott schweigt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Zwölf Bleistifte

(Geschrieben April 1913, Erstveröffentlichung im Band „Zeit und Welt“ der achtbändigen Ausgabe „Anton Wildgans – Sämtliche Werke“ 1948 – Anton Wildgans:„Aber jene anderen kleinen dankbaren Freudigkeiten will ich nicht vergessen, derer ich im Alltag fähig bin. Ich erhalte von meiner Frau zwölf wohlgespitzte Bleistifte als Geschenk; meine Freude darüber ist innig und groß.“ - Anmerkung von Lilly Wildgans: Die kleine Welt seiner ihn umgebenden Gegenstände war für den Dichter voll von Herzensbeziehungen, und er ver­mochte viel Dankbarkeit aufzubringen für ein liebevolles Verstehen dieser seiner Bindung zu den Dingen)

 

Zwölf Bleistifte hat mir jemand gebracht

Und heimlich auf meinen Schreibtisch gelegt.

So hat jemand liebend meiner gedacht

Und meine Seele ganz in seine Seele gehegt,

Denn anders wird niemanden Freude gemacht.

 

Solch ein Bleistift, ein Ding aus Holz und Graphit,

Wenn ich ihn tief in meiner Lade verwahre,

Überlebt er sicherlich meine Jahre.

Und ein anderer, jenseits meiner Bahre,

Stöbert ihn auf und nimmt ihn gelassen mit.

 

Und schreibt seines Alltags flüchtige Merken

In irgendein Büchlein oder gefaltet Papier.

Aber mir

Wär´ er Vollstrecker von neuen Werken

Geworden und der Entfeßler schlummernder Stärken.