Anton Wildgans
Österreichischer Lyriker und Dramatiker 1881 - 1932
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Sonette an Ead
Sonette aus dem Italienischen
Liste der Gedichte zeitlich geordnet

Sonette aus dem Italienischen

Über SONETTE AUS DEM ITALIENISCHEN von Anton Wildgans

 

Aus: Handschriften %u „Sonette aus dem Italienischen", Nachbemerkung.

 „Aus vielen Büchern und Heften zusammengetragen sind diese Sonette nach italienischen Dichtern und wollen nicht weniger sein als Belege zur Literaturgeschichte. Was gesucht und gefunden wurde, sind - gleichviel wer der Autor ist - nur solche Gedichte, der eigenen Art des in deutscher Sprache Nachformenden, so verwandt und nah, dass er sie gleichsam nur durch den Zufall mangelnden Anlasses oder nicht festgehaltener Stimmung selbst zu schreiben unterlassen hatte. Nur solche Gedichte konnten auf ein Maß des Einfühlens und Nachbildens rechnen. In diesem Sinne Nachdichten heißt: die Musik eines fremden Sprachgebildes in die Musik der eigenen Mutterlaute übertra­gen. Nicht mehr und nicht weniger. So handelt es sich um ein höchst persönliches Unternehmen, [das] als solches schon gekennzeichnet ist durch die Auswahl und durch die Spannweite des eigenen Empfindens. Es sind nicht Übersetzungen im landläufigen Sinne, obwohl sich der

Verfasser bemühte, Anforderungen, die man an solche zu stellen be­rechtigt ist, nicht zu vernachlässigen. Wörtlichkeit ist überall angestrebt und wurde nur dort außer acht gelassen, wo das, was in der fremden Sprache noch Maß ist, in der deutschen Übermaß oder weniger als Maß wäre. Immer aber war es wichtigste Sorge, dass nichts an Musik verloren ginge. Ihr wurde jedoch niemals der Sinn, und Bild und Gleichnis geopfert."

 

Aus: Brief an seine Frau, Mönichkirchen, 1. Mai 1923.

 „... Ich habe schon ein Dutzend Sonette übertragen, und mit jedem wächst meine Gewandtheit. Ich habe mir nun auch andere moderne Italiener (Carducci und Fogazzaro usw.) bestellt und hoffe, einen sehr schönen Band zusammenzubringen. Die Gedichte haben einen für un­sere gegenwärtige deutsche Literatur ganz eigenartigen kühlen und hel­len, klaren Ton und entsprechen einer Seite meiner eigenen Veranlagung, die von der Poesie der lateinischen Rasse fast mehr ange­zogen wird als von der der germanischen ..."

 

Aus: Brief an Giovanni Necco, Grado 15. Oktober 1924.

 „... Bei den ,Sonetten aus dem Italienischen', die Sie in spätestens einem Monat bekommen werden, ist mir nichts Philologisches oder Literaturgeschichtliches vorgeschwebt. Ich habe aus der reichen Fülle von Sonetten nur jene genommen und nachgeformt, deren Erleb­nisinhalt sich mit eigenen inneren Erlebnissen berührt. So habe ich letzten Endes durch fremde Gedichte doch wieder nur mich dar­gestellt.

Wo ich konnte, habe ich mich treu an das Original gehalten, aber immer ist mir als Hauptziel vor Augen geschwebt, den lateinischen Wohllaut der Gedichte in germanischen, die italienische Musik in deut­sche Musik zu übertragen und dadurch den deutschen Menschen ver­traut und zugänglicher zu machen. Wo es galt, die musikalische Wir­kung eines Sonettes zu erhöhen, habe ich mir wohl erlaubt, dieses oder jenes aus eigenem hinzuzufügen. Aber dies ist auch die einzige Eigen­mächtigkeit, derer ich mich schuldig weiß.

Die Beschäftigung mit den wohlklingenden italienischen Formen, die schlichte Natürlichkeit und Menschlichkeit dieser Poesie hat auf mich unendlich wohltuend gewirkt und mich in meiner eigenen Art be­stätigt ..."

 

Aus: Brief an Dr. Josef Kluger, Prälat von Klosterneuburg, 27. November 1924.

„... Diese Sonette italienischer Dichter, die ich durch Zufall kennen lernte, haben in meinem geistig-psychischen Leben eine bedeutsame Rolle gespielt. Nach den furchtbaren Erfahrungen meiner Burg­theaterzeit waren die Grundfesten meines Wesens erschüttert, jeder Glaube an Recht und Rechtlichkeit der Menschheit gewichen und in mir Stimmungen aufgekommen, die mir jede ideell gerichtete Arbeit als zwecklos, ja als lächerlich erscheinen ließen. Man mag über mich als Autor denken wie man wolle, eines glaube ich mir zubilligen zu müs­sen: dass es Menschenliebe war, die mir früher einmal den Impuls zu schaffen verlieh. Dieser Menschliebe mangelte plötzlich das Objekt, und so schien ich mir selbst ad absurdum geführt und als ein Illu­sionist, der von Dingen geträumt hatte, die in dieser Welt nicht möglich sind. Damit waren aber auch Jahre hindurch die Quellen aller Schaf­fenskraft und -lust verschüttet. Da gaben mir diese fremden Dichtun­gen Gelegenheit, wieder wenigstens mein formales Können zu erpro­ben; und die dadurch wieder gewonnene, oder besser gesagt, wieder bewusst gewordene Freude am Handwerklichen half mir über die psychi­schen Hemmungen hinweg. All dies ist in dem Prolog an die Unbe­kannten angedeutet; und so habe ich persönlich alle Ursache, diesen italienischen Sonetten dankbar zu sein. Vielen Dank erwarte ich mir für diese Arbeit von niemanden und nirgends. Die Misswollenden werden sie dadurch zu degradieren versuchen, dass sie sagen, es seien 'nur' Übersetzungen, und die eigentlichen Kenner, die es wissen, wie viel Kunst der Einfühlung und der Sprache in solcher Arbeit steckt, haben nicht die laute Stimme, um solches Wissen entscheidend in die Waagschale zu legen. - Es hat aber zum Glück jede ehrliche Leistung ihren Lohn in sich, und mit dem will ich mich auch diesmal gerne be­gnügen ..."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

SONETTE AUS DEM ITALIENISCHEN

Anton Wildgans

1881 – 1932            

 

 

Prolog an die Unbekannte

(Geschieben 1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924 als Vorgedicht)

 

Wenn abendlich geliebte Lampenhelle

Den ernsten Umkreis später Rast begrenzt

Und von den Borden dämmernder Gestelle

Gedämpftes Gold der Bücherreihen glänzt,

Berührt mich oft die geisterhafte Welle,

Die Sinnenkraft zum Übersinn ergänzt,

Und ahnungsvoll bin ich in solchen Stunden

Euch Unbekannten durch Magie verbunden.

 

Wer seid ihr Fremden, die mich tiefer kennen

Als mancher Traute, der mich schaut und spricht?

Wer seid ihr Dunkeln, die an mir entbrennen

Wie Sehnsucht nachts an einem fernen Licht?

Wer seid ihr Lauten, die mich werbend nennen,

Ihr leise Wissenden um ein Gedicht,

Für die, aus Lieb- und Leidesasche glimmend,

Mein Fünkchen Wahrheit tröstend und bestimmend ?

 

Und wer bin ich?  Vielleicht aus euren Lungen

Gesammelt nur ein Odem, der beseelt?

Bin ich der vielen ungelösten Zungen

Die Rede nur, die ihr mir anbefehlt?

Bin ich nur Wehruf eurer Kreuzigungen,

Nur Klarheit dessen, was sich euch verhehlt?

O wie ein Auge, streng auf mich gerichtet,

Forscht ihr in mir und heischet und verpflichtet!

 

Geheimnis diese Macht vom Kern zum Kerne,

In fremdem Schicksal dies Bedeutsamsein!

Als wirkten weltverstreute Brudersterne

Einander fühlend und bedingend ein,

Als wären keine Körper, keine Ferne

Und wir noch unzerteilter Widerschein

Des großen Vaterlichts, das wir verloren,

Als uns ein Weib zur Finsternis geboren ...

 

Schwül ist die Nacht, in dumpfes Wipfelrauschen

Entschlummert schon der Vorgewitterwind!

Nun ruht die Luft, und dunkle Wolkenbauschen

Verhängen stumm die Sterne, die noch sind.

Ein Atemhalten und gebändigt Lauschen

Der durstgequälten Schöpfung!  Da beginnt,

Verkündigend erquickungsreiche Feuchten,

Am Horizont erregtes Wetterleuchten.

 

Und jetzt Erlösung! Wie wenn Wehre brächen,

Die allzulang das Labsal rückgestaut,

Vergießt der Himmel sich in Freudenbächen

Und lacht dazu mit hellem Donnerlaut,

Bis über sattgetrunknen Wiesenflächen

Die ausgestirnte Wölbung wieder blaut

Und wonnevoll aus Erden und aus Lüften

Lobopfer quillt von unsagbaren Düften ...

 

So litt auch Seele in bedrängtem Schweigen,

Denn herb war dieser Laufte Not und Streit,

Doch herber noch die Scham, Gefühl zu zeigen,

Wo jeder Harlekin der Menschlichkeit

In grellen Flicken, wie bei Jahrmarktsgeigen

Sein dürftig Ich in alle Ohren schreit

Und der Gemeinsinn nur sofern am Werke,

Als er den Sinn für das Gemeine stärke.

 

Da fiel ein Klang ein aus besonntem Räumen,
Von strenger Maße edlem Zwang betört,
Und lockte, seinem Träumen nachzuträumen,
Durch Tages Lärm und Wirrsal unverstört.
Und Gnade ward dies willig Sichversäumen
Und in der Zeit, da jeder sich empört,
Gegebner Ordnung fromm sich anzuschmiegen
Und dienend eignen Aufruhr zu besiegen.

 

Und aufgelockert Gottes Samenwürfen,

Ein Frühlingsacker, hingedehnt und groß,

Begierig, allen Segen einzuschlürfen,

Lag Seele wieder tiefstem Wirken bloß.

O wieder Gutsein, wieder Fruchten dürfen!

Schon regte sich geheimnisvoll ihr Schoß!

Und hingegeben anderm Sein und Sinne,

Ward sie der unverlernten Eignung inne.

 

Und so, ihr Brüder stummen Geisterordens,

Ihr dunkeln Augen, die ihr heischend schaut,

Geschah im Nachhall allgemeinen Mordens

Dies kleine Werk, das Demut aufgebaut:

Musik des Südens als Musik des Nordens!

Aus fremden Herzen fremder Menschenlaut,

Verwandelt und erhöht zur eignen Sache

Kraft Herrlichkeit und Macht der Muttersprache !

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

An den Schlaf

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.4.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giuseppe Parini 1729-1799, Italien)

 

O, sanfter Schlaf, der du auf zarten Sohlen

Durchs Dunkel herkommst, keinem Wesen fehlend,

Und alles Erdenweh und Menschenelend

Begütigest mit freundlichen Idolen,

 

Dort, wo die Liebste, sichrer Hut befohlen,

Entschlummert ruht, den kühlen Pfühl beseelend,

Mal’ du in ihren Traum ein friedenstehlend,

Ein schrecklich Bild mit allen Leids Symbolen.

 

Und so mir ähnlich mögest du’s vollenden,

Und solche Blässe künde meine Pein,

Daß sie erwachend muß Erbarmen spenden.

 

Und ließest du mir Dieses angedeihn,

Will ich dir schweigend und aus leisen Händen

Zwei neue Kränze frischen Mohnes weihn.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

An die Amme meines Kindes

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giovanni Chiggiato 1876-1923, Italien)

 

Und Traurigkeit, urplötzlich, schattenhaft,

Trübt deinen Blick und läßt ihn heimlich blinken,

Indeß dem Kind schlafmüd die Lider sinken,

Das Kinn noch feucht vom guten, starken saft.

 

Du liebst es nicht und spielst nur Mutterschaft,

Wenn du ihm lächelnd gibst aus dir zu trinken,

Doch deinem Schmeichelwort und Augenwinken

Versagt der Ekel die Verstellungskraft.

 

Ich weiß, woran du denkst: ein fernes Tal,

Ein Haus und drinnen eine Wiege; Wind

Pocht an das Dach, und Schnee fällt manchesmal.

 

Doch bald ist Mai! – Nur daß indeß mein Kind

Aus dir nicht trinke Sehnens Lust und Qual,

Fürs Leben als ein töricht Angebind!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

An ein blindes Mädchen

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

O sei nicht traurig, liebes Angesicht,

Weil dir verwehrt ist, unsre Welt zu schauen;

So hold, wie deine Träume sie erbauen,

So heiter, arme Blinde, ist sie nicht!

 

Der freche Hohn, der uns aus Augen sticht,

Das geile Tier im Schatten unsrer Brauen,

Der Roheit und Verderbnis ganzes Grauen

Verging für dich mit deinem Augenlicht.

 

Vergiß die Gaukelbilder, die du träumst!

Bewein den Anblick nicht, den du versäumst!

Wer an die Schönheit glaubt, ist wahnbesessen.

 

In Grases Grün und Blühens Tausendfalt

Birgt sich der Kröte ekle Mißgestalt –

Glücklich die Augen, die das Licht vergessen!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Antike Szene

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 25.7.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Die Brüste bloß, das blonde Haar gefacht

Vom Sturm des Fest’s, zu dem ein Gott geladen,

So irrest du an heiligen Flußgestaden

Und riefst Adonis! sehnend in die Nacht.

 

Dann, tief in Ähren, golden überdacht,

Sangst du ein Preislied auf der Ceres Gnaden,

Dann wieder, als die Tollster der Mänaden,

Gabst du dem Tag der Lenden nackte Pracht.

 

ich aber folgte Fackeln und Gesang

Und hetzte dich, indes ich brennen fühlte

Vom Gott das Blut, das mich zu dir hin zwang.

 

Bis ich dich hielt, mich in dein Haar verwühlte,

Dein Sträuben auf den Rasen niederrang

Und meinen Durst an deinen Lippen kühlte!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Apostrophe

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 10.6.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Wir sind das trunkne Rasen der Bacchanten,

Die heilige Verzückung der Asketen,

Wir sind die Märtyrer und die Propheten,

Die Wegbereiter und Vorausgesandten.

 

Wir sind die Erdennahen und Emporgewandten,

Der Liebe Wissende und Exegeten,

Und nur aus uns Erwählten und Poeten

Brausen die Hymnen, die vom Geist entbrannten.

 

Ihr Händler, Wechsler und Geschäftemacher,

Verhöhnt gefährlichere Widersacher!

Und ist der Sinn für Wucher nicht verliehen.

 

Fälscht weiter Waren, Maße und Gewichte!

Doch uns gestattet, Rosen und Gedichte

Dem Schacher mit Gewürzen vorzuziehen!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Aufstieg

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giuseppe Parini Zucca, Italien)

 

Stein sind die Stufen, steil und unbehauen!

Und ob sich dieser zitternd krümmt hinan

Und jener, Morgenröte auf den Brauen,

Den Erzschritt aufrecht setzt, was liegt daran ?

 

Hinauf, hinauf! Und ob, von Schwindels Grauen

An Schläfen matt, ein andrer stürzt — wohlan,

Es schweige Wehgeschrei von Klagefrauen

Und Schwächlingen!   Was ist damit getan?

 

Ich sage euch: Dies ist nur Opferpflicht!

Was liegt daran bei solchem großen Wallen,

Ob der und jener in die Kniee bricht?!

 

Wenn einer nur für alle und von allen

Dort oben ankommt, wo im Gipfellicht

Die Schleier vom Gesicht der Wahrheit fallen!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ausklang

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 10.6.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Den Beifall kenn’ ich und den Hohn der Menge,

Den Schmeichelton und Faustschlag ins Gesicht,

Weiß um die Gifte, die man denkt und spricht,

Und um die Ruhe der Gewissensstrenge.

 

Ich kenn’ die Blutspur mancher Leidensgänge,

Und auch den Weg der Freude mied ich nicht;

Ich schlürfte bis zum Grund und stell’ nun schlicht

Den Becher hin, an dem ich nicht mehr hänge.

 

Und dennoch, wenn ich mich zurückbesinne

Durchmessnen Weges und vergangner Zeit,

Werd’ ich in mir nur heitern Friedens inne.

 

Ein leichter Rauch, zu Höhen flugbereit,

Blieb mir die Seele wie vom Anbeginne,

Und Bechers Neige ist nicht Bitterkeit.

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Das Nest

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.4.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giovanni Pascoli 1855-1912, Italien)

 

Im kahlen Rosenstrauche hängt ein Nest.

O, einst im Lenz, wie quoll daraus und drang,

Wenn Atzung war, geschwätziger Überschwang

Zwitschernder Brut, erfüllend das Geäst!

 

Nur eine Feder blieb als armer Rest

Und haftet, vor dem Raub der Lüfte bang,

Gleich einem Traume, den die Seele lang

Festhalten will und endlich doch entläßt.

 

Und zu der erde wendet sich die Schau

Vom Himmel ab, wo längst kein Liederklang

mehr strahlend aufsteigt und zerstiebt im Blau.

 

Verweht von welken Laubes Niedergang

Sind alle Gründe. Durch das ewige Grau

Weint wie in Wellen weher Windgesang.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Der Ochse

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 25.7.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giosue Carducci 1835-1907, Italien)

 

Dich lieb ich, frommes Tier! Dein sanftes Bild

Strömt Kraft und Ruhe meinem Herzen ein.

O feierlich, ein Denkmal, wie aus Stein,

Stehst du und schaust in’s fruchtbare Gefild.

 

Wie beugst du dich dem Joch gefaßt und mild,

Gewandter Menschen schwerer Knecht zu sein!

Sie schlagen, schelten dich, doch alle Pein

Stört deinen Gang nicht, macht den Blick nicht wild.

 

Aus deinen Nüstern, dunkel, feucht und breit,

Wölkt Atems Dampf, wie Aufgebot zum Tanz

Jauchzt dein Gebrüll, in klare Luft befreit.

 

Und in der Augen herbem, süßem Glanz

Spiegelt die Welt sich ruhig, ernst und weit:

Göttlicher Frieden ebnen grünen Lands.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Der Schatten

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giosue Carducci 1835-1907, Italien)

 

Ich bin nicht einer, der bei Freundesmahlen,

Im Rausch des Weines Lust und Kurzweil sucht;

Mir lebt ein starrer Geist in harter Zucht,

Und meine Stunden sind voll Ekelsqualen.

 

Der Zorn nur stärkt mein Herz aus bittern Schalen,

Zum Flammentod in eigner Glut verflucht;

O meiner Hoffnungsjahre grüne Bucht,

Wie sah ich all dein Blühen früh verfahlen!

 

Selbst der Gedanken rege Schöpferkraft

Ist mir zur Zeit versiegt, und stumm belauern

Die leeren Tage mich gespensterhaft.

 

Nur einen Schatten fühl ich mich umtrauern;

Der ist voraus auf dunkle Wanderschaft

Und ruft mich nieder zu den kühlen Schauern.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Die Brücke

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.4.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giovanni Pascoli 1855-1912, Italien)

 

Den Himmelsrand verbrämt grüngoldne Helle

Des Monds und löset Flur und Fluß aus Nacht.

mit Lauten, die wie Schluchzen aufgefacht,

Am Brückenpfeiler bricht sich Well’ um Welle.

 

Wo ist das Meer, das ruft? Wo ist die Quelle,

Die zwischen Gräsern murmelt? Welche Macht

Trägt dieser Wasser überglänzte Fracht

Zum fremden Meer von fremder Berge Schwelle?

 

Nun geht der Mond auf; die Zypressen biegen

Die Wipfel leis’ am düstern Saum des Stroms,

Einander flüsternd in den Traum zu wiegen.

 

Flutenden Silbers, schimmernden Aroms,

Ruht das Gewölk, das unsichtbar erstiegen

Die blaue Leiter des kristallnen Doms.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Die Kunst verfluch ich ...

(1923 - Unveröffentlichtes „Sonett aus dem Italienischen“, Erstveröffentlichung in „Tiefer Blick“ 2002 von Evelyn A. Hahnenkamp)

 

 

Die Kunst verfluch ich, die bisher mein Fall

und werde ihr Verräter und Verächter!

Ich will ein frommer Hammel sein im Stall

und Madrigale blöken für die Schlächter.

 

Keusch will ich dichten, wohlfeil und banal

für amtlich angestellte Tugendwächter

und beichten gehen jeden Tag dreimal,

ob sündig oder nicht, als ein Gerechter.

 

Mit meiner Phantasie in hehrer Brust

aus rein platonisch-idealem Samen

will ich ein Kind erzeugen, mit Vergunst.

 

Und küss ich fürder, sei's in Cherubs Namen,

und schreib ich fürder, sei's moralische Kunst,

nun sagt mir, was das ist, ihr Herrn und Damen!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Die Wallfahrtskirche

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giovanni Pascoli 1855-1912, Italien)

 

Wie eine Arche fremder Düfte steht

Das Heiligtum auf schroffer Felserhebung,

Verhauchend noch Gesänge und Gebet

Ins Piniengestämme der Umgebung.

 

Vom Zittern, das durch seinen Dämmer geht,

Wenn nachts in bläulich-zarter Flockenschwebung

Der Weihrauch aus gestrenger Apsis weht,

Erschaudert’s noch in göttlicher Erhebung.

 

Darüber wölbt sich leuchtend Himmelspracht,

Hoh über Hügeln, die sich ferne neigen,

Hält schon das Bildgestirn des Wagens Wacht.

 

Und mit den Schatten, die nun wachsend steigen,

erhebt ein Wasserfall die Stimme sacht –

Sehnsüchtig seufzend durch das ernste Schweigen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Ende eines Tages

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giovanni Chiggiato 1876-1923, Italien)

 

Errechne, wem’s gefällt, zur Feierstunde

Aus Ziffernzeilen, was der Tag ihm trug!

Ich steig hinauf, wo Licht noch stark genug,

Daß es die Seele vom Verdruß gesunde.

 

O lesebrauner Reben Hügelrunde,

Beflammt von Leuchtens letztem Atemzug,

Und fabelhafter Formen Bilderflug,

Aus Wolkengold gemalt auf Silbergrunde!

 

Nur Kinderjubel dringt in meine Ruh

Von Dörfern auf, die abendlich geborgen,

Und Zwiesprach ferner Glocken ab und zu.

 

Und du, o Tag des Lärms, der Qual, der Sorgen?

Und, die du eben schiedest, Sonne du,

Ist Welt jetzt wirklich besser als am Morgen?

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Erlösung

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.6.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Hinauf, hinauf, wohin uns steil und weit

Kein Wünschen, noch so kühn und glühend, trüge,

erhebt sich einst zum glücklichsten der Flüge

Die müde Seele, vom Gefühl befreit.

 

Hinauf, hinauf, wo Sterne dichtgereiht

Befestigen das glitzernde Gefüge,

Fliegen wir dann in innigster Genüge

Wie Fünkchen Lichts in die Unendlichkeit.

 

Wir fliegen, fliegen hin zu ewigem Fest,

Schimmernde Geister, die kein Erdenrest

Mehr niederzieht zu irdischem Getriebe.

 

Versinken wird, was wir geirrt, gefehlt;

Und wie ein Traum verschwimmt das Bild der Welt,

Wo Haß ein Balsam war und Gift die Liebe.

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Giovedi grasso

(1923 - Unveröffentlichtes „Sonett aus dem Italienischen“, Erstveröffentlichung in „Tiefer Blick“ 2002 von Evelyn A. Hahnenkamp)

 

 

1.

Und als der Tag langsam herangeblasst

Durch düstern Himmels graue Nebelmassen,

Ward letztes Licht gelöscht in allen Gassen

Und letzter Tanz getaumelt und gerast.

 

Die Masken nun von Müdigkeit erfasst

Mit überwachten und verdunsenen, blassen

Gesichtern, ganz in Schmutz und Schweiß zerlassen,

Schleppten sich schwankend fort wie schwere Last.

 

Pierrot, zerfetzt, gespenstisch abgezehrt,

Vom Rausche halb und halb vom Schlaf versehrt,

Schien dennoch Reue mehr und Trauer.

 

Doch Colombine ihm zur Seite, stößt

Ihn plötzlich an und lallt: „Gib acht... mir wird ..."

Und schon erbrach sie sich an einer Mauer.

 

2.

An seidenen Fetzen sprang der Wind hinein,

Biss kalt ins Fleisch und fröstelte die Glieder

Indes vom Kinn herab bis unters Mieder,

Ihr das Gebrochene in Strömen rann.

 

Pierrot fuhr auf, sah sie betreten an

Und hüstelte halbwach: Was gibt's schon wieder?

Und sich beschauend und zum Boden nieder

Begriff er langsam, was das Weib getan.

 

Allein die Maske, die indes zu Ende,

Rieb eilig, weil sie anderes nicht fand,

Mit ihrem Spitzentüchlein Brust und Hände

 

Und dann, ein wenig wieder bei Verstand,

Entbrach ein Lachen den verzerrten Zügen

Und kreischend rief sie: „Ach, welch ein Vergnügen!"

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Heloise

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 7.9.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

O blasse Heliose, o Zeit, wie weit!

Da fand auch ich in Nächten deine Zelle,

Und meines Herzens urgeheimste Schwelle

Erschloß ich dir, die mir gebenedeit.

 

Wie schmiegte sich dem klösterlichen Kleid

Folgsam des Busens mädchenhafte Welle!

Und wie, durchirrt von Blutes schneller Quelle,

Bebte dein Wort, dein Leib Ergriffenheit!

 

Die grauen, schweren Schatten müder Lider

Erhielten damals andern, süßen Sinn:

Nicht Tugend mehr, nur Wonne immer wieder!

 

Auf weichem Altar, heitre Priesterin,

Gabst du das Opfer der enthüllten Glieder

Lächelnd der Liebe deines Dichters hin.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Idol

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Wie ein Erinnern, das schon fast dahin,

Wie frühes Trachten, von der Zeit beschwichtet,

Wie eine Leidenschaft, die längst geschlichtet,

So tratest du im Traum vor meinen Sinn.

 

Und gabst dem Blut, daß ich von neuem bin,

Dem Herzen Glut, die wandelt und verrichtet,

Und hast der Hoffnung wieder mich verpflichtet,

Der Totgeglaubten, der Verführerin.

 

Um deineswillen könnte sich erheben

Der Geist vom Faulbett, wo ich ihn vertan,

Und lauschen deiner Schritte Näherschweben.

 

Für dich erwüchs’ mir wieder Kraft und Plan,

Dem Werke mich, dem Leben hinzugeben –

Du aber gehst und siehest mich nicht an.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Komödie

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giuseppe Parini Zucca, Italien)

 

Der Zettel kündet grell: Ein Stück zum Lachen!

Der Titel: Leben! Nur in einem Akt!

Personen: Hunde.  Und man lacht sich nackt,

Viel mehr, als die Plakate es versprachen.

 

Und auf der Bühne immer tollre Sachen!

Da stockt das Spiel! Und Aug' um Auge flackt,

Wie jäh von Abgrunds Schwindel angepackt.

Fiel's dem Souffleur ein, sich davon zu machen'

 

Nicht doch. Nur eine Alte tritt geräuschlos

Zum Saal herein.  Ein schwarzer Flor umwellt

Das Haupt, das haarlos, die Gestalt, die fleischlos.

 

Ich sah sie oft, von Dürer dargestellt.

Und schrill aus ihr bricht lachendes Gekreisch los!

Da schluchzt das ganze Haus. Der Vorhang fälllt.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Magisches Porträt

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giuseppe Parini Zucca, Italien)

 

Mann oder Weib?  Weiß Gott. Dies Konterfei

Gibt eines Menschen Antlitz nur in Resten

Und hält den Zweifel, den es weckt, zum besten:

Ist dies ein Papst? 'ne Hure? Ein Lakei?

 

Jetzt blickt es Leid!  Doch sieh, es grinst dabei!

Und sein verjährtes schimpfliches Gebresten

Verdeckt es mit theaterhaften Gesten.

Es lebt!  Genug!  Warum, ist einerlei.

 

Und dieser Molch, zu Ja und Nein bereit,

Dies Schreckbild, dieses Spottgesicht ist so,

Daß es uns äfft durch viele Ähnlichkeit:

 

Sah nicht ein Freund so aus, ein Weib, ein Feind?

Ein Lebender, ein Toter irgendwo? —

Doch schau genau! — Bist du nicht selbst gemeint?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Nacht

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Unheimliche Magie der tiefen Nacht

Verstört mein Hirn, durchströmt mir die Tunnele

Des Bluts. Ein Hauch geht über meine Seele,

Ein kalter Hauch mit Schauderns Übermacht.

 

Im Freien hört das Ohr, das spähend wacht,

Seltsam Geraun, und Grauen schnürt die Kehle;

Doch in den Häusern fronen dem Befehle

Des Schlafs die Menschen, der vergessen macht.

 

Nur fern, aus Straßendunkel hergewendet,

Vorhanggedämpft ist wo ein Licht entfacht,

Das stillen, matten Schein herübersendet.

 

Beleuchtet dieses Lichtes späte Wacht

Den wilden Krampf, in dem ein Leben endet,

Oder den Taumel einer Liebesnacht?

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Schweigen der Nacht

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giosue Carducci 1835-1907, Italien)

 

O tiefe Nacht, die weit und einsam blaut,

Sichtbarer Schlaf du der erschaffnen Welten

Auf öden Höhn, wo böse Wetter schelten,

Und auf der erde, die der Mensch bebaut –

 

Und Schatten ihr, von keuschem Licht betaut,

Und Himmel du mit glitzernden Gezelten,

Formen des Lichts, die unserm Schicksal gelten,

Ihr, allen Wesen mystisch angetraut –

 

Und du auch, Pilgrim silberner Gefilde,

Der seiner Strahlen klares, bares erz

Auf jede Brust legt mit der selben Milde –

 

O sagt, was soll dies Sehnen rätselwärts

Uns arme Gilde irdischer Gebilde?! –

Doch ihr bleibt ohne Regung, ohne Herz.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Selbstbildnis des Dichters

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.4.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Ugo Foscolo 1778-1827, Italien)

 

Gefurcht die Stirn, tiefliegend-scharf der Blick,

Fuchshaarig, Wangen welk, ein kühn Gesicht,

Heißfeucht der Mund, die Zähne blank und dicht,

Breitschultrig, Haupt geneigt, ein stolz Genick.

 

Der rechte Wuchs, die Tracht von edlem Schick,

Gang, Denken rasch, die Rede kurz und licht,

Rechtschaffen, menschlich, nüchtern, nobel, schlicht,

Abhold der Welt und unhold mir das Glück.

 

Des Worts bisweilen, oft der Tat ein Held,

Einsam zumeist, doch stets in Leid und Last;

Beweglich, zäh, jähzornig, hastgequält.

 

An Fehl und Vorzug reich, Enthusiast

Kühler Vernunft und doch gefühlsbeseelt,

Gilt es, zu tum. Im Tod erst: Ruhm und Rast!

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Sommerliebe

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Wir liebten uns, als blauer Lüfte Schweigen

Und Sonnenglut auf blonden Ähren lag.

Die Eichen schatteten mit breiten Zweigen,

Wo deine Lust bacchantisch meiner pflag.

 

Die süßen Schwüre, die Verliebten eigen,

Die heitern Künste, die Begier vermag,

Was andere verschweigen und nicht zeigen,

Vertrauten wir dem flammenhellen Tag.

 

Und dann ward Herbst. In langen Zügen kehrten

Die Raben wieder, und auf trauten Fährten

Tu’ ich nun einsam manchen Waldesgang.

 

Die Eichenblätter, die der Frost versehrte,

Fallen im Wind. – Ach deine Liebe währte

Nur einen Sommer, einen Sommer lang.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Stimme aus einem Grabe der Via Appia

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 25.7.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Ich, der dir ruft, vor abertausend Jahren

Lebte auch ich und ließ mir Lust behagen.

Weinlaub und Blüten habe ich getragen

Beim Tanz der Bacchusfeste in den Haaren.

 

Doch nie wie du mit einsamem Gebaren

Irrt’ ich des Nachts, um Gräber zu befragen,

Nie hab’ ich grübelnd mich herumgeschlagen

Mit Jenseitsrätseln, die wir nie erfahren.

 

Nie bannte mich dein blasser Christus-Schemen,

Und lächelnd schied ich zu den Körperlosen.

Doch du wirst unter Tränen Abschied nehmen.

 

In eurer Gottesäcker fahlen Moosen

Und düsterm Anwuchs nisten Angst und Grämen;

Auf meinem Hügel aber glühen Rosen.

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tag

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Die Sonne sengt mit Strahlen ohne Gnaden

Das dunstumflorte stoppelgelbe Land.

Der blauen Wölbung sommerlicher Brand

Läßt sich herab in schweren Hitzeschwaden.

 

Kein Blatt regt sich. Von Schwüle wie beladen

Schmachtet, was lebt, in dumpfen Schlaf gebannt,

Die Stille, die wie Angst fast übermannt,

Stört nur das schrille Zirpen der Zikaden.

 

Auf grünem Gras, in Waldes Schattenlust

Hab’ ich aus Blumen frisch den Pfühl bereitet,

Wo du gelösten Kleides schlummernd ruhst.

 

Und ich, zu dir im Kühlen hingebreitet,

Berausche mich im Anschaun deiner Brust,

Die, eine Welle, auf- und niedergleitet.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Testament

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 10.6.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Und wenn ich tot bin, setzt an meinen Stein

Nicht etwa Myrthen, Efeu und Zypressen!

Auf Schmuck verzicht’ ich! Der ist bald vergessen!

Ich will vielmehr: Mein Grab soll nützlich sein!

 

Wozu noch Blumen, wenn kein Hauch, kein Schein

Des Frühlings mehr mich aufweckt, und indessen

Das Kleid, das Gott der Seele angemessen,

Verfault, zerfällt: mein Fleisch und mein Gebein?!

 

Nein, pflanzt mir eine Rebe, daß mein Staub

Die Traube nähre und das Purpurlaub

Der Edelfrucht, die Duft versprüht und Funken!

 

So bring’ ich noch als Toter Dank und Preis

Dem Leben dar und gebe tropfenweis

Der Welt den Wein zurück, den ich getrunken!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Tristitia

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 7.9.1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Die Traurigkeit entfaltet ihren Fächer,

Beschattend alle Gegend weit und breit;

Die Welt geht ein in große Müdigkeit,

Der Wind steht still, der Tag wird immer schwächer.

 

Und durch des himmels dämmernde Gemächer

Sinkt leises Weiß herab. O, wie es schneit!

Als bettete den Flügel ruhbereit

der müde Schnee auf Straßen und auf Dächer.

 

Kaum eine Stunde, und schon träumt den Traum

Des Tods die stadt, gehüllt in bleichen Flaum,

Der unaufhörlich lautlos niedertastet.

 

Doch du, mein Herz, wie lang schon ist das her,

Daß, wie der Marmor eines Grabes schwer,

Auf dir die große stumme Kälte lastet?

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wilde Fahrt

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 1924, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Giosue Carducci 1835-1907, Italien)

 

Es keucht mein einsam Schiff, gepeitschter Flanken!

Die Möwen schrein. Mit brausendem Gewicht

Rammt uns die Flut, und wie zum Weltgericht

Heult Donner auf und schmettern Blitzes Pranken.

 

Zurück zum Land erinnernde Gedanken

wenden das tränenfeuchte Angesicht,

und Blick der Hoffnung, matt geworden, bricht

An Rudertrümmern und zerschellten Planken.

 

Doch mitten in der Elemente Schlacht,

Sie übertönend mit Gesanges Macht,

Ruft kühn von Bord der Genius meiner Dichtung:

 

Rudert, Verzweifelte, dieweil noch Zeit –

Zum Nebelhaften der Vergessenheit,

Zum weißen Klippenstrande der Vernichtung!

 

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Wolken

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 25.7.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

O, weiße Wolken, die ihr hoch im Blauen

Windhingewiegt wie seidne Flocken schwebt,

Was will die Angst, die mir das herz erbebt,

wenn meines Kindes Augen euch beschauen?

 

Und Sehnsucht forscht empor zu blauen Auen,

Nach dem Geheimnis jener Sphinx bestrebt,

Die, alles wissend, keinen Schleier hebt

Und uns das Schicksal läßt im Ungenauen.

 

Doch, Kind, das Rätsel, das dort oben webt,

Die Wolken werden’s uns nicht anvertrauen;

Sie wissen es ja selbst nicht, ob Gott lebt.

 

Ich werde sterben, und auch dir ergrauen

Wird blondes Gold, das jetzt dein Haupt umschwebt,

Und niemals werden wir die Wahrheit schauen.

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Zur Hochzeit

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Wenn mit der Liebsten, die dein Herz erkor,

Du heimlich-fern von Bechern und Altaren

Des Festes sein wirst und aus ihren Haaren

Die Myrthe lösest und den keuschen Flor,

 

Erschauern wird sie, wissend kaum wovor,

Und mädchenhafter Angst, es zu erfahren,

Senken den Blick und holde Scheu bewahren;

Du aber neigst dich flüsternd ihrem Ohr:

 

Sie haben dir den Lohn der Seligkeit

Für Keuschheit und Gehorsam prophezeit,

Für Fleischestod und geistige Kasteiung!

 

Doch du, mein Weib nun, lös den bösen Bann

In Lust und Lachen auf! Und ich, dein Mann,

Will lügenstrafen schnöde Prophezeiung!

 

 

 

Anton Wildgans                                            

1881 – 1932

 

 

Zwiegespräch

(Geschrieben und übertragen aus dem Italienischen 20.5.1923, Erstveröffentlichung in „Sonette aus dem Italienischen“ 1924; Sonette von Lorenzo Stecchetti 1845-1916, Italien)

 

Nie bist du fröhlich, sprach die Liebste mein,

Nie sah ich dich von Andacht fromm beseelt.

Was ist es, das dein Blick so tief verhehlt?

Warum dein Lachen kalt und hart wie Stein?

 

In dieses blonde Köpfchen, fiel ich ein,

Hat nie der Zweifel grausam sich verfehlt;

Doch ich hohnlache über diese Welt

Seit meiner ersten Zweifel Qual und Pein.

 

Glaubst du denn nicht, sprach sie, an Gott, den Herrn,

Und an den Engel, der dein guter Stern?

Und gibt dir nicht die Hoffnung ihr Geleite?

 

Da sagte ich: mein Engel, der bist du,

Mein Glauben, meine Hoffnung, meine Ruh’! –

Doch sprich von Liebe und laß Gott beiseite.