SAVE OUR SOULS Anton Wildgans
(1881-1932)
Save Our Souls!
(Rede gehalten in Berlin im großen Reichstagssaal am 26.4.1924; Erstveröffentlichung in „Anton Wildgans – Ein Leben in Briefen“ Band 3, herausgegeben von Lilly Wildgans 1947)
In ernster Stunde sind wir heut vereint,
So festlich strahlend dieser Saal auch scheint.
Die Menschen, die gekommen, alle sie
Rief eine Kunde auf, erschütternd wie
Durch Flut und Wut der aufgewühlten See
Der Notruf eines Schiffs in Todesweh.
Was sagt die Kunde, die uns beben macht?
Was klagt der Ruf, der herirrt durch die Nacht?
Sie sagt, er klagt:
Deutschland in Not! Helft retten seine Seele!
Da gilt es, nicht zu säumen! Alle Mann
An Bord! Und jeder seine Pflicht getan!
Denn unsre Sprache ist es, die es sagt!
Denn unser Blut ist's, das in Seenot klagt!
Denn, die zu retten, ist auch unsre Seele!
Wir treiben selber überm Wellengrab,
Das Segel riß, und unser Mast brach ab
Im selben Sturm. Nur unser Steuer ward
Wie durch ein Wunder wieder heil zur Fahrt;
Und Hände, die es lenken, stark und klug,
Erhalten überm Abgrund unsern Bug.
Drum wissen wir, daß es ans Sterben geht,
Wenn Schiffer rufen jenes Stoßgebet:
Errettet unsre Seelen!
Wann immer Unheil auf ein Volk einbricht,
Dann halten fest der Ordnung Dämme nicht.
Verzweiflung überstürzt mit grausem Schwall
Die Wehre und verwüstet überall.
Gesetze knicken ein wie sprödes Schilf,
Und jeder denkt: nun helfe, was da hilft!
Verdienst von gestern wird zur Schuld von heut,
Und das Verbrechen, einst zurückgescheut
In finstre Winkel, wo es Gift erdacht,
Wird über Nacht zum Rechte, weil zur Macht.
Das ist die Zeit, wo sich der Einzelne
Hinwegsetzt übers allgemeine Weh.
Da gilt nur, wer die rohern Fäuste ballt,
Der Finger, der nach fremdem Gute krallt;
Der Fuß, der flink einher ist nach Gewinn,
Der Ziffernmund, der plumpe Sachensinn;
Und die Gemeinheit, die zum Himmel schreit,
Geht frech am Tag und wird gebenedeit!
Denn immer noch, wenn Machtbegier und Haß
Verschworen sich zum großen Aderlaß,
Wenn Krämerneid und Götzendienst am Geld
In dieser Welt ein Blutbad angestellt,
Dann zahlt die Rechnung frevelhafter Tat
Der Täter nicht, der ihren Vorteil hat!
Der Arme und der Edle zahlen sie,
Das träumende, versäumende Genie,
Der Geist, der ewig überzählige Gast,
Der Krumen aufliest, wo der Ungeist praßt,
Die Seele, die von Gold und Mord nichts weiß,
Die Seele büßt den ungeheuren Preis,
Die Seele, die nur um die Seele wirbt,
Die Seele, die an Leibes Hunger stirbt!
Noch ist's so weit nicht, noch ist nicht vertan
In deutschem Volke aller Halt und Plan.
Noch heben Augen leuchtend sich empor
Aus Not und Kot der Zeit zum Sternenflor.
Noch keimt in Herzen künftiger Gesang,
Des Forschens Inbrunst und des Bildens Drang.
Noch lebt die Liebe, ohne die das Wort
Des Menschen ist ein schnöder Lautakkord.
Noch lebt, wenn auch verkämpft, versehrt und müd,
Die deutsche Seele, die vom Geiste glüht.
Und ob sie zwar in grimmer Not aufschreit,
Noch ist es Zeit, wenn auch die höchste Zeit!
Deutschland, du Schiff, umgraust von Sterbens Hauch,
Wir kommen, kommen schon! Und sind wir auch
Ein Häuflein nur, ein schwaches Aufgebot,
Das selbst sich wehren muß, vom Tod umdroht,
Noch sind wir nicht so elend, daß uns nicht
Die größre Not aufruft zur Bruderpflicht.
Deutschland, du Schiff im Meer von Lug und Trug,
Die Leidensfrist ist nur ein Atemzug.
Ein Atemzug im großen Weltverlauf,
Dann stellst du wieder deine Mäste auf,
Die heilen Segel strafft ein holder Wind,
Gefahr vorbei! Und neue Fahrt beginnt!
Und Kiel an Kiel und Bug an Bug mit dir,
Im selben Sehnsuchtshafen landen wir!
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