Anton Wildgans
Österreichischer Lyriker und Dramatiker 1881 - 1932
Akkord
Aufblick
Blick von oben
Das Lächeln
Dienstboten
Dieses Haus wird demoliert
Einem jungen Richter zur Beeidigung
Freunde
Glück des Alleinseins
Ich bin ein Kind der Stadt
Im Anschaun meines Kindes
Kammermusik
Letzte Erkenntnis
Lied des Schmarotzers
Sankt Othmar
Sonette an Ead
Stimme im Traume des Künstlers
Tiefer Blick
Triptychon der Liebe
Vom kleinen Alltag
Wiedersehen mit Gott
Zueignung an die geliebte Landschaft

Einem jungen Richter zur Beeidigung

Du bist so jung – War nicht in deiner Hand,

Die vor dem Kreuze du erhobst zum Eid,

Ein Zittern noch gerührter Eitelkeit,

Die zu dir raunte und dich überwand:

Oh, über Nacht ist Macht

In mich gekommen – viele Macht - !? -

 

Du Kind, den Büchern kaum

Entwachsen, wissend kaum, was Leben

Und Jammer ist, du, wie ein junger Baum

Noch biegsam, Kind du: über allem Traum

Von Macht und Ich ist die Gerechtigkeit

Und das Gesetz, an dessen Purpursaum

Du deine Finger legtest heut’ zum Eid.

 

Vergiß es nicht. Du bist ja auch nur Mensch

Und so wie wir, die deines Spruches warten.

Und dieses Leben ist ein wirrer Garten,

In dem das Unkraut wuchert und der Edeltrieb

Sich spärlich fristet – Hab ihn lieb

Und such ihn überall. Denn es kann sein,

Daß er in Dornen ist. Und wenn du strafst,

Weil das Gesetz es will, tu’s nicht erbost

Wie eine Rache, sondern so, daß Trost

Noch ist in der Notwendigkeit.

 

Und glaube jenen nicht, die Zahn um Zahn

Und Aug um Auge heischen, Dies ist Wahn

Und rührt aus einer blutig-finstern Zeit,

Du aber diene dieser. Denn sie schreit

Nach ihrem Recht. Ihr Recht ist deine Pflicht.

Drum sei auch nicht

Büttel und Sklave am geschriebnen Wort.

Denn alles, was geschrieben steht, verdorrt,

Wenn es gedankenlos ein stumpfer Knecht

Betreut. Den Gärtner braucht das Recht,

Den selbstlos-weisen, der mit seinem Blut

Den Weinberg düngt. Denn ohne dies wird das

Gesetz zum Hohn und die Gerechtigkeit

Ein eitel Haschen nach dem Wind.

So gib auch du dein warmes Blut, du Kind,

Und all dein Herz – denn dieses will dein Eid.