Im Anschaun meines Kindes Du Atmendes, zu deinem Schlaf gebeugt
Steh stumm erschüttert ich, der dich gezeugt.
Beklommen tast’ ich nach der Freundin Hand,
Aus deren Schoß dein Leib sich feindlich wand.
Du Fleisch gewordnes Fieber unsrer Lust,
Wir haben dich gewollt, du hast gemußt.
Nun bist du, eines Schicksals Anbeginn;
Erschaudernd grüble ich nach seinem Sinn.
In deiner Züge Unerschlossenheit
Spür’ ich nach Zeichen und nach Ähnlichkeit.
Dies ist von mir, der Freundin jener Zug,
Dies bist schon du, dies noch nicht du genug.
Dies Lächelnde vergleicht Erinnerung
Mit einem Bild der Mutter, als sie jung.
Dies leise Wehe um den kleinen Mund
Ist mir aus meines Vaters Leiden kund.
Dies ist schon Güte, jenes ist noch stumpf,
Dieses schon Wille, dies noch Trieb und dumpf.
Nun zuckst du auf im Schlaf, obwohl kein Ton
Dich schrecken konnte – Liebes, träumst du schon?
Aus vielen Bluten ist dein Blut entkocht,
Aus vielen Flammen ward der zage Docht,
Der trübe noch in deiner Stirne brennt –
Aus Elementen neues Element.
Nicht nur, was wir am eignen Selbst erkannt,
Ist deinem Wesen erblich eingebrannt.
Auch die Erträge unsrer Dunkelheit
Sind in dein Klares heimlich eingereiht.
Was wir in uns an Bösem abgebaut,
An Listen und an Lüsten rückgestaut,
Das Meinen, das zum Wollen nicht genug,
Die Laßheit, die sich gern der Tat entschlug,
Der Zwiespalt, dem nur Zufall Lösung fand,
Der unvermochten Rache finstrer Brand
In uns und fernster Ahnen Rätselreihn:
All dies bist du nun oder kannst es sein.
Vielleicht, daß einst es steil und unvermeint
Aufschnellt in deinem Blut als unser Feind
Und uns beschuldigt, daß wir falsch getan
Aus Trägheit, Torheit oder feigem Wahn.
Da wird die Flamme frei, die wir gedämpft,
Zur Schuld die Treue, die wir schwer erkämpft;
Was wir geliebt, dünkt dich nur wert der Lust,
Wo wir geträumt, da bist du streng bewußt,
Wo wir bestraften, tröstest du mit Lohn,
Wo wir geopfert, klirrt vielleicht dein Hohn;
Aus unserm Dach wird Brennholz deinem Herd,
Aus unserm Werkzeug glühst du dir ein Schwert
Und hast in Trümmer wie ein Jahrmarktszelt,
Die wir uns liebend bauten, unsre Welt.
Du Atmendes, zu deinem Schlaf gebeugt
Steh stumm erschüttert ich, der dich gezeugt.
Du Mensch gewordnes Fieber unsrer Lust,
Wir haben dich gewollt, du hast gemußt.
Doch wie, wenn du ein Scherge, einst von uns
Begründung forderst unsres Schöpfertuns
Und uns das Müssen, das man Leben nennt,
Hinschleuderst wie ein listig Dokument,
Worin im Leichtsinn oder sinnberaubt
Wir unterschrieben, was wir nicht geglaubt?
Wie, wenn du uns in deines Wesens Guß
Den Fehler zeigst, der unsre Schuld sein muß,
Und uns aus deiner Not ererbtem Fluch
Beweisest unsrer Herzen Widerspruch,
Daß Lüge war, was uns zusammenzwang,
Nicht zweier Sterne Zueinanderdrang,
Die, lange einsam auf getrennter Wacht,
Zu eins verglühn in heiliger Liebesnacht -!
Eratmend tast’ ich nach der Freundin Hand,
Aus deren Schmerz dein Leib sich hold entband.
Du klar gewordne Wirrnis unsrer Lust,
Wir wollten dich und sind nicht schuldbewußt.
Und wirst du doch zum Kreuze, sieh, wir sind
Bereit, daran zu leiden – Schlaf, mein Kind!
Uns Richter magst du werden, bist es schon;
Traumlächle nur, noch ahnst du nichts davon! –
Ein Mittler auch in manchem kleinen Zwist,
Weil, wo wir Zwei sind, du wir Beide bist.
In deinem Lächeln lächeln wir dereinst,
Und unser sind die Tränen, die du weinst.
Auf deinen Füßen gehn wir einst im Wind,
Der unsrer Gräber liebkost. – Schlaf, mein Kind! –
In deines Blutes dumpfer Frühlingskraft
Aufsteige wieder ich aus Todes Haft
Und dränge mir an deinen Jünglingsschoß
Die Schlanken, die ich niemals sattgenoß,
Und schenk’ der Schmeidigsten ein Angebind,
Ein Atmendes, wie du bist! – Schlaf, mein Kind.
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